Auf ihrem neuesten Album „Alles ohne Strom" spielen die Toten Hosen ihre Klassiker und ausgefallene Cover-Versionen im Akustikgewand. Eine Tour ist auch geplant. Andreas Frege alias Campino (57) spricht im Interview über seine Lieblingssänger, neue Herausforderungen und seinen Hörsturz.
Campino, in der Doku „Weil du nur einmal lebst" beklagen Sie sich bei Ihren Bandkollegen, dass die Toten Hosen immer schlecht vorbereitet seien und viel mehr proben müssten. Wie lange haben Sie für „Alles ohne Strom" geprobt?
Sehr intensiv, aber es war wieder nicht genug, weil ich grundsätzlich denke, dass wir mehr hätten tun können. Ich habe mich damit abgefunden, dass es für mich in diesem Leben niemals perfekt sein wird. Als Kinder des Punkrocks sind wir es gewohnt, mit unzulänglichen Mitteln rauszugehen und trotzdem die Menschen zu unterhalten. Und dennoch bereite ich mich gerne vor.
„Alles ohne Strom" ist eine Weiterentwicklung des Konzeptes Ihres MTV-Unplugged-Albums von 2005. Wie sehr ist die Band an „Nur zu Besuch" gewachsen?
Dieses Album hat uns die Augen geöffnet. Es lohnt sich, immer wieder in die älteren Lieder einzutauchen, um aus ihnen Neues herauszuholen. Über eine veränderte Dynamik kann man völlig andere Intensitäten herstellen. Ein Text, der bisher von der Musik überschattet wurde, kann plötzlich im Vordergrund stehen, sodass die Hörer auch anders über ihn nachdenken. Wir haben in der Vergangenheit auch viele Konzerte mit Gerhard Polt und den Biermösl Blosn bestritten. Auf der einen Seite die elektrische Krachmacher-Band, auf der anderen die Volksmusiker aus Bayern. Mit der Zeit sind wir immer mehr zusammengewachsen. Diese Erfahrung hat uns ermutigt, weiter in diese Richtung zu gehen.
Wie kam es zu der überraschenden Neufassung von „Hier kommt Alex"?
Durch ausprobieren. ZZ Top war hier die Inspiration. Darüber mussten wir selber lachen. Zunächst habe ich das Lied auf Kölsch gesungen, weil es irgendwie passte. Das fanden die anderen nach einiger Zeit aber nicht mehr so lustig. Diese Spielereien im Proberaum besitzen eine Leichtigkeit, die man bei so einem Projekt eher findet als bei einem Studioalbum mit neuen Songs.
Mögen Sie ZZ Top auch ein bisschen?
Man macht sich schon ein bisschen über sie lustig, aber dann stellt man fest: ZZ Top sind unglaublich wilde Burschen. Mit ihrem Style haben sie eine Marke besetzt. Damit ist ihnen ein fester Platz in der Musikgeschichte sicher. Abgesehen davon amüsieren wir uns gern über die Dinge und nehmen uns selbst nicht so ernst. Deshalb war auch ein Lied wie „Love Is In The Air" Teil des Sets.
Welche Beziehung haben Sie zu diesem Welthit von John Paul Young?
Als das Lied 1978 rauskam, fanden wir es ätzend. Der Begriff „schleimig" müsste für so was erfunden werden. Aber bei einer Punkrockveranstaltung hat es etwas unheimlich Lustiges und Ironisches. Nachdem wir es ein paar Mal gespielt haben, erkannten wir die Leichtigkeit, die es transportiert und gewannen es sogar lieb. Wir hatten eigentlich die Idee, in dem Moment wie Udo Jürgens mit Bademänteln auf die Bühne zu kommen. Leider war das der Anfang einer Zugabe – und nach vier Liedern kamen wir uns in diesen Bademänteln richtig blöd vor, deshalb haben wir sie nach dem ersten Abend für immer im Schrank gelassen. Auch Faith No More haben mit „Easy" ein Lied gespielt, bei dem man nicht weiß, ob es für sie eine Persiflage ist oder nicht. In diesem Geist ist auch unsere Coverversion zu verstehen.
