René Maric schrieb einen Blog über Fußballtaktik. Heute, mit gerade einmal 27 Jahren, ist er Assistent von Trainer Marco Rose bei Borussia Mönchengladbach in der Fußball-Bundesliga.
Für die breite Öffentlichkeit ist es immer noch „der Trainer". Im Erfolg ist „der Trainer" ein Held, bei Misserfolg muss er als „schwächstes Glied in der Kette" gehen. Doch längst ist es nicht mehr nur ein Trainer, der für die Vereine in der Fußball-Bundesliga zuständig ist. Längst sind es ganze „Trainer-Teams", ja „Trainer-Stäbe". Fünf, manchmal zehn oder mancherorts sogar noch mehr Fachkräfte. Beim FC Bayern München gehören neben dem vom Co- zum Cheftrainer aufgestiegenen Hansi Flick noch zwei Co-Trainer zum Stab, ein Torwart-Trainer, ein Konditions- und ein Fitness-Trainer, ein Chefanalytiker, zwei Reha-Trainer und drei Spielanalysten. Julian Nagelsmann arbeiten bei Herbstmeister RB Leipzig neun Assistenten in unterschiedlicher Funktion zu.
Das Besondere an dieser Situation ist, dass man Stärken verteilen und sich viele neue Einflüsse ins Team holen kann. Taktikfüchse holen sich Heißmacher ins Team. Jürgen Klinsmann dagegen ist zum Beispiel der geborene Motivator, er holte sich einst bei der Nationalmannschaft Joachim Löw für das Taktische an seine Seite und ließ ihn in seinem Schatten sogar derart wachsen, dass Löw 2006 übernahm und bis heute Bundestrainer ist. Auch in Berlin setzt Klinsmann auf ein großes Team, delegiert, vertraut.
Diese Entwicklung sorgt dafür, dass Typen in den Trainer-Teams der Bundesliga auftauchen, für die vor Jahren mit maximal einem Assistenten und einem Torwart-Trainer kein Platz gewesen wäre. Typen, mit denen die Cheftrainer den Austausch suchen, deren frische Ideen und andere Sichtweisen sie inspirieren sollen. Die kurioseste Personalie in dieser Hinsicht ist die von René Maric. Der ist seit dieser Saison ein Assistent des neuen Trainers Marco Rose bei Borussia Mönchengladbach. Und gemeinsam sind sie erfolgreich.
Mit 19 arbeitete Maric freiberuflich für Thomas Tuchel
Maric war kein Profi-Fußballer. Er konnte kicken, hatte eine gute Technik, lief aber nicht viel und war vielleicht auch nicht robust genug, um Profi zu werden. Zudem war er sehr oft verletzt. Als Teenager gründete er 2011 mit Freunden den Taktik-Blog „Spielverlagerung". Thomas Tuchel wurde auf ihn aufmerksam, mit 19 arbeitete Maric ein Jahr freiberuflich für den späteren Trainer von Borussia Dortmund und heutigen Coach von Paris Saint-Germain. Es bleibt aber bei ein paar Spielanalysen. „Er wollte nur einen externen Eindruck zu seiner Arbeit und eine kleine Einsicht in unsere Perspektive haben, nicht mehr", sagte Maric dem Magazin „11 Freunde" und fügte sachlich an: „Vermutlich war der Mehrwert für die Mainzer damals verschwindend gering." Allgemein habe er in dieser Zeit viele „kurze Dienstleister-Jobs für Trainer, Spieler, Vereine und Verbände" gehabt, sagt Maric. „Die Aufträge kamen aus Europa, aber auch aus Afrika, Asien, Südamerika und Nordamerika – von niedrigem bis zu sehr hohem Niveau. Es war der perfekte Nebenjob für einen Studenten, der fußballinteressiert ist." Der FC Midtjylland wollte zum Beispiel wissen, wie Maric gegen Manchester United taktisch spielen würde. Am Ende besiegten die Dänen den hohen Favoriten mit 2:1. Wie hoch der Anteil von Maric ist, ist nicht bekannt.
