„Mother Africa – New Stories From Khayelitsha 2020", ein atemberaubendes Spektakel, geht in einer Neufassung von Georges Momboyé auf Tournee. Der 50-Jährige gilt als einer der bedeutendsten Theatermacher Afrikas.
Herr Momboyé, wie muss man sich Ihre Neufassung der Zirkusshow „Mother Africa" vorstellen?
Als Choreograf der neuen Fassung möchte ich den Geist Afrikas auf die Bühne bringen. Es gibt darin viele Tanzelemente, aber auch andere Formen der Bewegung.
Kann man das wahre Afrika überhaupt auf einer Bühne zeigen?
Das wahre Afrika zu zeigen ist sehr schwer, weil es so viele verschiedene Gesichter hat. Selbst ich weiß nicht genau, was das sein soll. Aber ich will die wahren Talente aus Afrika zeigen. Artisten, die den afrikanischen Spirit verstehen.
Was genau ist der „African Spirit"?
Man kann ihn sofort sehen, fühlen und riechen, wenn man in eine Vorstellung von „Mother Africa" kommt. Das, was ich mit meinen Tänzern erarbeite, lebt von der Kommunikation zwischen den Künstlern und dem Publikum. Ich möchte einen direkten Dialog herstellen. Man soll verstehen, wie wir Afrikaner denken und fühlen.
Steht dieser Spirit für eine bestimmte Verhaltensweise?
Wenn du ein Talent hast und es verkümmern lässt, dann ist das ein Frevel. Ich möchte mit Leuten arbeiten, die sich ihrer Fähigkeiten bewusst sind. Auch wenn ich nicht weiß, wo mein Talent herkommt, muss ich jeden Tag dafür arbeiten. Ich darf meinen Körper und meinen Geist nicht mutwillig zerstören.
Warum gibt es in Afrika so viele junge Talente?
Weil in Afrika traditionelle Festivitäten eine große Rolle spielen. Wir huldigen dem Körper, dem Geist, der Seele, dem Raum. Wir probieren alles aus, was mit unserem Körper möglich ist. Wir denken, wenn man auf den Füßen laufen kann, müsste das eigentlich auch auf den Händen möglich sein. Das Wissen um die Verbindung von Körper, Geist und Seele hat bei uns eine immense Bedeutung.
Wie kommt die Verbindung von Körper, Geist und Seele bei „Mother Africa" zum Tragen?
Das ist ein sehr umfassendes Thema. Die Kunst der Artisten bei „Mother Africa" lebt vom Zusammenwirken dreier Komponenten: dem Herz, dem Körper, dem Geist. Der Geist kommuniziert mit dem Herz und dem Körper – und umgekehrt. Der Körper trägt das Gewicht der anderen beiden Komponenten. Es ist so ähnlich wie bei der Heiligen Dreifaltigkeit mit Vater, Sohn und Heiligem Geist.
Wie sehr sind die mitwirkenden Artisten noch ihren alten Traditionen, den spirituellen Ritualen, Kunstformen und Geisterwelten verhaftet?
Die Show „Mother Africa" ist eine Plattform, anhand derer man sehen kann, wo diese Tänze, die Musik und die Zirkusnummern herkommen. Sie ist durchdrungen vom Geist des traditionellen Afrikas.
Heute ist alles globalisiert. Wie gehen Sie damit um?
Das ist ein großes Problem. Früher gab es in den Städten und Dörfern kein Fernsehen und kein Telefon. Heute stehen die Apparate sogar im hintersten Ort im Dschungel. So können die Leute sich anschauen, wie man in Amerika lebt. Und sie wollen genauso leben. Auf diese Weise verlieren wir nach und nach unsere Traditionen. Mit dieser Show versuchen wir, authentische afrikanische Kultur zu zeigen. Nicht die ganze Zeit, aber streckenweise. Gegen die kulturelle Globalisierung kann man sich kaum wehren, dieser Verdrängungs- und Vermischungsprozess ist zu stark. Überall auf der Welt laufen im Radio und Fernsehen die gleichen Sachen.
Wird in den Straßen der Townships in Afrika tatsächlich so viel getanzt und gesungen, wie es die Show suggeriert?
Natürlich tanzt nicht jeder in Afrika wie ein Profi, aber der Tanz spielt in unserer Gesellschaft eine zentrale Rolle. Manche tanzen zum Beispiel, um mit Geistern Kontakt aufzunehmen. Auf diese Weise wollen sie die Vergangenheit hinter sich lassen und sich auf die Zukunft vorbereiten.