Sie spielen auch eine akustische Version von Rammsteins „Ohne Dich". Sie versuchen erst gar nicht, Till Lindemanns Intonation nachzuahmen, sondern legen Ihr ganz eigenes Timbre in die Interpretation. Eine ernst gemeinte Coverversion?
Es ist ein Hutzieher vor den Kollegen von nebenan. Wenn ich versuchen würde, Tills Art nachzumachen, würde ich scheitern. Wir wollten unseren eigenen Style vorsichtig auf diesen Song anwenden. Man kann sich bei Rammstein über vieles streiten, aber über eines nicht: dass sie nicht sorgfältig arbeiten würden.
Singen Sie die akustischen Fassungen Ihrer eigenen Songs mit anderen Gefühlen?
Ich bin mir darüber bewusst, dass meine Stimme an Akustikabenden nicht so von der Musik überlagert wird wie bei unseren normalen Shows. Da bin ich ja eher wie ein singender Marathonläufer. Das hat dann nichts mit filigraner Sangeskunst zu tun. Aber bei diesen akustischen Konzerten muss ich nicht so viel hin- und herrennen und habe deshalb nicht solche Luftprobleme. Deshalb kann ich mich dann besser auf die Töne konzentrieren. Daher ist der Gesang anders. Ich habe auch vor diesem Projekt endlich wieder einmal Gesangsunterricht genommen und dabei viel gelernt.
Worauf kommt es beim Singen an?
Das ist ein sehr komplexes Thema, aber ich nenne ein Beispiel. Es hat damit zu tun, wie man seine Luft benutzt. Man kann auf der Luft mit dem Ton segeln. Es braucht aber Jahre, um das zu verinnerlichen.
Haben Sie einen speziellen Gesangslehrer?
In diesem Fall hat mir der Professor von der Musikhochschule in Düsseldorf, den wir bei unserem Projekt „Entartete Musik" kennengelernt haben, geholfen. Ich durfte damals zusammen mit einigen Opernsängern ein Stück von den Comedian Harmonists interpretieren. Bei dieser konzentrierten Detailarbeit haben wir uns angefreundet. Irgendwann bot er mir Unterricht an, um bei mir zu retten, was noch zu retten ist.
Sind herausfordernde Projekte wie „Alles ohne Strom" dazu geeignet, einmal zu schauen, wie man in Würde altert?
Es ist keine Vorbereitung auf unsere Rente. Das wäre die falsche Richtung. Man sollte uns eher mit einer klassischen Balkanband vergleichen, die für alle Gelegenheiten gemietet werden kann. Die Energie darf nicht schlappmachen, nur weil wir die Verstärker weglassen. Die Herausforderung ist, zu beweisen, dass man auch mit dieser Instrumentierung richtig Druck erzeugen kann. Die Rente stelle ich mir so nicht vor. Wir haben durch diese Konstellation zwar auch zusätzliche Musiker gefunden, aber die Toten Hosen selbst kann man natürlich nicht auf die Ersatzbank setzen. Wir müssen mit den Menschen arbeiten, die da sind. Und die werden mit der Zeit nicht schöner (lacht). Aber Lebenserfahrung ist ein unterschätztes Gut.
Was war Ihre persönliche Herausforderung bei diesem akustischen Projekt?
Ich wollte bei den Fremdkompositionen nicht versagen. Die eigenen Lieder spielt eh niemand besser als wir. Es wäre unheimlich peinlich, bei einem Lied von den Foo Fighters oder Rammstein den Text zu versemmeln. Ich bin eitel genug, dass mir das nicht egal ist.
Mit „Everlong" covern Sie einen der bekanntesten Songs der Foo Fighters. Ist Dave Grohl für Sie wirklich einer der besten Rockmusiker?
Das ist ziemlich ernst gemeint, aber ich habe viele Nummer-eins-Sänger: Joe Strummer. Noddy Holder. Joey Ramone. Jimmy Pursey von Sham 69 und andere. Ich kenne aber keinen anderen Musiker, der in so vielen Disziplinen so gut ist wie Dave Grohl.
