Die Fachstelle für grenzüberschreitende Ausbildung der Verbundausbildung Untere Saar vermittelt Praktika an Jugendliche und junge Erwachsene aus Deutschland und Frankreich im jeweiligen Nachbarland. FORUM hat eine junge Praktikantin nach Metz begleitet.
Ein Dienstagmorgen in der Fußgängerzone im nordfranzösischen Metz. In dem Geschenkeladen „Nature et Découvertes" schlendert eine Kundin von Regal zu Regal und lässt ihren Blick über die Waren schweifen. Wirklich zielstrebig wirkt sie nicht, weshalb eine Mitarbeiterin des Geschäfts sofort zur Stelle ist: „Est-ce que je peux aider?", fragt Tina Graf, ob sie helfen kann. Die 18-jährige Fachabiturientin ist nach einer Woche im Betrieb noch etwas schüchtern. Die Kundin lächelt sie an und schüttelt den Kopf. Sie ist zufrieden und sieht sich nur um. Wirklich beraten hätte Tina Graf sie aber ohnehin in diesem Moment nicht können.
Ein Massagegerät für den Kopf – die Verkaufsregale sind voll von solchen Gimmicks. Für die junge Saarländerin, die derzeit ein dreiwöchiges Praktikum macht, ist es nicht immer einfach, Worte für die Waren zu finden. Das ist auch dem Storemanager Johann Berna bewusst: „Das ist komplett normal", sagt er, während er Tina dabei zusieht, wie sie den Kontakt zu Kunden sucht, „aber wir sind darauf eingestellt. Wir geben ihr dann eben andere Aufgaben, etwa die Vitrine zu gestalten." Berna hat Verständnis dafür, wenn der Kundenkontakt seine Praktikantin in der Anfangszeit noch frustriert, „weil sie keine Worte findet, wenn ein Kunde wissen will, wie ein Produkt funktioniert und sie dieses Produkt nicht kennt".
Die grenzüberschreitenden Praktika in der Grenzregion zwischen dem Saarland, Rheinland-Pfalz und Frankreich sollen die Bereitschaft fördern, in Zukunft mobiler zwischen den einzelnen Ländern zu sein. Derzeit macht die Zahl der Pendler im Alter zwischen 20 und 30 Jahren von Frankreich nach Deutschland knapp zehn Prozent aus. Die EU sieht Nachholbedarf und fördert das Projekt. Das Ergebnis ist, dass Schüler und Berufsschüler wie Tina Graf Teile ihrer praktischen Ausbildung oder kürzere Praktika in Frankreich absolvieren. Die Aufgaben sind vielfältig. Viele gehen in die Gastronomie, andere in Kindertagesstätten oder eben wie Tina Graf in den Einzelhandel. Zu tun gibt es dort einiges, auch, wenn man nicht zwingend im direkten Kundenkontakt stehen will, erzählt sie: „Ich schaue an der Kasse zu, packe Geschenke für Kunden ein und sonst gucke ich immer nach den Produkten, ob sie aufgefüllt sind, helfe ein bisschen und versuche, mit den Kunden zu sprechen."
EU fördert das Praktikums-Projekt
Ist dann mal einer dabei, mit dem sie sich nicht verständigen kann, gibt sie die Aufgabe an die Mitarbeiterinnen des Ladens weiter. Immerhin: Französisch zu verstehen klappt bei ihr schon sehr gut, schließlich ist ihre Mutter Französin. Damit ist sie eine Ausnahme. Denn für ein Praktikum im Ausland interessieren sich auch Jugendliche, die sehr wenig Französischkenntnisse haben. Für Tina Graf ist es leicht, auch kompliziertere Aufgaben zu übernehmen, wie das Dekorieren des Schaufensters. Dazu hat Storemanager Johann Berna ein Prospekt vorbereitet. Bunte Pappsonnen in grün, gelb, orange und pink sind darauf zu sehen. Sie dienen als Deko für Schaufensterartikel wie Duftkerzen und Getränkeflaschen. Wie in dem Prospekt beschrieben, richtet sie das Schaufenster an. Sprechen muss sie ja dabei nicht.
