Mit der Nachverpflichtung von Justin Pogge haben die Verantwortlichen der Eisbären Berlin einen Fehler bei der Besetzung der Torhüterposition eingeräumt. Doch auch der Kanadier zeigte in seinen ersten Spielen Schwächen.
Die Torhüterposition ist mit Abstand die wichtigste im Eishockey. Gene Ubriaco, der von 1958 bis 1970 bei neun verschiedenen Clubs in der nordamerikanischen Profiliga NHL spielte, fasste die Bedeutung einmal so zusammen: „Im Eishockey macht der Goalie 75 Prozent des Spiels aus. Es sei denn, er ist ein schlechter Torhüter. Dann sind es 100 Prozent."
Ein Torhüter muss im modernen Eishockey nicht nur Tore verhindern. Er muss auch weite Pässe abfangen, den Puck festhalten oder mit einem Pass einen schnellen Konter einleiten. Und vielleicht die wichtigste Aufgabe: Er muss dem Team Sicherheit geben, nur dann ist eine offensive Ausrichtung möglich.
Trainer Serge Aubin hat den Fans der Eisbären Berlin vor der Saison einen mutigen und offensiven Eishockeystil versprochen, doch der ist nur in Ansätzen zu sehen. Vielleicht auch, weil die Schlussmänner nicht die notwendige Sicherheit ausstrahlen. Das Auswärtsspiel Mitte Januar bei den Kölner Haien (4:3 nach Verlängerung) war ein gutes Beispiel dafür: Die Eisbären führten bis in das Schlussdrittel hinein komfortabel mit 3:0, ehe Goalie Justin Pogge einen harmlosen Schlenzer von Ex-Eisbär Alexander Oblinger durchrutschen ließ. Danach wackelte Pogge, der bis dahin fehlerfrei gehalten hatte – und mit ihm die gesamte Berliner Mannschaft. Köln glich in der regulären Spielzeit noch aus, die Eisbären verloren völlig unnötig einen Punkt. Man sei „natürlich enttäuscht", sagte Aubin, dass man die Kölner, denen bis zum Blackout von Pogge kaum etwas gelungen war, am Ende selbst aufgebaut habe. Auch Sportdirektor Stéphane Richer kritisierte den Kanadier: „Er hat beim ersten Gegentor nicht gut ausgesehen."
Dabei war Pogge Ende Dezember vom schwedischen Zweitligisten Södertälje SK nach Berlin gewechselt, um die Baustelle im Tor zu schließen, nachdem weder Maximilian Franzreb, Sebastian Dahm noch Marvin Cüpper vollauf überzeugen konnten. Der 33-jährige Pogge kam mit glänzenden Referenzen, schließlich hütete er in der Saison 2008/09 siebenmal für die Toronto Maple Leafs in der NHL das Tor, und er war mit Kanada einst U20-Weltmeister. Und so vertraute der Trainer dem Neuzugang auch in den ersten vier Spielen des neuen Jahres, Pogge ist auf Anhieb die neue Nummer eins. Dahm, dem diese Rolle im Sommer noch zugetraut worden war, nimmt die Konkurrenz äußerlich gelassen. „Als Spitzenteam braucht man zwei sehr gute Torhüter. Pogge ist ein guter Typ, der zu uns passt", sagte der dänische Nationaltorwart. „Aber ich werde um meinen Platz kämpfen."
„Der Goalie macht 75 Prozent des Spiels aus"
Die ersten vier Spiele haben nicht unbedingt gezeigt, warum Pogge besser sein sollte als Dahm – nicht nur wegen zwei kapitalen Fehlern vor Gegentreffern. Auch bei der Fangquote (88,76 zu 90,66 Prozent) und den Gegentoren pro Spiel (3,23 zu 2,68) hatte Pogge im Vergleich mit Dahm das Nachsehen. Aubin und Richer aber schätzen an Pogge das offensive Denken und Handeln, der Kanadier geht oft dem Puck entgegen und passt viel. Er könne „sehr gut mit der Scheibe umgehen, fast wie ein dritter Verteidiger", meinte Ex-Eisbär Leif Carlsson, der als Trainer mit Pogge im schwedischen Färjestad zusammengearbeitet hat. Auch Richer sagte: „Er ist ein offensiver Goalie."
