In Baku hat der Ölboom Reichtum geschaffen, abseits der Hauptstadt aber leben die Menschen in einfachsten Verhältnissen. Aserbaidschan bietet eine Reise durch ein Land voller Gegensätze.
In Baku denkt man groß. Als man vor einigen Jahren in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe die weltweit größte Flagge hisste, holte man am Flaggenplatz in der aserbaidschanischen Hauptstadt das eigene Banner ein. Allerdings nur, um es zu vergrößern. Bis das geschehen ist, bleibt der Platz leer. Denn nur die Nummer zwei zu sein lässt der riesige Nationalstolz der Aseris, wie sich die Bewohner der ehemaligen Sowjetrepublik selbst nennen, nicht zu. Baku zählt zweieinhalb Millionen Einwohner und wirkt ein wenig wie die Kopfgeburt eines Neureichen. Alles muss groß sein. Die Flame Towers, drei Wolkenkratzer, die, wie der Name sagt, in der Form lodernder Flammen erbaut wurden, dominieren die Skyline. Jeden Tag nach Sonnenuntergang verwandelt eine Lightshow, die die Türme zunächst wie riesige Flammen aussehen lässt, um sie dann in die aserbaidschanischen Landesfarben Blau, Rot und Grün zu tauchen, die Hochhäuser in überdimensionale Monumente nationalen Stolzes.
Große Villen der Ölbarone im europäischen Stil
Auch die im vergangenen Jahrzehnt erbauten Museen sind Ausdruck des eigenen Selbstbildes – groß mussten sie sein und am liebsten erbaut von Architekten mit Weltruf. Das 2014 eröffnete Heydar-Aliyev-Kulturzentrum, wie viele Bauwerke im Land nach dem ehemaligen Präsidenten benannt, hat die weltberühmte britisch-irakische Architektin Zaha Hadid geplant. In ihm befinden sich das Nationalmuseum, eine Bibliothek sowie Ausstellungs-, Konzert- und Konferenzsäle. Noch im Jahr seiner Eröffnung zeichnet das Londoner Design Museum das Gebäude für das „Design of the Year“ aus. Das Teppichmuseum, das an einen aufgerollten Teppich erinnert und ebenfalls 2014 seine Türen öffnete, gehört zu den besten seiner Art weltweit. Es ehrt die traditionelle Kunst des aserbaidschanischen Teppichwebens, die seit 2011 auf der Liste des immateriellen Weltkulturerbes der Unesco steht. Zum Weltkulturerbe gehört auch die historische Altstadt Bakus. Der Reiseführer empfiehlt hier den Palast der Schirwanschahs und den Jungfrauenturm aus dem 11. Jahrhundert als die größten Sehenswürdigkeiten. Der Reiz des Viertels erschließt sich einem aber am besten, wenn man einfach durch die engen Gassen schlendert, in einer der vielen Teestuben eine Pause einlegt und das Leben an sich vorbeiziehen lässt. Wer es machen will wie die Aseris isst vor dem Tee ein Stück Qarpiz murebbesi, ein süßes Konfekt aus Wassermelone, nach dessen Genuss der Gewürztee besonders gut schmecken soll. Auf einem Bummel durch die Altstadt kommt man auch am Atelier von Ali Shamsi vorbei. Den 55-jährigen Maler, der auch schon in Berlin und Dresden ausgestellt hat, kennt man in der ganzen Stadt. Allerdings nicht nur wegen seiner Gemälde, sondern auch wegen des positiven Karmas, das er angeblich verbreitet. Und so kommen regelmäßig Spitzensportler bei ihm vorbei, um vor einem Wettkampf im Ausland positive Energie zu tanken.
Nicht nur die Stadt neigt zum Gigantismus, auch ihre Bewohner zeigen gerne, was sie haben. Obwohl man sie auf den breit ausgebauten Prachtstraßen der Hauptstadt nicht braucht, fährt jeder, der etwas auf sich hält. mit einem auf Hochglanz polierten und PS-starken SUV durch die Gegend. An den Benzinverbrauch braucht man dabei keinen Gedanken zu verschwenden. Benzin kostet gerade einmal 50 Cent pro Liter und damit so wenig wie in kaum einem anderen Land der Welt. Aserbaidschan schwimmt in Öl. Baku, aus der Luft betrachtet, wirkt wie eine Insel in einem Meer von Bohrtürmen.
Seit 1872 sprudelt hier das schwarze Gold. Und von Anfang an hat es das Leben im Land bestimmt. Die reichen Ölbarone ließen schon damals große Villen errichten, gerne im europäischen Stil, was Baku den Beinamen „Paris des Kaukasus“ einbrachte. Einen Namen, den sich die Stadt auch heute wieder verdient. An der Peripherie entsteht gegenwärtig ein Neubauviertel, das wirkt als sei es eine Kopie von Paris. Und in der Tat haben sich die Bauherren, was den Baustil angeht, von der französischen Hauptstadt inspirieren lassen. Auch wenn man durch die Einkaufsstraßen der Innenstadt flaniert, wähnt man sich in irgendeiner europäischen Metropole.
