Während in Berlin die „Grüne Woche", stattfindet, wird demonstriert: konträr und wütend. Der Druck auf die Bauern steigt, von Politik und Gesellschaft. Sie fühlen sich von allen missverstanden. Aber sie sind keine Opfer, und sie sind die letzten, die Opfer sein wollen.
Fast täglich folgt derzeit eine Agrardemonstration der nächsten auf dem Fuß. Schwer, noch den Überblick zu behalten. Noch bevor an diesem Samstag die schon traditionelle „Wir-haben-es-satt"-Demo in Berlin Zigtausende für Tierwohl und ökologische Landwirtschaft auf die Straße treibt, haben die Bauern selbst ihren Unmut demonstriert. In Bayern machten sie (erfolgreich) der CSU Druck, auch in Berlin waren wieder blockierende Trecker unterwegs. Das hat nur teilweise mit der Grünen Woche zu tun, die gerade zum 85. Mal in Berlin stattfindet.
Es ist nicht mehr zu übersehen: Die Landwirte machen Stress – und sie sind im Stress. Aktuell wollen sie verhindern, dass die Bundesregierung die Gülle-Verordnung verschärft, mit der diese das Grundwasser besser schützen will. An vielen Orten Deutschlands ist die Nitratbelastung des Trinkwassers zu hoch, Deutschland drohen daher hohe Strafen weil EU-Grenzwerte verletzt werden. Doch die ab April geplanten strengeren Vorschriften lehnen viele Bauern ab. Der neuen Spontan-Gruppierung „Land-schafft-Verbindung" gelingt es regelmäßig, die Wut der Bauern zu mobilisieren.
Aber der Streit um die Gülle ist nur ein Symptom. In Wirklichkeit geht es um viel mehr: Die Bauern kämpfen um ihre Anerkennung. Sie sind unzufrieden mit dem Bild, das die Gesellschaft von ihnen hat. Und da dieses Bild nun mal primär in den Städten gemacht wird, kommen auch sie in die Städte. Kaum jemand dankt es ihnen noch, dass sie die Ernährung der Bevölkerung sichern, die gilt als selbstverständlich. Stattdessen müssen sie sich überall und ständig rechtfertigen, so scheint es: für belastetes Grundwasser, für Klimagase, für Tierquälerei. „Es herrscht eine riesige Lücke zwischen der Praxis der Landwirte und den gesellschaftlichen Erwartungen in puncto Tierwohl, Insektenschutz, Grundwasser oder Klimaschutz", sagt Michael Wimmer, Geschäftsführer der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg. In den Städten erwarten die Menschen gesunde Lebensmittel, möglichst günstig, ökologisch angebaut und am besten von glücklichen Tieren. Viele Landwirte würden ja gerne, aber sie können nicht. Viele geben auf, aufgerieben zwischen Erwartungs- und Marktdruck. Nur noch etwa 600.000 Menschen arbeiten fest in der Landwirtschaft. Einst waren es Millionen.
Streit um die Gülle ist nur ein Symptom
Die Realität auf dem Land kann bei der gesellschaftlichen Erwartung oft nicht mithalten, trotz stetig steigender Bio-Produktion. Der einzelne Landwirt steht unter dem Druck der europaweiten oder gar globalen Märkte, denen er ziemlich ausgeliefert ist. Die EU-Agrarpolitik könnte zwar helfen, und das tut sie teilweise auch, aber das ist offenbar zu wenig. Laut einer Forsa-Umfrage aus dem vergangenen Jahr sind zwei Drittel der Landwirte unzufrieden mit der EU-Agrarpolitik. 91 Prozent der Befragten wünschen sich insbesondere eine bessere Förderung tierfreundlicher Tierhaltung. Das nun geplante Verbot des Kükenschredderns müsste ihnen da recht sein.
Auch die Verbraucher misstrauen der Landwirtschaft. Laut einer kürzlich veröffentlichten Umfrage des Umweltbundesamtes glauben 86 Prozent, es gehe der EU-Agrarpolitik hauptsächlich um die Interessen der Industrie, nur knapp die Hälfte glaubt, es gehe um die Landwirte, und nur 38 Prozent sehen die Verbraucher als Gewinner.
Dabei werden sie immer anspruchsvoller: Auf der einen Seite der Skala wollen sie immer bessere Qualität. Das betrifft das Leben der Tiere und ihre Verarbeitung. Auf der anderen Seite zählt für viele nur das billige Schnitzel. Die Landwirte können es da offenbar kaum noch jemandem recht machen. Bundesagrarministerin Julia Klöckners Angebot zum „Dialog zwischen Gesellschaft und Landwirtschaft" wirkt da reichlich hilflos. „Es ist extremer Dampf im Kessel, da gibt es großen Handlungsbedarf. Die Unzufriedenheit ist vor allem psychologisch, weniger wirtschaftlich. Die Landwirte sind es satt, dass sie für etwas geprügelt werden, wofür sie als einzelne Tierhalter gar nichts können", sagt Öko-Verbandsmanager Wimmer.
Beispiel Schweinemastbetriebe: Da herrscht extremer Wettbewerb. Der Bauer, der den Tieren was Gutes tun will, bleibt auf den Mehrkosten sitzen. „Da fliegt er ganz schnell aus dem Markt", sagt Wimmer. Kein Wunder, dass offenbar fast alle Bauern auf mehr Hilfe aus Brüssel setzen. Auch verständlich der Widerstand gegen das Mercosur-Abkommen, mit dem der Importdruck von billigem Fleisch aus Südamerika noch mal deutlich zunehmen wird.
„Es herrscht extremer Dampf im Kessel"
Die Politik kann Vertrauen schaffen, aber sie kann den Landwirten die Aufgabe nicht abnehmen, die gesellschaftliche Rolle ihres Berufsstandes zu definieren. Die Kritiker der Agrarpolitik betonen ein politisches Mitspracherecht der einzelnen als Steuerbürger, weil jeder pro Jahr 114 Euro für Agrarsubventionen zahle. Und, so ihr Argument, die Bauern müssen umlernen. Viel Ärger rühre daher, dass die Bauern, mit kräftiger Unterstützung von Politikern und Bauernverband, lange Jahre die Augen verschlossen haben vor den Zeichen der Zeit. Wer Respekt erwartet, muss auch zuhören können.