„FIFA20" oder „eFootball PES 2020"? Wer hat in dieser Saison die Nase vorn? Wir haben die beiden Platzhirsche unter den Fußballsimulationen getestet.
Nun sag, wie hast Du’s mit der Religion?", lässt Goethe Margarete (Gretchen) die Hauptfigur Heinrich Faust in seinem „Faust" fragen – eine ganz entscheidende Frage für die Protagonistin und das literarische Werk. Ganz ähnlich ist es für viele Computer- oder Konsolenspieler eine echte Glaubensfrage, wenn die Firmen Electronic Arts und Konami Jahr für Jahr die neueste Version ihrer Fußballsimulationen auf den Markt werfen. Sozusagen die Gretchenfrage, die die Gemeinde immer wieder aufs Neue spaltet: „FIFA" oder „Pro Evolution Soccer" (PES)? Für sie kann es nur eines geben.
Dieser „Glaubenskrieg" reicht zurück bis in die 90er-Jahre des vorigen Jahrhunderts. Zwischen den Anfängen und heute liegen spielerisch – und vor allem grafisch – Welten. Andererseits suchte man echte spielerische Innovationen in den vergangenen Jahren vergeblich. Zu ausgereift sind die beiden Serien mittlerweile. Dennoch haben die Marketingabteilungen beider Unternehmen kräftig ihre Werbetrommeln gerührt und echte Neuerungen versprochen. Um es vorwegzunehmen: Die berühmte eierlegende Wollmilchsau sind auch die beiden neuesten Versionen, „FIFA 20" und „eFootball PES 2020", nicht. Beide haben nach wie vor ganz klar ihre Stärken, aber auch unübersehbare Schwächen.
Rein grafisch nehmen sich die beiden Versionen nicht viel. Dennoch hat „PES" hier leicht die Nase vorn, denn die Umsetzung der Spieler wirkt noch ein Stück besser als bei „FIFA", der Wiedererkennungswert der lizensierten Spieler wie Lionel Messi oder Pierre-Emerick Aubameyang ist noch deutlicher als beim Konkurrenten. Auch die Stadien wirken lebendiger und sind wirklich fantastisch animiert. Konami setzt hier eine Scan-Technik ein, um die Umsetzung möglichst detailgetreu hinzukriegen. Bei den Kamerafahrten hat man fast den Eindruck, eine reale TV-Übertragung zu erleben. Tatsächlich sind die Unterschiede aber gering, denn auch „FIFA" bewegt sich in dieser Hinsicht auf einem sehr hohen Niveau.
Ein ganz entscheidendes Plus, mit dem hingegen „FIFA" gegenüber dem Konkurrenten „PES" wuchern kann, ist die Vielzahl an Lizenzen. Bei Electronic Arts kann man nahezu alle europäischen Top-Ligen mit den Original-Vereinsnamen, Wappen und Spielernamen nutzen. Gleiches gilt für die europäischen Wettbewerbe. Hier hat „FIFA" die Rechte für die Europa League und die Champions League komplett allein. Das wirkt sich deutlich auf die Spielatmosphäre aus. Es macht schon einen gewaltigen Unterschied, ob man beispielsweise mit dem FC Liverpool in der Premier League antritt und dort auf Manchester City trifft („FIFA") oder mit Liverpool R in der English League gegen Manchester B („PES") antritt und beide Teams seltsame Fantasie-Wappen haben.
Die Vielzahl an Lizenzen ist ein klares Plus für FIFA
Die Bundesliga oder ein wie auch immer genanntes Pendant fehlen bei „PES" sogar gänzlich. Konami hat nur ganz wenige Lizenzen für die Originalteams: FC Barcelona, Bayern München, Bayer Leverkusen, FC Schalke, Manchester United, FC Arsenal, die aber alle auch in „FIFA" vertreten sind – und Juventus Turin. Die Lizenz für Letztere hat „PES" hingegen wirklich exklusiv, weshalb in „FIFA" Juve fehlt und als Piemonte Calcio geführt werden muss. Zudem hat sich „PES" exklusiv die Lizenz für die Euro 2020 im Sommer gesichert. Dieser Modus soll ab Frühjahr spielbar sein. „FIFA" nutzt die Vielzahl seiner Lizenzen prächtig und inszeniert die Champions League entsprechend – mit Hymne, Logo, Kamerafahrt an den beiden beteiligten Teams vorbei und allem, was dazugehört – eben so, wie man es von Fernsehübertragungen kennt. Das sieht fantastisch aus und trägt unglaublich zur Spielatmosphäre bei. Ehrlicherweise muss man aber auch sagen: Wenn man das Ganze zwei-, dreimal gesehen hat, unterbricht man die Sequenzen später meist, um möglichst schnell spielen zu können.