Die Möglichkeit für Deutsche und Franzosen, im jeweils anderen Land ein Praktikum zu absolvieren, gibt es seit zwei Jahren. Tina Graf ist eine von 23 Praktikanten, die in diesem Jahr den Weg vom Saarland oder der Westpfalz über die Grenze gehen. Umgekehrt sind es 86. Das liegt vor allem daran, dass die Praktikumsorganisation für die Franzosen einfacher ist. Für sie sind Praktika obligatorisch, wenn sie ein „Bac-Pro", also das Fachabitur machen. Bei den deutschen muss der Ausbildungsbetrieb erst seine Genehmigung erteilen. Praktika können die jungen Saarländer und Pfälzer in den unterschiedlichsten Sparten absolvieren, erklärt Alexandra Schwarz von der Fachstelle für grenzüberschreitende Ausbildung: „Es kommt immer auf den Ausbildungsgang an, den der Jugendliche gerade macht, wenn er zum Beispiel in Frankreich ein Bac-Pro-Elec macht, dann suchen wir natürlich einen Praktikumsbetrieb in der Elektrobranche. Wir haben zum Beispiel junge Leute, die ein Bac-Pro-Patisserie machen, die möchten dann ein Praktikum im Hotel machen; wir gehen auf die Wünsche und Erfahrungen des Praktikanten ein und suchen dann auch entsprechend einen Praktikumsbetrieb."
Für die Teilnehmer des Programms böten sich einige Vorteile, die über die Sprachkenntnisse hinausgehen, sagt Schwarz: „Uns geht es zunächst einmal darum, dass den Jugendlichen bewusst wird, dass sie hier in einer Grenzregion leben und dass es nicht nur berufliche Möglichkeiten im eigenen Land gibt, sondern dass es zum Beispiel die grenzüberschreitende Ausbildung gibt und man einfach mal über den Tellerrand blicken kann." Oft sei es zudem so, dass die Jugendlichen rückmeldeten, durch das Praktikum selbstbewusster und selbstständiger geworden zu sein, da sie viel selbst organisieren und sich immer wieder durchfragen mussten. „Und weil sie sich einfach auch getraut habe, das zu machen", sagt Schwarz.
Neue Erfahrungen in Sprache und Kultur sammeln
25 Unternehmen aus Lothringen und 84 aus Deutschland bieten in diesem Jahr ein zwei- bis achtwöchiges Reinschnuppern in den Beruf an. Einige freuen sich wegen eines Bewerbermangels im eigenen Land auf potenzielle spätere Arbeitskräfte aus dem Ausland, andere sind generell deutsch-französisch aufgestellt. Storemanager Johann Berna erläutert, weshalb er mit seinem Geschenkeladen mitmacht: „Wir haben uns für eine deutsche Praktikantin entschieden, weil wir deutsche Kunden haben, da wir in der Nähe der Grenze sind. Sie kann uns helfen indem sie ihre deutsche beziehungsweise bilinguale Seite einbringt, wenn wir Schwierigkeiten mit unseren Kunden haben."
Die Praktikanten wiederum erhoffen sich, neben besseren Sprachkenntnissen, auch Vorteile bei späteren Bewerbungen, und einen breiteren kulturellen Horizont. Die 35-Stunden-Woche in Frankreich ist für viele neu, ebenso wie der Umgang mit Kunden und mit Kollegen, die man mit Küsschen begrüßt, oder die Bezahlung mit einem Scheck. Von solchen Erfahrungen profitiert das Projekt, das von Jahr zu Jahr besser angenommen wird. Bis 2021 ist die Finanzierung gesichert. Die Fachstelle für grenzüberschreitende Ausbildung erhält als Interreg-Projekt Unterstützung durch die EU. Alexandra Schwarz: „Dank der Förderung durch das Interreg-Projekt und auch die Wirtschaftsministerien im Saarland und in Rheinland-Pfalz ist es möglich, die Kosten für die Unterkunft und für die Fahrt und Verpflegung zu übernehmen."
Die Praktikanten leben in Gastfamilien, Appartements oder kleinen Pensionen. Tina hat sich eine Gastfamilie gewünscht – denn das hilft ihr, zusätzlich Französisch zu üben und Kontakte zu knüpfen. Langweilig wird es ihr in Metz nicht: „Heute zum Beispiel gehe ich mit meiner Gastschwester ein bisschen in die Stadt. Dann lerne ich auch ein paar Freunde von ihr kennen. So übe ich vielleicht die Sprache auch noch ein bisschen."