Acht Jahrzehnte lang hat er sich mit dem Thema Schwarz beschäftigt – der französische Maler Pierre Soulages. Im Dezember wurde er 100 Jahre alt – der Pariser Louvre ehrt ihn und sein Lebenswerk mit einer Ausstellung.
Man kann ihn wohl als „Maître du Noir" – als Meister der Schwarztöne – bezeichnen mit seinen zumeist großformatigen, schwarzdominierenden Werken. Der am 24. Dezember 1919 im okzitanischen Rodez geborene Pierre Soulages gilt als Vorreiter der abstrakten, französischen Gegenwartsmalerei.
Mit unterschiedlichsten Techniken experimentiert
Kurz nach seinem Studium an der Ecole des Beaux-Arts in Montpellier in den 40-er Jahren und einer Übergangsphase als Winzer in Montpellier (so konnte er sich mit gefälschten Papieren der Rekrutierung zur Zwangsarbeit in Deutschland entziehen), wurde er von Hans Hartung entdeckt. Schon immer hatte er abstrakt gemalt. Intuitiv habe er sich von Beginn seines Schaffens vom Schwarzen angezogen gefühlt, zunächst im Kontrast zu Weiß, erzählte er mehrfach in Interviews. Mit Werkzeugen wie Bürsten, Besen, Holz- und Gummistücken erzeugt er Kerben, Rillen und Furchen, dadurch bringt er die darunter liegenden Farben wie Indigoblau, Gelb oder Rostrot zum Leuchten. Seine Werke positionieren sich zwischen Malerei und Grafik, denn er experimentiert seit Beginn seiner Karriere mit Techniken wie der Lithografie oder der Gouachemalerei (bei der stark abdeckende hoch pigmentierte Farbe benutzt wird). So erzielt Soulages mit dem Einsatz von „Brous de Noix" – einer eigentlich zum Beizen benutzten erdbraunen Farbe aus Walnussextrakt – monochrome Farbnuancen. Durch die unterschiedlich lange Einwirkzeit sieht das geradezu reliefartig aus.
Eine großzügige Schenkung
Schon früh hat sich der Künstler als Lichtfänger (Chasseur de lumière) begriffen und beschrieb es so: „C’est ce que je fait m’apprends ce que je cherche (Das was ich mache, lehrt mich, was ich suche)". So habe er 1978 durch eine plötzliche Eingebung die Kraft des reinen Schwarzes als Indikator für Licht entdeckt, sagt Pierre Soulages. Von diesem Zeitpunkt an gestaltete und modulierte er über eine dick aufgetragene und ausgestrichene Farbe die Reflexion des Lichtes. Diese Technik nennt er „Outrenoir" (Jenseits von Schwarz) und verwendet sie seit mittlerweile 40 Jahren – ohne Unterbrechung. Für den Betrachter werden so die Werke je nach Lichtverhältnis im Raum immer wieder neu erlebbar – insbesondere, wenn man sich ihnen aus unterschiedlichen Perspektiven nähert und sich die Zeit nimmt, sich auf die zunächst überwältigend und oft düster wirkenden Tableaus einzulassen.
Das kann man das ganze Jahr über in Rodez, der Geburtsstadt des Künstlers im Südwesten Frankreichs. 2005 überließ Soulages ihr mit generöser Geste die umfangreichste Sammlung, die je ein Künstler zu Lebzeiten vermacht hat. Der Wert dieser bisher größten Schenkung wird auf rund 35 Millionen Euro geschätzt. 2014 wurde ein Museum gebaut, um die Kunstwerke der Öffentlichkeit dauerhaft zugänglich machen zu können – seitdem pilgern Soulages-Fans aus aller Welt in die Hauptstadt des Departments Aveyron.