Nur wenige Kilometer vor den Toren Bakus liegen zwei Sehenswürdigkeiten, die zeigen, welch zentralen Bestandteil das Feuer in der Kultur Aserbaidschans hat. Der Ateschgahtempel, dem, so die wörtliche Übersetzung, „Hort des Feuers“, war bis ins 18. Jahrhundert hinein für verschiedene Religionen ein Ort der Anbetung. Hier loderten die Flammen, von ausströmendem Erdgas gespeist, mindestens seit dem 10. Jahrhundert aus der Erde und galten den Gläubigen als Zeichen Gottes. Als man 1883 in der Nähe des Tempels die Ölförderung aufnahm, versiegten die Quellen. Das „ewige Feuer“ wird inzwischen aus einer Gasleitung gespeist. Am Yanardag, dem brennenden Berg, über den einst schon Marco Polo berichtete, schlagen dagegen noch heute von natürlichen Erdgasquellen gespeiste Flammen gen Himmel. Er ist ein beliebtes Ausflugsziel für die Hauptstädter, für die er der Lieblingshintergrund für Selbstinszenierungen mit dem Handy zu sein scheint.
So als habe im Land des Dauerpräsidenten Ilham Alijew, der seinem Vater 2003 im Amt nachfolgte, das Ölgeld nur für die Hauptstadt gereicht, kommt man nur wenige Kilometer vor den Toren Bakus in ein anderes, ärmeres Aserbaidschan. Obwohl man auf den holprigen Straßen geländegängige Fahrzeuge durchaus gebrauchen könnte, sucht man sie hier vergebens. Die Menschen auf dem Land sind fast durchweg mit alten Ladas unterwegs. Doch der Weg über die Holperstraßen lohnt. Die Beliebigkeit der Metropole weicht der Tradition. Fast scheint es, als begänne erst jenseits der Lichter der Großstadt das richtige Aserbaidschan – ein Land voller Widersprüche und vielen Facetten.
Interessante Felsmalereien im Nationalpark
Lahij, eine kleine Gemeinde in einem entlegenen Hochtal, erreicht man nur über eine schmale Passstraße, die am Rande einer steilen Schlucht entlangführt. Kurve um Kurve fährt man, immer am Abhang entlang, den Berg hinauf, bis man auf 1.400 Meter Höhe endlich das Dorf erreicht. Vor vielen Jahrhunderten hatten sich persische Auswanderer, die in ihrer Heimat verfolgt worden waren, hierhin zurückgezogen. Heute ist Lahij vor allem für seine Kupferschmiede bekannt, deren Kunst seit 2015 zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit gehört. Für aserbaidschanische Verhältnisse kann Lahij schon fast als Touristenmagnet gelten; durch die engen und gepflasterten Gassen bummeln vor allem Urlauber aus der Hauptstadt zum Sightseeing und Shopping. Neben kupfernen Vasen, Schalen und Tellern stehen vor allem Gewürze hoch im Kurs. Wirklich überfüllt ist es aber trotzdem nicht. Das trifft auch auf den Nationalpark rund um die Felsmalereien von Qobustan zu. Die an einem Berghang gelegenen steinzeitlichen Ritzungen gehören zum Weltkulturerbe und zeigen vornehmlich Menschen und Tiere. Beeindruckend ist das allemal, und doch geht man mit zwiespältigem Gefühl an den prähistorischen Kunstwerken vorbei. Weiß man doch, dass gut sichtbar unten im Tal das Hochsicherheitsgefängnis von Qobustan liegt, in dem das Regime nicht nur Schwerverbrecher, sondern auch politische Gegner inhaftiert.
Sheki liegt knapp 330 Kilometer westlich von Baku. In Aserbaidschan ist die 65.000-Einwohner-Stadt am Fuße der Karpaten als Ausflugsziel bekannt. Die Restaurants und Teestuben der Stadt sind für die Hauptstädter beliebte Ziele für einen Ausflug am Wochenende. Seit dem Sommer 2019 hat sich Sheki aber auch international einen Namen gemacht. Denn damals verlieh die Unesco der dortigen Altstadt und dem Khanspalast aus dem 18. Jahrhundert den Titel des Weltkulturerbes. Die zahlreichen sehenswerten Fresken und bunten Fenstergläser verleihen dem Herrschaftshaus der regionalen Fürsten einen ganz eigenen Glanz. Draußen im Stadtpark spielen ein paar Männer Karten, ein Melonenverkäufer bietet am Rande der Hauptstraße seine sauber aufgestapelten Früchte an, eine alte Frau flicht eine rote Schleife an einen Ast. Wer sie entdeckt, darf sich freuen. Denn in der Tradition der Aseris verspricht ein Band im Baum großes Glück.