Kein Mensch ist bis dahin so tief gesunken wie der Schweizer Jacques Piccard sowie US-Marineleutnant Don Walsh. Am 23. Januar 1960 tauchten die beiden mit ihrem U-Boot „Trieste" bis zum Meeresgrund des Marianengrabens in 10.916 Metern Tiefe.
Um sie herum war es stockfinster. Nichts war zu hören, nur ein paar „eigentümliche prasselnde Laute, so als brate man Speck", wie Jacques Piccard in seinem Expeditionstagebuch notierte. Am Morgen des 23. Januar 1960 war der Schweizer Ozeanograph zusammen mit US-Marineleutnant Don Walsh zu einer Reise ins Ungewisse aufgebrochen: An Bord der „Trieste" tauchten die beiden in die Tiefen des Marianengrabens hinab, tiefer als je ein Mensch vor ihnen. Am Ende erreichten sie eine Tiefe von 10.916 Metern, in anderen Quellen ist von 10.911 Metern die Rede. In solcher Tiefe lastete ein Wasserdruck von etwa 1.100 bar auf dem Tauchboot, das entspricht einem Gewicht von 170.000 Tonnen – so viel wie 425 Jumbo-Jets oder 30.000 Elefanten. Die prasselnden Geräusche, die Piccard und Walsh vernommen hatten, waren gewissermaßen der akustische Beweis für die enormen Kräfte, denen die „Trieste" in der Tiefsee ausgesetzt war.
Die Tiefsee war damals der letzte weiße Fleck der Erde, nachdem alle anderen Regionen des Planeten bereits weitgehend erforscht waren. Und fast schien es so, als ob sich der Ozean dagegen wehren wollte, dass der Mensch ihm sein letztes Geheimnis entlockt. Als der Hochseeschlepper „Wandank" mit der „Trieste" im Schlepptau das Challenger-Tief erreichte, die tiefste Stelle des Marianengrabens im Pazifischen Ozean, herrschte Sturm. Bis zu sieben Meter hoch schlugen die Wellen. Sogar der Tachometer des Tauchbootes wurde beschädigt, mit dem die Besatzung eigentlich die Sinkgeschwindigkeit messen wollte – ersatzweise mussten sie deshalb auf ein Druckmessgerät und einen Rechenschieber zurückgreifen.
Doch zumindest Jacques Piccard war solche Unwägbarkeiten bereits gewohnt. 1932 hatte er miterlebt, wie sein Vater Auguste Piccard mit einem speziellen Ballon bis in die Rekordhöhe in der Stratosphäre von mehr als 16.000 Metern aufgestiegen war. Eigentlich hätte der Ballon nur fünf oder sechs Stunden in der Luft bleiben sollen – am Ende wurden es 15 Stunden. Ein Ventil war eingefroren und sein Vater musste warten, bis die Sonne untergegangen war und sich das Wasserstoffgas abgekühlt hatte und der Ballon wieder sank.
Angst kannte Jacques Piccard keine, als er an Bord der „Trieste" stieg. In einem Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ) sagte er 2007, ein Jahr vor seinem Tod: „Wer in einen Tiefseegraben taucht, befürchtet ja als erstes, gegen eine Steilwand zu prallen. Ich habe das Profil des Marianengrabens vorher im richtigen Maßstab aufgetragen, und siehe da: Aus den steilen Felswänden wurden flache Hänge. Diese Angst war also völlig unbegründet, Tiefseegräben fallen nicht steil ab. Es gab nur eine einzige Sache, die mir Sorgen machte: Es gab mehrere Kriegsschiffe, die in der Region gesunken waren. Ich wollte auf keinen Fall auf einem Wrack landen. Das U-Boot hätte sich an einer alten Kanone oder an einem Geschützturm verhaken können."
Eroberung der Tiefsee war eine Prestigesache
Die ersten Fahrten mit der „Trieste" hatte er noch gemeinsam mit seinem Vater unternommen, der das Tauchboot auch entworfen hatte. Im Tyrrhenischen Meer unweit der Insel Ponza, 50 Kilometer vor der italienischen Küste gelegen, drangen die beiden am 30. September 1953 bis in eine Tiefe von 3.150 Meter vor – zum damaligen Zeitpunkt bedeutete das Weltrekord, wenngleich schon 1954 ein französisches Team die Bestmarke vor der Küste des Senegals auf 4.050 Meter verbesserte. 1958 kaufte dann die US-Marine das U-Boot für ihr Projekt „Nekton". Jacques Piccard unterstützte das Unternehmen als wissenschaftlicher Berater. Nachdem die Amerikaner beim Wettlauf ins All gegenüber den Sowjets ins Hintertreffen geraten waren, die 1957 den ersten Satelliten in eine Erdumlaufbahn brachten, wollten sie jetzt zumindest bei der Eroberung der Tiefsee die Ersten sein.