In beiden Versionen kann man einzelne Spieler per Gamepad steuern oder auch das ganze Team. Wer möchte, kann sich aber auch nur auf Aufstellung und Training konzentrieren (Karriere) und das Spielergebnis simulieren, also den Computer entscheiden lassen. Wer lieber selbst ins Spiel eingreifen will, der findet sich in beiden Spielen sehr schnell zurecht. Der Realismusgrad in „PES" ist aber deutlich höher. Vor allem Taktiker kommen hier auf ihre Kosten. Jede Position, fast jeder Laufweg jedes einzelnen Spielers lassen sich ganz individuell festlegen. Der Spielaufbau und die Spielzüge sind zudem erheblich langsamer und sehen eher nach realem Fußball aus als bei „FIFA". „PES" legt größeren Wert auf Ballphysik und realistische Spielerbewegungen. Beim Konkurrenten hingen läuft alles deutlich schneller ab, das Ganze wirkt arcadelastiger – damit aber auch ansprechender für eine Vielzahl von Spielern, denn es führt dazu, dass bei „FIFA" einfach mehr Action auf dem Platz herrscht.
Wer möchte, kann in beiden Spielen – aber insbesondere in „FIFA" – eine Vielzahl an Spezialbewegungen lernen, die sich mit unterschiedlichen Tastaturkombinationen ausführen lassen. Das Wort „lernen" ist hier durchaus wörtlich zu nehmen, denn man muss kräftig üben, um sich auch nur einen Bruchteil des Machbaren anzueignen. Nötig für den normalen Spielablauf ist das alles nicht unbedingt, sieht aber sehr schick aus, wenn man es beherrscht. Wer sich online mit anderen Spielern in anspruchsvollen Wettbewerben ernsthaft messen und dabei vor allem erfolgreich sein möchte, wird ums Lernen nicht herumkommen.
Beide Games bieten unterschiedliche Spielmodi. Man kann wie bereits erwähnt online in verschiedenen Wettbewerben gegen andere Spieler weltweit antreten. In anderen Modi kann man – ähnlich einem Quartett – Karten mit Spielern freispielen, gewinnen oder kaufen, so sein ganz eigenes Team aus den besten Spielern zusammenstellen und gegen andere Gamer antreten („FIFA"/Ultimate Team, „PES"/My Club).
PES legt größeres Augenmerk auf Realismus
Beide Hersteller haben in diesem Jahr auch in ihren jeweiligen Karrieremodus investiert. Hier übernimmt man einen Verein und ist Trainer und Manager in Personalunion. Man trainiert Spieler, stellt Scouts ein, die sich um den Nachwuchs kümmern, führt Vertragsverhandlungen, stellt das Team auf und vieles mehr. Während man sich bei „FIFA" selbst ein Alter Ego gestalten kann, schlüpft man bei „PES" in die Rolle eines Startrainers, etwa Diego Maradona oder Johan Cruyff. Bei „FIFA" nimmt man regelmäßig an Pressekonferenzen teil und muss Spielergespräche führen, die Auswirkungen auf die Motivation der Kicker haben. „PES" bietet Ähnliches in einer Geschichte mit zahlreichen Zwischensequenzen. Was „FIFA" im Vorfeld als große Neuerung verkauft hat, ist im Endeffekt aber eher mau. Zu schnell hat man den Dreh raus, welche Antworten man geben muss, damit sich diese positiv auf die Motivation auswirkt. Ohnehin sind die Antwortmöglichkeiten sehr begrenzt. Dennoch ist der Karrieremodus die beste Spielvariante für Gelegenheitsspieler. Man kann gemütlich vor sich hin spielen, und wenn man mal keine Zeit oder Lust hat, den Spielstand einige Wochen später einfach an dieser Stelle wiederaufnehmen. Wer online unterwegs ist, muss hingegen regelmäßig spielen, um Erfolg zu haben.
„FIFA" trumpft in diesem Jahr noch mit einer besonderen Variante auf: Volta, eine Abwandlung des früheren „FIFA Street". Es wird auf einem Kleinspielfeld ausgetragen im Modus drei gegen drei bis hin zu fünf gegen fünf und bietet reichlich neue taktische Möglichkeiten – insbesondere, wenn man in einigen Spielfeldern die Bande einbeziehen kann. Auch wer Tricks und Spezialbewegungen liebt, wird hier glücklich werden. Auch hier gibt es mehrere Spielvarianten – ob allein oder im Mehrspielermodus.
Noch ein Wort zu den Kommentatoren in beiden Spielen. In „FIFA" übernehmen diese Rolle in den Matches wie schon in den Vorjahren Wolff-Christoph Fuß und Frank Buschmann. Bei „PES" wie gewohnt Hansi Küpper und Marco Hagemann. Wenngleich es wenig neue Sprüche gibt, ist die Umsetzung bei „FIFA" um einiges besser gelöst als bei „PES". Dort nervten in unserem Test die belanglosen Sprüche schon nach kurzer Zeit so sehr, dass wir den englischen Kommentar auswählten. Allerdings passen auch bei „FIFA" viele Sprüche nicht zum Spielgeschehen; insbesondere bei internationalen Spielen. Auch hier ist der englische Kommentar besser.
Kommentare passen in beiden Spielen nicht immer
Fazit: Wer Wert auf möglichst umfangreiche Lizenzen mit Originalnamen der Wettbewerbe, Ligen, Vereine und Spieler legt, sollte zu „FIFA20" greifen. Wer hingegen Wert auf Realismus und korrekte Ballphysik legt, zu „PES". Spaß machen beide Spiele, und beide bieten eine hohe Langzeitmotivation. Wer sich online beweisen will, findet bei „FIFA" deutlich mehr menschliche Gegner. Ansonsten bleibt es die Gretchenfrage.