Sieben auf zeitgenössische performative Produktionen spezialisierte Theater haben sich in Deutschland zu einem Bündnis zusammengetan. So können sie knappere Ressourcen besser nutzen und erreichen durch Kooperationen ein breiteres Publikum.
Es sind die größten und bedeutendsten Häuser der zeitgenössischen performativen Künste in Deutschland – darunter das Hau (Hebbel am Ufer) in Berlin oder das Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt am Main. Experimentell, grenzoffen, mit vielen Schnittstellen zwischen Theater, Performance, Tanz und Musik. Sie verstehen sich als kultur- und gesellschaftspolitische Akteure, die Kunstschaffende mit verschiedenen Zuschauergruppen zusammenbringen, einen vielfältigen Austausch sowie regen gesellschaftlichen Diskurs fördern.
Immer schon gab es zwischen diesen Produktionshäusern Kontakte, aber vor vier Jahren war ein Punkt erreicht, an dem sich die Frage stellte, wie man Ressourcen besser nutzen, von den Erfahrungen der anderen profitieren und wie letztlich die freie Szene gestärkt werden könnte. Das sagt Dramaturg Arved Schultze, der für das Bündnis Internationaler Produktionshäuser arbeitet. „Es gab das Bedürfnis, vieles gemeinsam zu machen." „Und das Selbstbewusstsein, dass diese Häuser wichtig sind für die Stadtgesellschaft", ergänzt Barbara Schindler, verantwortlich für die Kommunikation. „Wir bieten einer wichtigen Kunstform eine Bühne und bilden etwas ab, was man sonst nicht findet. Wir sind Gleichgesinnte, die an aktuellen Themen arbeiten. Vereint und überregional wahrgenommen kommen wir zu einer ganz anderen Sichtbarkeit."
Zwar werden alle Häuser von den jeweiligen Bundesländern und den Kommunen betrieben und unterhalten, aber die Etats sind im Unterschied zu den Staats- und Stadttheatern gering. Die Münchener Kammerspiele beispielsweise erhalten von der Stadt eine jährliche Förderung von rund 35 Millionen Euro. Das Hau in Berlin bekommt etwa sieben Millionen Euro an institutioneller Förderung. Ähnlich sieht es bei den anderen Mitgliedern des Bündnisses aus.
2015 entschieden sich die sieben Theater dazu, einen Antrag bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien einzureichen. Der überzeugte, und inzwischen ist die Förderung der internationalen Produktionshäuser bis zur Spielzeit 2021/2022 verlängert worden. Insgesamt stehen dem Bündnis vier Millionen Euro zur Verfügung.
Von dieser Fördersumme werde ein Teil paritätisch verteilt an die sieben Einrichtungen – darunter Pact Zollverein, ein Choreografisches Zentrum in Essen, und das Hamburger Kampnagel, erklärt Dramaturg Arved Schultze. Ein Teil wiederum sei für gemeinsame Projekte vorgesehen wie beispielsweise eine eigene Programmreihe, ein umfassendes Aus- und Weiterbildungsprogramm aber auch Publikationen. Unter gemeinsam definierten Themenschwerpunkten werden die Auswirkungen des ökonomischen, sozialen, kulturellen und ökologischen Wandels der Städte und der Welt im 21. Jahrhundert künstlerisch umgesetzt. Dazu gehört unter anderem die Reihe „Demokratie im Stresstest" – unter diesem Motto fanden bereits Stadtspaziergänge und ein Symposium in Frankfurt am Main oder Theaterperformances in Berlin und Düsseldorf statt.
Ein weiterer Bereich: der „Umgang mit Ressourcen – Nachhaltigkeit". Gerade dieses Thema gewinne mehr und mehr an Bedeutung. „Hier entwickelt das Bündnis neue Strategien, um zeitgemäß reagieren zu können", erklärt Schultze.
Ein Modell, das funktioniert
Ebenso sieht es beim Thema Digitalisierung aus: Digitale Welten selbst werden zum Thema eines Stückes. „Uncanny Valley" ist ein Beispiel dafür, eine Produktion von der Gruppe „Rimini Protokoll" aus Berlin, die in den kommenden Wochen nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich und Belgien zu sehen sein wird. Schultze schwärmt: „Eine extrem realistische Roboterkopie des Schriftstellers Thomas Melle mit modelliertem Gesicht und Echthaar sitzt auf der Bühne und spricht darüber, was Technik kann und darf."
Bereits im November stand das Thema Digitalisierung im Mittelpunkt des Festivals DGTL FMNSM in Dresden. Im „labor #disconnect" wurden die sozialen und kulturellen Auswirkungen einer alle Lebensbereiche durchdringenden Digitalisierung untersucht. Eine Fortsetzung folgt im Juni – dann stehen dort die Erforschung von Potenzialen digitaler Technologien, internetbasierter Netzgesellschaften und neuer Medien an. Das Zentrum Pact Zollverein hat seit 2004 mit „Impact" ein mehrtägiges interdisziplinäres Symposium im Programm. Es führt Kunst und Wissenschaft zusammen und bietet Raum und Zeit für Diskussionen und Experimente. Die „WerkStadt" bei Pact ist ein neuer Begegnungsort in einer ehemaligen Apotheke, in der Menschen aus der Nachbarschaft, Kunstschaffende und Wissenschaftler zusammenkommen, diskutieren, sich auf gemeinsame Kunstprojekte einlassen können.
Die Zukunft mit all ihren möglichen und denkbaren Facetten stand im Fokus des diesjährigen Sommerfestivals in der Kulturfabrik Kampnagel, Deutschlands größter freier Spiel- und Produktionsstätte in Hamburg. Drei Wochen lang wurde dem Publikum ein breites Programm mit Musik, Theater, Film, Performance, Bildender Kunst und Workshops geboten. In diesem Jahr findet das Festival vom 5. bis zum 23. August statt.
Im Hau (Hebbel am Ufer) in Berlin startete 2018 die erfolgreiche, von allen Bündnis-Theatern gemeinsam entwickelte Programmreihe „Claiming Common Spaces", eine Mischung aus Festival und Arbeitstreffen.
Dabei ging es um die Entwicklung der Städte im 21. Jahrhundert durch Migration und Gentrifizierung, aber auch durch die Schließung industrieller Produktionsorte. Beiträge kamen dabei unter anderem aus den Vereinigten Staaten, aus Japan, Chile und Frankreich.
Doch das Bündnis internationaler Produktionshäuser stellt nicht nur gemeinsame Theaterproduktionen und Veranstaltungsreihen auf die Beine, sondern will aus- und weiterbilden. Dazu wurden drei Akademien ins Leben gerufen, die sich „Performing Arts Producern", dem Theaterjournalismus aber auch der Vermittlungsarbeit widmen.
Im vierten Jahr des Theaterbündnisses zeigt sich, dass das ausgefeilte Kooperationsprojekt der freien Szene ein Erfolgsmodell ist. Die Auslastung der sieben Häuser sei sehr, sehr gut, sagt Schultze, die gemeinsam entwickelten Strukturen würden gerade richtig Fuß fassen.
Wichtig aber sei, ergänzt die Pressereferentin Barbara Schindler, dass eine zuverlässige Förderung langfristig dabei helfe, die freien darstellenden Künste zu stärken.