Architektur aus Stahl und Glas
Ein bisschen surreal mutet es schon an, dass mitten im Stadtgarten von Rodez fünf Kuben stehen – wie rostige Tempel leuchten sie kupferfarben in der Sonne. Ein Entwurf des katalanischen Architekturbüros RCR Aranda Pigem Vilalta, das sich bei der Ausschreibung gegen französische und japanische Mitbewerber durchgesetzt hatte. Die Kuben aus Glas- und Stahl sind das perfekte Material für das Museumsgebäude, denn die rau wirkende Außenhaut ist von der Witterung geprägt, scheint zu atmen. Im Inneren sind die Wände, Treppen und Fußböden mit matt poliertem Stahl ausgekleidet. Ein Drittel der Gesamtfläche steht für die ständige Sammlung zur Verfügung – dazu finden wechselnde Ausstellungen bedeutender Künstler statt.
Von den rund 500 Werken, die Soulages der Stadt Rodez schenkte, sind etwa die Hälfte zu sehen – großflächige Leinwandarbeiten (1946 bis 1986), aber auch Kupferstiche, Lithografien und Siebdrucke und viele seiner Malereien auf Papier.
Fenster für ein romanisches Meisterwerk
Ebenso Teil der Schau: Soulages’ Vorarbeiten für die über 100 puristischen Glasfenster der Abtei von Sainte Foy de Conques. Als Kind hatte er die romanische Kirche erstmals besichtigt, war nachhaltig beeindruckt: „Als ich 14 war, beschloss ich vor der Abteikirche in Conques, dass nur die Kunst mich im Leben interessiert." 1986 nahm Soulages den Vorschlag des französischen Kulturministeriums an, 104 neue Fenster für die romanische Klosterkirche zu schaffen – ein Auftrag, an dem er sieben Jahre arbeitete. Soulages analysierte zunächst den Kirchenraum, um auf die hier verwendeten Materialien eingehen zu können, den gelben Kalkstein, den rosa Sandstein und den graublauen Schiefer. Und er experimentierte, so konnte er eine Glasart entwickeln, die die Wellenlänge des natürlichen Lichts beibehält. Damit gibt jedes Fensterglas in der Kirche von Conques das farblich zart changierende Morgenlicht einer Jahreszeit wieder.
Raum der Fragen und der Meditation
Ähnlich mit dem Licht gespielt wird auch im Museum, die Räume liegen im Halbdunkel, Tageslicht fällt indirekt durch Lichtschlitze. Zusätzliche Spots leuchten die Werke aus. Sitzecken unterhalb der Fenster sind mit rostfarbenen Lederpolstern überzogen – hier können Besucher verweilen, still werden, die mächtigen Tableaus oder Bronzeplatten auf sich wirken lassen.
Wie formulierte es der Künstler selbst? „Jedes Werk lebt von dem Blick, dem man ihm schenkt. Es ist nicht darauf beschränkt, was es ist oder wer es produziert hat, es besteht auch aus dem, der es betrachtet. Meine Malerei ist ein Raum der Fragen und der Meditation." So passt es, dass die Werke von Pierre Soulages außer Größe, Technik und Datierung keine Titel tragen und seine Signatur oft auf der Bildrückseite zu finden ist.
Während jährlich etwa eine Viertelmillion Kunstliebhaber in das Soulages-Museum nach Rodez strömen, besteht in Paris nur noch bis Anfang März die Gelegenheit, die dem Ausnahmekünstler gewidmete Schau im Louvre zu besuchen. Dort wird im lichtdurchfluteten Salon Carré das Werk der lebenden Legende chronologisch vorgestellt – von ersten Arbeiten aus dem Jahr 1946 bis zu seinen aktuellen Werken. Alle Oeuvres wurden aus angesehenen internationalen Museen wie beispielsweise dem Solomon R. Guggenheim Museum (New York), der Tate Gallery of Modern Art (London) sowie dem Folkwang Museum in Essen entliehen und bilden fragmentarisch den hundertjährigen Zyklus ab.
Zeitgenossen, die dem charismatischen Maler persönlich begegnen durften, beschreiben den selbst stets in schwarz gekleideten Mann mit den weißen Haaren als einen in sich ruhenden Zeitlosen. Dessen Werke jedem Betrachter den individuellen Raum schenken, um im Schwarzen das Obskure, das Versteckte, das Unbewusste, die Sehnsucht und am Ende das eigene Selbst zu entdecken.