Im Nationalballett der Elfenbeinküste studierten Sie neben afrikanischem Tanz auch zeitgenössisches Ballett und Tanzformen des Jazz. Später gingen Sie nach New York und schließlich nach Paris, wo Sie eine eigene Kompanie gründeten. Was inspiriert Sie heute?
Es sind vor allem meine afrikanischen Wurzeln, die mich inspirieren. Ich habe alles in Afrika gelernt. Dann bin ich nach Amerika gegangen, um meine Kenntnisse zu vertiefen. Heute lasse ich mich von den verschiedensten Dingen beeinflussen, sogar von klassischer Musik oder Pop. Ich kann bis heute nicht sagen, wohin meine Kunst sich entwickelt, weil ich einfach sehr offen bin.
Sie sind der Enkel eines ivorischen Stammeshäuptlings, zu dessen Aufgaben Zeremonien und Tanzrituale gehörten.
Mein Großvater war der Häuptling einer ganzen Region. Eines Tages wurde er krank, aber in dem Dorf, wo er lebte, gab es keine Medizin für ihn. Also ging er heimlich weg, weil er Angst hatte, dass die anderen Dorfbewohner auch krank werden könnten. Er lebte fortan im Dschungel, wo er dann auch starb. Seine einzige Kontaktperson war mein Vater.
Wie wurde der Tanz für Sie zu einem selbstverständlichen Teil Ihres Lebens?
Als kleiner Junge habe ich ziemlich gestottert. Was dagegen geholfen hat, war Bewegung, Tanz, Artistik. Auf diese Weise konnte ich mich verständlich machen. Zuerst war bei mir die Bewegung da und erst dann die Stimme. Deswegen ist der Tanz in meinem Leben so wichtig.
Zeigen Sie nur die positive Seite, die ein Township in Afrika auszeichnet?
„Mother Africa" ist eine Show, die viele Seiten des Kontinents zeigt. Zum Beispiel das neue Herz Afrikas. Es ist voller Liebe und Hoffnung für die Zukunft. Die Show ist ein Abbild der neuen Vision Afrikas.
Wie haben sich die Schwarzafrikaner, die oft in Armut leben müssen, so viel Lebenslust, Freude, Ausgelassenheit und Unbeschwertheit bewahrt?
Ich kann nicht für jeden Afrikaner sprechen. Aus eigener Erfahrung weiß ich aber, dass es eigentlich für jedes Problem eine Lösung gibt. Auch wenn man sehr arm ist. Ich glaube, Liebe ist die Lösung.
Wollen Sie mit Ihrer Arbeit auch eine Veränderung bewirken?
Natürlich. Als kreativer Mensch möchte ich mit jedem Projekt neue Ideen umsetzen beziehungsweise neue Entwicklungen anstoßen. Ich träume davon, eines Tages mit den besten Künstlern Afrikas und den neuesten Technologien eine innovative Show auf die Beine zu stellen.
Sind Sie optimistisch oder pessimistisch, wenn Sie in die Zukunft schauen?
Ich bin mehr als optimistisch, was die Zukunft Afrikas angeht. In Afrika liegt die Zukunft. Viele Menschen von dort wollen nach Europa, dabei bietet ihnen ihr Kontinent heute so viele Möglichkeiten. Das Problem ist, dass die afrikanischen Medien zu sehr auf Europa fokussiert sind. Deswegen herrscht dort der Irrglaube, dass man nur hier Geld verdienen kann. Aber ich bin mir sicher, dass man auch in Afrika überleben kann. Es gibt in meiner Heimat viele Möglichkeiten, aber viele sehen sie leider nicht.
Interessiert man sich in Europa nur für Afrika-Kitsch, nicht aber für die tatsächliche Kultur?
Das weiß ich nicht genau. Es kann sein, dass manche Leute in die Show gehen, weil sie Afrika-Klischees sehen wollen. Aber was sie von uns geboten bekommen, ist etwas ganz anderes. Ich will die Zuschauer wirklich überraschen, indem ich ihnen ein anderes Gesicht Afrikas zeige. Viele Europäer wissen gar nicht, was dort kulturell wirklich passiert.
Sie leben seit Jahrzehnten in Europa. Fühlen und denken Sie trotzdem immer noch wie ein Afrikaner?
(lacht) Bei mir zu Hause sagt man: Wenn man lange genug im Wasser lebt, fängt man irgendwann an, Fisch zu essen. Wir Afrikaner denken anders. Unsere Kultur ist anders. Wir bringen eine andere Farbe nach Europa. Ich stehe zu meinen Wurzeln und meiner Persönlichkeit, aber ich liebe es, dazuzulernen. Ich möchte meine afrikanischen Erfahrungen mit Menschen in Europa teilen, die ihre eigenen Erfahrungen gemacht haben.