Sie sind Dave Grohl sicher schon begegnet. Kommt es da manchmal zu tiefschürfenden Gesprächen?
Mit den Foo Fighters hatte ich bisher noch keine tiefschürfenden Gespräche. Ich habe sie mal nach einem Konzert besucht, aber da redet man eher über Oberflächliches. Faith No More, Social Distortion, Green Day und Bad Religion hingegen sind Freunde von uns. Mit denen können wir über alles reden.
Ist Ihnen der Austausch mit Kollegen wichtig?
Früher waren wir als Punkband sehr auf unsere Szene fokussiert, aber seit ein paar Jahren haben wir viel mehr mit Kollegen in Deutschland zu tun. Das finde ich toll. Wir können uns auf Augenhöhe anrufen, ohne dass der andere sich wundert. Dazu gehören die Antilopen Gang, die Broilers, Marteria, Thees Uhlmann, Kraftklub oder die Beatsteaks.
Der erste Teaser aus dem Akustikalbum ist „1.000 gute Gründe (ohne Strom)", ein Song von 1988. Hat eine Zeile wie „Wo sind all die guten Gründe, auf dieses Land stolz zu sein" heute noch Gültigkeit?
Erstaunlicherweise ist der Text nicht verstaubt, was nicht unbedingt für die politische Situation hierzulande spricht. Dadurch, dass wir immer noch ein Problem mit rechtem Gedankengut haben, ist dieser Titel nach wie vor aktuell. Musikalisch gesehen ist der Song auch ein Beispiel für die Energie der Platte.
Die Neufassung mit ihren Bläserarrangements erinnert an Madness. Ein Einfluss?
Mit Madness und den Specials würden wir uns gerne in einen Topf schmeißen lassen.
Bei der letzten Echo-Verleihung im April 2018 haben Sie die als antisemitisch kritisierten Texte der Rapper Kollegah und Farid Bang als Grenzüberschreitung verurteilt. Gehen wir in der Gesellschaft zu lasch mit dem Thema Antisemitismus um?
Wir sind in einer verzwickten Lage. In Deutschland leben heutzutage viele Einwanderer, die ihre eigene und andere Geschichte mit Israel haben als wir. Denen muss man vermitteln, dass sie sich an die Regeln zu halten haben, die in diesem Land gelten, und das setzt grundsätzlichen Respekt voreinander voraus. Die Behörden sind teilweise damit überfordert. Aber grundsätzlich muss man jedes Fehlverhalten ahnden, was Angriffe auf andere Religionsgruppen angeht.
2020 gehen die Toten Hosen auf eine Akustiktour. Sie scheinen auch nach 40 Jahren im Musikbusiness noch große Lust auf Konzerte zu verspüren. Woran liegt das?
Wir sind nicht zufällig eine Band geworden und lieben es, unterwegs zu sein. Natürlich freut man sich heute über ein Hotelzimmer, was wir früher nicht hatten. Wir reizen das Touren nicht mehr so aus, sondern dosieren es so, dass wir uns am Reisen den Spaß erhalten. Soloplatten haben wir nie gemacht, stattdessen nehmen wir das „Stromlos"-Projekt quasi als gemeinsamen Seitensprung. Unter 16 Musikern herrscht eine ganz andere Chemie.
Im Frühjahr 2019 diagnostizierten Ärzte bei Ihnen einen Hörsturz. Werden Sie in Zukunft mehr leise Konzerte spielen?
Das hat damit nichts zu tun. Wir haben in diesem Sommer eine ganze Reihe von lauten Konzerten gespielt. Bei mir ist damals stressbedingt eine Sicherung rausgeflogen, weil ich es übertrieben habe. Ich frage mich manchmal, ob ich zu viel von mir abbrenne. Ob es für mich selber auch in Ordnung ist, statt 110 nur 90 Prozent zu geben. Haben die Leute dann trotzdem noch einen guten Abend? Ob ich vor 50 oder 50.000 Zuschauern spiele, ist für mich vom Einsatz her dasselbe. Ein Fußballer geht auch keine halben Wege.