Konventionelle gegen Öko-Landwirtschaft, Waldbesitzer gegen Jäger, Imker gegen Bauern. Die Ernährungsproduzenten sind hoffnungslos zerstritten. Landwirtschafts- und Umweltminister wollen es allen recht machen – und sitzen zwischen den Stühlen.
Neujahrsempfang des Bauernverbandes im Palais unter dem Funkturm in Berlin. Präsident Rukwied hat die seinen wie immer Mitte Januar zum Jahresauftakt am Rande der Grünen Woche geladen. Die Stimmung unter seinen Mitgliedern ist alles andere als feierlich, die konventionellen Landwirte sind stocksauer. Es geht unter anderem um die neue Düngeverordnung, den Abbau von Nitraten. Die konventionellen Landwirte befürchten Umsatzeinbrüche und ein Massensterben vor allem kleinerer Betriebe. Oberbauer Rukwied versucht, die Stimmung im Saal zu retten. Zuerst ist Weinkönigin Angelina um aufmunternde Worte bemüht, dann muss die selbsternannte Mutter aller Weinköniginnen ran: Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Sie gilt im Umgang mit den Landwirten als äußerst robust. Sie legt auch gleich los: Landwirtschaft wird nicht allein in Berlin-Prenzlauer Berg betrieben, ist einer ihrer Lieblingsgags. Das zielt gegen die Umwelt- und Landwirtschaftsambitionen aus der Öko-Ecke. Doch Julia Klöckner hat eines verinnerlicht: nämlich auch über kleine Erfolge zu sprechen. „Euch Bauern geht es gut, noch nie gab es so einen stabilen Preis für Schweinefleisch wie derzeit. Den Chinesen sei Dank", ruft die Landwirtschaftsministerin in den Saal. Applaus. Doch einer in den vorderen Reihen schüttelt den Kopf. Den greift sich Klöckner gleich mal raus. „Ich sehe einen, der das verneint! Guter Mann, dann haben Sie nicht richtig verhandelt." Wieder ein Lacher auf ihrer Seite.
Ein Wort allerdings taucht in der Neujahrsansprache vom Bauernverband nicht auf: Glyphosat. Die Wirkstoffgenehmigung für das Herbizid läuft Ende 2022 aus, spätestens ein Jahr später soll das Unkrautvernichtungsmittel vom Markt verschwunden sein. Doch die überwältigende Mehrheit der konventionellen Bauern im Saal will Glyphosat weiter einsetzen. „Sonst sind wir nicht konkurrenzfähig" lautet die einhellige Meinung. Ein weiteres Wort, das Landwirtschaftsministerin Klöckner ebenfalls tunlichst vermeidet: Düngeverordnung. Durch die Neuordnung ab April dieses Jahres fühlen sich die Bauern von der Politik ebenfalls gepiesackt. Julia Klöckner weiß nur zu gut um die Brisanz. Anfang Januar haben die bayerischen Bauern mit ihrem Mammutprotest vor dem Kloster Seeon im Oberbayerischen die gesamte Regie der CSU-Klausur durcheinander gebracht. Auch diese Hürde nimmt Julia Klöckner beim Bauernverband mit Bravour.
Svenja Schulze gegen Julia Klöckner
Keine zwei Stunden später, am gleichen Tag, ein weiterer Empfang, diesmal von den Ökobauern. Landwirtschaftsministerin Klöckner muss diesmal mental und inhaltlich nicht großartig umschalten. Denn auch bei den Aktiven des ökologischen Landbaus tut man als Funktionsträger der Bundesregierung gut daran, die Worte Glyphosat und Düngeverordnung gar nicht erst zu erwähnen. Was den konventionellen Bauern viel zu weit geht, ist den Ökolandwirten noch viel zu wenig. Sie fordern ein sofortiges Aus für das Herbizid und eine viel rabiatere Eindämmung von Nitraten. Damit stehen die beiden Hauptansprechpartnerinnen für die Landwirte, Obstbauern, Fleischbetriebe, Imker oder Jäger sprichwörtlich zwischen Baum und Borke. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) haben bereits mehrfach bekannt, dass man bei der Agrar- und Umweltpolitik endgültig am Scheideweg steht. „Wir werden es nicht allen recht machen können", sagt Schulze gegenüber FORUM.