Diese Art wird generell von einem modernen Torhüter erwartet, doch die Zukunft gehört Pogge bei den Eisbären nicht. Dagegen sprechen sein Alter und wohl auch seine Klasse. Auch Dahms Zeit in Berlin könnte bis zum Sommer befristet sein. Ohnehin besitzt kein Torhüter des aktuellen Kaders ein Arbeitspapier über die Saison hinaus. Franzreb ist bereits geflüchtet, sein Vertrag wurde vor dem Wechsel in die Zweite Liga nach Bad Tölz aufgelöst.
Auch wenn die Eisbären klar auf Play-off-Kurs liegen – eines müssen sich die Verantwortlichen negativ ankreiden lassen: Auf der so wichtigen Torhüterposition lagen sie daneben. Und das könnte sich in der heißen K.-o.-Phase noch rächen. Dieser Fehler lässt sich zwar im kommenden Sommer beheben, doch hier läuft den Eisbären die Zeit davon. Der Wolfsburger Felix Brückmann, einer der begehrtesten deutschen Torhüter, soll bereits bei den Adlern aus Mannheim einen Vertrag unterschrieben haben. Eine heiße Spur führt zu Mathias Niederberger von der Düsseldorfer EG. Der Nationalspieler stand bereits 2014/15 bei den Eisbären unter Vertrag, doch damals war er über die Rolle des Back-ups von Petri Vehanen nicht hinausgekommen. Apropos Vehanen: Der Ex-Weltmeister aus Finnland war der bislang letzte Torhüter, der bei den Eisbären voll und ganz überzeugte. Sein damaliger Trainer Uwe Krupp fand dafür einmal sehr klare Worte: „Vehanen hat der Mannschaft sehr oft den Arsch gerettet." Vehanen kann nun womöglich selbst dafür sorgen, dass endlich ein geeigneter Nachfolger das EHC-Tor hütet. In Finnland trainiert er in der U20-Liga beim Club Rauman Lukko einen gewissen Tobias Ancicka. Der 18-Jährige besitzt in Berlin noch einen Vertrag und soll langfristig zur Nummer eins aufgebaut werden.
Eine heiße Spur führt zu Mathias Niederberger
Was ein Stamm-Goalie mitbringen muss, weiß René Bielke ganz genau. Der ehemalige Eisbären-Torhüter ist heute als Nachwuchstrainer beim DEL-Rekordmeister unterwegs, er sagte im Berliner „Tagesspiegel": „Du brauchst einen Torhüter, so etwa Alter 28, der das Team über Jahre konstant begleitet." Pogge sei daher nur ein „Notkauf". Der Kanadier will sich aber von seinem durchwachsenen Einstand nicht verrückt machen lassen. Er weiß um seine Stärken. „Ich versuche, meine Größe zu meinem Vorteil zu machen", sagte der 1,92 Meter große Pogge. Außerdem wolle er immer auch „den Verteidigern hinter dem Tor etwas helfen".
Trainer Aubin freut sich, nun eine Option mehr im Tor zu haben. „Er gibt uns mehr Tiefe auf der Torhüterposition. Das wird im Verlauf der Saison von entscheidender Bedeutung sein." Aubin hofft, dass sich der enge Zweikampf zwischen Pogge und Dahm positiv auf deren Leistungen und damit auf die gesamte Mannschaft auswirken. Selbst der auf die Bank degradierte Dahm sieht mit der Pogge-Verpflichtung eine Schwäche im Kader ausgemerzt: „Man sieht das auch in Mannheim oder München, die bei ihren Meisterschaften immer zwei starke Torhüter hatten." Ob das nun auch auf die Eisbären zutrifft, werden erst die Play-offs zeigen. Pogge und Dahm wollen aber zuerst einmal in der Hauptrunde dabei helfen, den vierten Tabellenplatz zu sichern. Die 2:5-Pleite beim Tabellenletzten Iserlohn Anfang Januar hat bewiesen, dass Berlin in jedem Spiel hochkonzentriert zu Werke gehen muss. Das trifft vor allem auf die Torhüter zu.