Mit der „Trieste" stand ihnen dazu das ideale Mittel zur Verfügung. Der Bathyscaph – nach den griechischen Wörtern für Tiefe und Schiff – war speziell für die Tiefseeforschung gebaut worden. Er bestand aus einem zigarrenförmigen Rumpf, in dem sich die Auftriebstanks befanden, sowie einer Druckkapsel, die darunter hing, in die sich die beiden Taucher zwängten. Die Wände der kugelförmigen Kapsel bestanden aus Stahl aus den Essener Krupp-Werken und waren wegen des enormen Wasserdrucks gut zwölf Zentimeter dick. Die Kapsel allein wog deshalb bereits rund 13 Tonnen.
Nicht nur äußerlich erinnerte das Ganze an einen Zeppelin: Auch der Auftrieb funktionierte nach einem ähnlichen Prinzip wie bei einem Luftschiff. Während die Gondel dort jedoch von einem wasserstoffgefüllten Tank getragen wird, diente bei der „Trieste" stattdessen Benzin als Füllung für den Auftriebskörper. Benzin ist leichter als Wasser; durch den steigenden Druck beim Absinken verringerte sich sein Volumen, und schwereres Salzwasser konnte nachfließen, wodurch der Bathyscaph immer weiter nach unten sank. Auf dem Rückweg zur Wasseroberfläche war es dann andersherum: Je höher die „Trieste" stieg, desto mehr dehnte sich das Benzin wieder aus, verdrängte das schwerere Meerwasser und beschleunigte das Auftauchen. Zusätzlich hatte das U-Boot rund 16 Tonnen Eisenschrott als Ballast an Bord. Aus Sicherheitsgründen wurde dieser von Elektromagneten festgehalten, so dass er sich bei einem Ausfall der Stromversorgung sofort gelöst hätte und das Tauchboot in diesem Fall selbsttätig aufgetaucht wäre.
Viel Platz hatten Jacques Piccard und Don Walsh in ihrer kleinen Kapsel nicht. Ihr Durchmesser betrug gerade einmal zwei Meter, zudem war sie vollgestopft mit Sauerstoff- und Messgeräten. Viel Proviant hatten die beiden nicht dabei, lediglich einige Tafeln Schokolade. Mehr hätte aus Sicht von Piccard auch keinen Sinn ergeben, wie er im NZZ-Interview erklärte: „Wenn wir nicht mehr hätten aufsteigen können, wäre uns nichts mehr geblieben, als am Unterwassertelefon Grüße an unsere Familien und Freunde auszurichten." Zwei Tage hätte der Sauerstoff gereicht, aber danach hätte die Mission unweigerlich mit dem Tod geendet.
20 Minuten blieb die „Trieste" auf dem Grund
Es ging jedoch alles glatt. Viereinhalb Stunden dauerte der Abstieg, die Temperatur in der Kapsel sank in dieser Zeit von anfangs 30 Grad auf am Ende gerade noch 1,8 Grad ab. Doch das geborstene Glas eines der Fenster in der Einstiegsröhre, das dem ungeheuren Druck nicht mehr standgehalten hatte, konnte die Mission nicht ernsthaft behindern. Um 13.06 Uhr setzte das Tiefseeboot schließlich auf dem Grund des Marianengrabens auf. Aus den Bullaugen erkannte Piccard eine „Wüste von hell-zimtfarbenem Schlick", auch einen Plattfisch sowie eine „schöne rote Garnele" wollte er gesehen haben, wobei zumindest der Fisch von anderen Wissenschaftlern stark bezweifelt wurde. Ein Bild davon existiert nicht, denn eine Kamera hatten Piccard und Walsh nicht mitgenommen.
Nach 20 Minuten am Meeresboden tauchte die „Trieste" wieder auf, nach weiteren dreieinhalb Stunden erreichte sie wieder die Oberfläche. Die Crew versenkte anschließend noch einen Behälter mit der US-Flagge als Zeichen dafür, dass man diesen Wettlauf gegen den Ostblock gewonnen hatte.
Das Medieninteresse an der Tauchfahrt war enorm, doch danach ebbte der Rummel auch bald wieder ab. Fortan richtete sich der Fokus vor allem auf die Mondlandung, die 1969 vollzogen wurde. So blieben Piccard und Walsh für lange Zeit die einzigen Menschen auf dem Grund des Marianengrabens.
Erst 2012 folgte durch Filmregisseur James Cameron in dessen Gefährt „Deepsea Challenger" die zweite Expedition auf diesmal 10.908 Meter. Jacques Piccard war zu diesem Zeitpunkt bereits tot, der Schweizer starb 2008. Er erlebte somit auch nicht mehr, wie im April 2019 seine Bestmarke gebrochen wurde: An diesem Tag erreichte der Amerikaner Victor Vescovo mit seinem Tauchboot „Limiting Factor" ebenfalls im Challenger-Tief die neue Rekordtiefe von 10.928 Metern.