Der Österreicher wird auf die U18 von RB Salzburg aufmerksam, die ein Spiel nach dem anderen gewinnt. Trainiert von Marco Rose. Maric kontaktiert ihn, und sie tauschen sich regelmäßig aus. „Wir haben auch Champions-League-Spiele zusammen geschaut. Marco hat mich dann hier und da auch mal nach meiner Meinung gefragt, wie ich kommende Gegner von ihm bespielen würde", schreibt Maric auf der Borussia-Homepage. Nach einem halben Jahr fragte er einfach, ob er Roses Co-Trainer werden möchte. Rose nimmt ihn ins Team auf. Gemeinsam gewinnen sie die Youth League, die Champions League für Nachwuchsteams. Rose steigt zu den Profis auf und nimmt Maric mit. Wie auch im Sommer nach Mönchengladbach. Maric ist da gerade mal 26.
Und während Rose natürlich vor allem auf sein eigenes Team fokussiert ist, schaut Maric auch genau auf die Gegner. In den Europacup-Spielen mit Salzburg sei ihm beispielsweise aufgefallen, wie clever sich die defensiven Mittelfeldspieler von Real Sociedad San Sebastian bewegt hätten, erzählte er später. Oder wie stark die Staffelung im Umschalten bei Lazio Rom war. Er analysiert dies, und gemeinsam schauen sie, was sie auf ihr eigenes Team umlegen können.
„Man muss den Spielern auch Freiheiten gewähren"
Sein Geheimnis: Er ist schon irgendwie ein klassischer „Laptop-Trainer", ein Analytiker, ein daten- und videobasierter Wissenschaftler. Und ein Workaholic. Im Sommerurlaub, so erzählte er „11 Freunde", habe er „16 Prinzipien für technische Aktionen von Fußballern aufgeschrieben, nach denen man sie übergreifend für alle Spielweisen bewerten kann". Aber er übertreibt es nicht. „Man muss den Spielern auch Freiheiten gewähren und darf nicht alles vorgeben", sagt er. „Denn Spieler finden, wenn sie Freiheiten haben, in der Situation Lösungen, die wir als Trainer gar nicht auf dem Schirm hatten, die man nicht am Reißbrett nach Schema F planen kann."
Und er weiß, was er kann und was (noch) nicht. Er gehe im Umgang mit den Spielern „ganz offen damit um, dass ich kein Profi war", sagte er der „Süddeutschen Zeitung". „Es gibt einfach Sachen, wo ich weiß: ‚Okay, da fehlt mir der Erfahrungswert‘. Und dann frage ich einfach die Spieler oder die Kollegen im Trainerstab." Deshalb drängt er auch nicht mit aller Macht auf ein baldiges Engagement als Chefcoach. „Ich war ja schon Cheftrainer, wenn auch nur bei einer Amateurmannschaft, und das hat mir Spaß gemacht", sagt er. „Als ich dann mit Marco gearbeitet habe, habe ich aber erst mal gesehen, wie viele Sachen ich falsch gemacht habe. In der Ansprache der Mannschaft war ich beispielsweise zu unstrukturiert, indem ich immer wieder wechselnde Themen angesprochen habe. Bei Marco dagegen hat das Hand und Fuß und trifft genau den Punkt. Hätte ich das so gemacht, wären manche Dinge schneller oder besser gegangen." Ob er nun irgendwann noch mal Cheftrainer werden will, weiß er nicht. Grundsätzlich ist das das Ziel.
Aber vielleicht liegen seine Stärken eben auch einfach woanders. Vielleicht ist er eben ein Spezialist. Die Medien feiern ihn als „Taktikfuchs" oder „Mastermind". Klingt doch auch nicht schlecht für einen 27-Jährigen, der als Blog-Schreiber bis in die Bundesliga kam.