Jahrzehntelang war die weltgrößte Agrarleistungsschau in Berlin für Aussteller, Besucher und Politiker vor allem Vergnügen. Nur am Rande gab es kleine, politische Aufgeregtheiten, stattdessen viel zu essen und vor allem zu trinken – und für die Kinder putzige Tiere. Die Funktionsträger aus Politik und Verbänden wandelten von Stand zu Stand, überall einen Schnaps zur Begrüßung und einen zweiten „for the road", dazu warme Worte. Diese Zeiten sind endgültig vorbei. Die diesjährige Grüne Woche ist die wohl politischste ihrer Geschichte. Bereits sieben Tage vor Messestart mobilisierten vor allem die Umweltverbände zu Protesten in der ganzen Stadt. Es ging bei nahezu allen Aktionen immer wieder um den massenhaften Einsatz von Herbiziden und Nitrat auf den Feldern. Hauptforderung: Weg von der industriellen wieder hin zur naturnahen landwirtschaftlichen Produktion. Sehr eindrucksvoll war die Protestaktion des Imker-Ehepaares Seusing aus dem brandenburgischen Biesenthal. Beide kippten ihren Honig vor den Haupteingang des Landwirtschaftsministeriums. Selbstverständlich verkniff sich die Hausherrin den Termin und schickte ihren Hauptabteilungsleiter Schulz vor. „Gut vier Tonnen Honig, unser gesamter Ertrag aus dem vergangenen Jahr, darf nicht mehr verkauft werden, weil zu viel Glyphosat drin ist", so Imkerin Camille Seusing im FORUM-Interview. Bei der ersten „freiwilligen Probe" im Frühjahr 2019 wurde das 150-fache an Pestiziden in ihrem Honig festgestellt. Damit hatten die Imker automatisch das Lebensmittelüberwachungsamt am Hals. Finanzieller Schaden: mindestens 60.000 Euro. Das Imker-Pärchen mit Baby muss wohl aufgeben. Die umliegenden Bauern sind sich keiner Schuld bewusst, sie haben Glyphosat laut Verordnung richtig angewendet. „Hätten wir nicht freiwillig unseren Honig prüfen lassen, würde er jetzt als Bio-Honig im Handel stehen" stellt Camille resignierend fest.
Lebensmittel sind zu billig
Irgendwie scheint der Ehrliche doch immer der Dumme, und eine Schadensersatzklage gegen den Bund kann sich das Pärchen nicht leisten. Das Glyphosat-Schicksal der kleinen Imkerfamilie aus dem Brandenburgischen zeigt aber auch: „Da werden von der Industrie die Landwirte, die ja auch nicht viel haben, gegen die Imker oder Obstbauern ausgespielt", nimmt Ehemann Sebastian seine Nachbarn in Schutz.
Dieses gegeneinander Ausspielen macht sich auch im Demonstrationskalender deutlich. Am Starttag der Grünen Woche blockierten die konventionellen Bauern Berlins Straßen mit 400 Treckern. Ähnliche Aktionen fanden zeitgleich in Frankfurt am Main, München und Saarbrücken statt. Einen Tag später traten 27.000 Demonstranten unter dem Motto „Wir haben es satt" für eine ökologische Landwirtschaft ein. Die einen also für die Beibehaltung von Glyphosat und gegen die neue Düngeverordnung, die anderen mit einem genau umgekehrten Forderungskatalog. Allerdings sind sich konventionelle und ökologische Bauern, inklusive ihrer Verbände und der Politik, in einem Punkt einig: Die Agrarwende muss kommen, zumindest bei den Preisen.
Lebensmittel sind nirgendwo in Europa so billig wie in Deutschland. Egal ob konventionell oder ökologisch, die Bauern rechnen unabhängig voneinander vor: Vor 20 Jahren musste ein Haushalt ungefähr 25 Prozent seines Einkommens für Lebensmittel ausgeben, heute sind es nur noch zehn bis 15 Prozent.Die Hauptverantwortung trägt der Handel, vor allem die Discounter, auch das die einhellige Meinung aller Beteiligten. „Die Zeiten von ‚fünf Koteletts für 2,99’ müssen endgültig vorbei sein", sagt Bauernpräsident Joachim Rukwied. Alternative Agrar- und Tierschutzverbände fordern dies schon seit über einem Jahrzehnt.
Nicht nur Klimapaket und Energiewende werden das Leben zukünftig verteuern, sondern auch die Agrarwende. Wenn dafür tatsächlich pestizidfreies Essen auf den Tisch kommt und Tiere vernünftig gehalten würden, mag das in großen Teilen der Bevölkerung auf Zustimmung treffen. Offen ist, wie sich die großen, global agierenden Konzerne wie BASF oder Nestlé dazu positionieren, angefangen von der Chemie bis zum Handel mit Saatgut.