Bei einer winterlichen Ballonfahrt ist es zwar kalt, dafür ist die Thermik stabil und die Luft klar. Beim „Kaiserwinkl Alpin Ballooning“ kommt ein weiterer Pluspunkt hinzu: Als größtes Ballonfahrer-Event der Alpen schafft es am und über dem Walchsee eine ganz besondere Atmosphäre.
„Kommt mal alle her!“, ruft Stefan Kummeth die fünf Ballonfahrer zwischen zehn und 75 Jahren herbei. Die spazieren gerade über die tief verschneite, plattgewalzte Parkplatzwiese und erfreuen sich am sonnenverwöhnten Bergpanorama. Doch nun ist Schluss mit Fotos machen – vorerst. Denn der 34-Jährige, der die letzten fünf Minuten eifrig am Ballon rumwerkelte, kommt nun alleine nicht mehr weiter. „Ich brauch jetzt eure Hilfe“, kündigt er an, um sogleich die ersten Aufgaben zu verteilen. Als Erstes wird der massive Korb aus dem Autoanhänger gestemmt, anschließend der Sack mit der Ballonhülle. Eifrig fassen alle beim Ausrollen der 28 Meter langen Hülle mit an – jetzt ist Teamwork angesagt. Und das macht Spaß. Dann wird’s laut und windig, als Stefan einen Bodenventilator anwirft.
Rasant und steil nach oben
Ein anderer Mitfahrer und ich halten die Ballonhülle weit auf. Nachdem sich diese schon etwas hebt, gilt es, zügig den bislang gekippten Korb aufzurichten und hineinzuklettern. Jetzt muss es rasch gehen, denn Stefan kann den mittlerweile auf Heißluft umgestellten Ballon nicht ewig halten. Doch keine Hektik, alle sechs sind drin. Dann heben wir behutsam ab. „Wir fliegen“, ruft der zehnjährige Ben und sein Vater korrigiert lächelnd: „Fahren, nicht fliegen! Auf diesen Unterschied legen Ballonfahrer viel Wert.“
Doch Stefan, seit seinem achten Lebensjahr der Materie innig verbunden und seit mehr als fünf Jahren als Pilot im Team des regionalen Anbieters „Ballooning Tyrol“, konzentriert sich gerade auf andere Dinge.
Er dreht ein paar Mal am Gashebel, heiße Flammen züngeln in den Ballon, es wird heiß ums Haupt. Was auch gut ist, denn die Luft um uns ist klirrend kalt. Minus elf Grad zeigte das Thermometer am Walchseer Rathaus, wo die Einführung für alle Wettbewerbsteilnehmer (im Verlauf des Festivals werden Punkte für schnelles und zielgenaues Ballonfahren vergeben) und alle (zu Sonderpreisen) mitfahrenden Tagesgäste stattfand. Inklusive der Aufteilung auf die 20 Ballone, die heute starten. Im Laufe der Woche werden es noch mehr, wenngleich es aufgrund der ungeheuren Schneemassen heuer eher weniger sind als in den vergangenen 17 Jahren, in denen das „Alpin Ballooning“ nun ausgetragen wird.
Dann geht es rasant und nahezu senkrecht nach oben, wie im Expressaufzug. Den Ellbogen auf die Brüstung gelehnt und den Oberkörper leicht rausgebeugt winken wir den auf der schneeplanierten Wiese Zurückgebliebenen zu, die nur noch wie Spielzeugmännchen neben Matchboxautos aussehen. Nach zwei, drei Minuten sind wir auf 2.500 Meter Höhe – 1.850 Meter über dem Startplatz. Ein Anflug von Schwindel ergreift mich angesichts der Tiefe, schließlich ist der Korb weder mit Gittern noch durch Glasscheiben gesichert. Kurz schießt es mir durch den Kopf: Wir haben gar nicht besprochen, was bei einer Kollision mit einem Flugzeug, Paraglider oder Adler zu tun ist. Oder wenn der Pilot ausfällt. Fallschirme befinden sich hier keine, Rettungshüllen auch nicht. Na ja, vermutlich würde Christoph, der Funker am Boden, die Insassen mittels Funkgerät lotsen. Aber alles vollkommen unrealistisch. Also weg mit diesen Gedanken und lieber der Sonnenseite zuwenden, wobei das angesichts der Minusgrade und fehlender Bewegung wärmetechnisch wenig bringt. Aber mental. Denn rasch werden statt Adrenalin – nun Glückshormone ausgeschüttet.
Der Wilde Kaiser ist zum Greifen nah
„Da hinten, da liegt Kufstein“, erklärt Stefan, „und dort in der Ferne sieht man den Großglockner“. Uns offenbart sich heute wirklich eine feine Fernsicht. Noch feiner aber ist die Nahsicht. Der Zahme und der Wilde Kaiser etwa sind zum Greifen nah. Umwerfend auch der Blick nach unten: Von hier oben sieht alles wie eine Modelleisenbahnanlage aus – da der zugefrorene Walchsee, dort Langläufer im Spurenlabyrinth und Höfe mit gewaltigen Schneehauben. Tausende Details lassen sich entdecken. Und alles wirkt so friedlich. Da komme ich fast auf philosophische Gedanken. Bis mich mit lautem „Bchrrrrr“ der Brenner wieder rausreißt.
Diesmal hat mich das alle paar Minuten wiederkehrende Fauchgeräusch fast ein wenig erschreckt. Richtig arbeiten muss eigentlich nur einer an Bord: Stefan. Ständig hält er Funkkontakt zum Kollegen am Boden und den Piloten in den anderen Ballonen, die mittlerweile um uns herum schweben. Und permanent tauschen sie sich, unterstützt durch Messgeräte, über Windströmungen und Geschwindigkeiten aus. Da der Pilot ja nur die Höhe, nicht aber die Richtung bestimmen kann, muss er ständig den weiteren Fahrweg berechnen. Gerade an den Bergen können die Winde sonst für unangenehme Überraschungen sorgen. Dazu kommt es heute aber nicht. Nach zwei Stunden schweben wir sanft wie eine Feder erdwärts. Ruckeln gibt es nicht, so wie man auch keinen Wind im Korb selbst spürt. Stark, wie präzise wir auf einer Schneewiese nahe einer unbefahrenen Straße landen. Wie vorab besprochen stellen wir uns rückwärts zur Fahrtrichtung auf und halten uns an den Schlaufen fest – zur Sicherheit. Doch nach zwei Hüpfern steht der Ballon wie eine Eins. Die Erde hat uns wieder! Zeit für Schulterklopfen ist noch nicht, jetzt muss erst wieder angepackt und der Ballon auf den von Christoph bereitgestellten Hänger eingepackt werden.
Nach der Fahrt eine feierliche Taufe
Nach der halbstündigen Arbeit geht es zurück nach Walchsee, wo alle mittlerweile gelandeten Teilnehmer einer launigen Kurzzusammenfassung der bewegten Ballonfahrtgeschichte lauschen. Die mündet darin, dass wir feierlich getauft und zugleich in den Adelsstand erhoben werden – da das Ballonfahren einst nur Adligen vorbehalten war, muss sich das gemeine Volk mit diesem Trick eben behelfen. Also träufelt Stefans „Boss“ Heinz jedem Novizen ein paar Spritzer Schampus auf die Strähne, die er zuvor leicht angekokelt hat, und überreicht dann feierlich eine Taufurkunde. Dabei verkündet er mit lauter Stimme den jeweiligen individuellen Adelstitel. Meiner lautet: „Herzog Christian, unerschrockener Luftikus und schnell entfleuchender Schneefeldhüpfer zu Tirol“.