Europa gehört zur DNA des Saarlandes. Grenzüberschreitendes Zusammenarbeiten ist aber keine pure Selbstverständlichkeit, sondern oft mühsam errungen. Das Saarland hat derzeit den Vorsitz in der Großregion. Für Landtagspräsident Stephan Toscani die Chance, Themen voranzutreiben.
Herr Toscani, hat der Landtag jetzt das Thema Europa entdeckt?
Der Europaauftrag ist in der saarländischen Verfassung fest verankert. Dieser Auftrag gilt für alle Verfassungsorgane, also auch für das Parlament. Wir sind übrigens das erste Bundesland, das das getan hat. Das Thema Europa ist für das Saarland im Herzen Europas elementar. Europa gehört zur DNA der Saarländerinnen und Saarländer.
Das ist unbestritten. Aber was weiß der gemeine Saarländer schon über die Arbeit des IPR oder was nutzt ihm das eigentlich?
Mir geht es darum, den IPR bekannter zu machen und seinen Wert für die Bürger in der Großregion zu verdeutlichen. Im Gegensatz zu den nationalen Regierungen zum Beispiel in Paris und Berlin sind wir an den Problemen in der Großregion und an den Menschen viel näher dran. Wir haben viel mehr praktische Erfahrungen damit, wie die Situation der Grenzgänger zu verbessern ist. Deswegen ist ein wichtiges Ziel der Präsidentschaft, die Anliegen der Großregion stärker in die Hauptstädte Berlin, Paris und Brüssel zu bringen – Luxemburg gehört selbst zur Großregion – und sie bei den politischen Entscheidungsträgern zu platzieren. Ein weiteres Ziel ist die bessere Verzahnung der drei Institutionen – Gipfel der Exekutiven, IPR und Wirtschafts- und Sozialausschuss der Großregion.
Was wurde 2019 konkret gemacht und was ist 2020 vorgesehen?
2019 haben wir ein Treffen des IPR mit Europaabgeordneten unserer Großregion Saar-Lor-Lux in Brüssel organisiert inklusive dem neuen Luxemburger EU-Kommissar Nicolas Schmit.
2020 ist eine IPR-Tagung mit bundesdeutschen Entscheidungsträgern in Berlin geplant. Der im Januar 2019 abgeschlossene Aachener Vertrag Elysées 2.0 ist zwar ein bilaterales Vertragswerk zwischen Frankreich und Deutschland, aber er ermöglicht ausdrücklich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Regionen. Das hilft uns auch in der Großregion.
Die Rede des ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker im saarländischen Landtag war ein Highlight. Und der Besuch von Patrick Weiten als Präsident des Mosel-Departements im saarländischen Landtag steht für einen verbesserten Austausch zwischen den Parlamenten der Teilregionen.
Noch mal: Was haben die Menschen in der Großregion konkret davon?
Wir planen 2020 ein Forum für die Jugend der Großregion. Die Jugendlichen sollen ihre Anliegen hinsichtlich der Zukunft Europas und der Großregion diskutieren. Sie sind nicht nur Saarländer, Lothringer, Luxemburger, Wallonen oder Deutsche, Franzosen, Luxemburger, Belgier, sondern auch Europäer und Bürger der Großregion.
Wir haben zum Beispiel mit unseren begrenzten finanziellen Mitteln jungen Nachwuchsjournalisten der gesamten Großregion die Möglichkeit geboten, ein Praktikum im jeweils anderen Land bei den Medien zu absolvieren. Das ist erfolgreich verlaufen.
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir als IPR keine gemeinschaftliche Gesetzgebungskompetenz haben und über kein eigenes Haushaltsbudget verfügen. Das führt zugegebenermaßen dazu, dass wir in der breiten Öffentlichkeit nicht so wahrgenommen werden wie manch andere Institution. Auch ist die Mitgliederstruktur des IPR sehr heterogen zusammengesetzt. So ist Luxemburg ein Nationalstaat mit allen Befugnissen, die Bundesländer Saarland und Rheinland-Pfalz haben als deutsche Bundesländer begrenzte Gesetzgebungskompetenz – im Gegensatz zu Grand Est in Frankreich. Da herrscht naturgemäß ein Ungleichgewicht. Hinzu kommen die unterschiedlichen politischen Kulturen in den jeweiligen Ländern. Das macht die Zusammenarbeit aber auch ungemein spannend. Als Europa im Kleinen sind wir in der Großregion das Labor für Europa.
Also beraten ja, entscheiden nein. Da bleibt nicht viel Spielraum, um für Europa zu begeistern.
Wir arbeiten konkret an vielen Themen, die die Menschen in der Großregion bewegen. Bei der Konferenz der regionalen Flughäfen der Großregion im Oktober 2019 ging es darum, Gemeinsamkeiten zu finden und Interessen auszuloten. Ziel ist, dass regionale Flughäfen Subventionen auch nach 2024 erhalten und damit existieren können. Oder das Thema Ausbau der Moselschleusen: Hier gibt es seitens der Wirtschaft in Lothringen, Luxemburg und Saarland/Rheinland-Pfalz ein gemeinsames vitales Interesse. Beispiel Erinnerungskultur. Ein Thema, das in allen Teilregionen emotional geführt wird und nicht in Vergessenheit geraten darf. Die Taskforce für Grenzgänger oder die Universität der Großregion sind weitere Beispiele für die gelungene Zusammenarbeit.
Wir werden im IPR zwar keine revolutionären Veränderungen herbeiführen, aber evolutionäre Entwicklungssprünge sind durchaus machbar, wie die Praxis zeigt. Zwar verfügt der IPR nur über beratende Funktionen, aber wir greifen konkrete Themen auf und machen den Regierungen unserer Teilregionen Lösungsvorschläge.
Woher kommt das Geld für Projekte?
Was die Finanzierung angeht, haben wir mit dem Interreg-Programm der EU ein ideales Förderinstrument. Allein in der Förderperiode 2014 bis 2020 stehen der Großregion rund 140 Millionen Euro aus dem Interreg-Programm zur Verfügung. Hinzu kommt die Co-Finanzierung über die öffentlichen Haushalte in den jeweiligen Ländern. Ob nun grenzüberschreitendes autonomes Fahren, die Gesundheitskooperation zwischen Forbach und Völklingen, die Zusammenarbeit der Feuerwehren im INTER Red, grenzüberschreitende Ausbildungsinitiativen, Seniorenbegegnungen … all’ das wäre ohne Interreg, also ohne die EU, in dieser Form nicht vorstellbar. Europa begegnet uns jeden Tag.
In irgendeinem Land wird immer gewählt. Inwiefern erschwert das die Alltagsarbeit in der politischen Zusammenarbeit der Großregion?
Das gehört nun einmal zur Demokratie dazu. Neue Ansprechpartner können zu neuen Ideen führen, Projekten neuen Elan verleihen. Das ist ein Stück weit gelebter demokratischer Alltag und das ist gut so.
Wie steht es eigentlich um die Frankreich-Strategie des Saarlandes?
Das Saarland ist eine Brücke zwischen Deutschland und Frankreich. Die Frankreich-Strategie ist an alle Saarländerinnen und Saarländer gerichtet, ob Zivilgesellschaft, Wirtschaft oder in Politik, Kultur oder Sport. Im Aachener Vertrag gilt das Saarland sogar als Referenz für die Mehrsprachigkeit. Daran arbeiten wir weiter.