Die Geschichte der NFL ist reich an Skandalen. Ein Überblick über die größten Aufreger der Vergangenheit – von den Kopfgeldjägern der New Orleans Saints bis zur nackten Brust von Janet Jackson. Doch am Ende lassen sich die Amerikaner ihren Lieblingssport nicht vergrätzen.
Es war ein beispielloser Ausraster, wie ihn selbst Joe Buck noch nicht erlebt hatte. Seit 25 Jahren begleitet der TV-Kommentator des US-Senders FOX die NFL, „aber das ist das Schlimmste, was ich je gesehen habe". Gemeint war die fiese Attacke von Abwehrspieler Myles Garrett von den Cleveland Browns auf Mason Rudolph, Quarterback der Pittsburgh Steelers. Kurz vor Ende der Partie zwischen beiden Mannschaften hatte Garrett im vergangenen November Rudolph zu Boden gebracht und ihm den Helm vom Kopf gerissen. Als dieser wütend auf ihn zustürmte, holte Garrett mit dem Helm aus und traf Rudolph damit am Kopf. Der Pittsburgh-Spielmacher blieb zum Glück unverletzt, doch die Sache hätte böse enden können. Schließlich wiegt ein Footballhelm zwischen anderthalb und zweieinhalb Kilo. „Er hätte ihn töten können. Was, wenn er ihn an der Schläfe trifft?", schimpfte Rudolphs Mitspieler Maurkice Pouncey. Ähnlich sahen es auch die Liga-Verantwortlichen, die Garrett wegen unnötiger Grobheit und einem Verstoß gegen sportliches Verhalten bis mindestens zum Saisonende sperrten. Er habe den Helm „als Waffe benutzt" – wann er wieder auflaufen darf, ist nach wie vor ungewiss. Schon jetzt ist es die längste Strafe für eine Aktion eines Spielers in der Geschichte der NFL. Selbst sein Teamkollege Odell Beckham jr. meinte: „Das ist hässlich. Das ist etwas, was wir in der NFL nicht haben wollen."
„Er hätte ihn töten können"
Es war die jüngste Episode in der auch sonst mit Skandalen üppig gepflasterten Geschichte der US-Profiliga. Es ist wohl kein Zufall, dass auf Wikipedia ein eigenes, sehr umfangreiches Kapitel über die größten Aufreger der National Football League existiert – denn davon gab es in der Vergangenheit einige. Der wahrscheinlich bekannteste war der Busenblitzer von Sängerin Janet Jackson während der Halbzeit-Show des Super Bowls 2004, als ihre rechte Brust für einen kurzen Augenblick entblößt wurde. Als Deutscher mag man darüber nur mit den Schultern zucken, doch viele Amerikaner sind Nacktheit in der Öffentlichkeit nicht gewohnt. Entsprechend groß war die Empörung über den Vorfall. Als Reaktion darauf werden die Auftritte in der Halbzeit seitdem mit ein paar Sekunden Verzögerung ausgestrahlt.
Es war jedoch nicht die einzige schlüpfrige Affäre in der Vergangenheit. 2009 wurde in einer Spielpause kurz vor Ende des Super Bowls wegen einer Verwechslung des Kabelsignals für rund 80.000 Fernsehzuschauer ein Porno ausgestrahlt – anstelle des geplanten Werbespots sah das Publikum eine Oralsex-Szene. Und auch beim Super Bowl 1999 sorgte ein Blowjob für Schlagzeilen: Am Abend vor dem Spiel zog es Eugene Robinson, Verteidiger der Atlanta Falcons, noch ins Rotlichtviertel von Miami, wo er einem verdeckt ermittelnden Polizeibeamten 40 Dollar für Oralsex bot. Er wurde auf der Stelle verhaftet. Zwar kam Robinson rechtzeitig zum Finale wieder frei, doch er lieferte eine miserable Leistung ab und konnte die deutliche Pleite der Falcons gegen Denver nicht verhindern. Das Pikante daran: Nur wenige Stunden vor seinem Ausflug ins Rotlichtmilieu hatte er von der NFL den Bart-Starr-Award erhalten, der an Sportler mit hohem moralischen Charakter verliehen wird.
Diesen ließen allerdings auch schon andere Spieler vermissen. Atlantas früherer Quarterback Michael Vick etwa musste 2007 aufgrund seiner Verwicklungen in einen Hundekampf-Ring für 21 Monate ins Gefängnis. Auch Drogendelikte waren in der NFL immer wieder Thema. Nachdem Stanley Wilson von den Cincinnati Bengals wegen Kokainkonsums bereits in den Spielzeiten 1985 und 1987 gesperrt war, erwischte ihn sein Trainer 1989 am Vorabend des Super Bowls gegen San Francisco im Bad, wie er erneut das weiße Pulver schnupfte. Dieses Mal bedeutete es das Ende seiner Laufbahn.
Adrian Peterson züchtigte seinen Sohn
Während sich diese Skandale abseits des Feldes abspielten, gab es auch auf dem Rasen schon einige fragwürdige Ereignisse. So wurde etwa bei den New Orleans Saints in den Jahren 2009 bis 2011 ein Kopfgeld ausgezahlt, wenn Spieler der gegnerischen Mannschaft so angegangen wurden, dass sie anschließend nicht mehr weiterspielen konnten. Für die Stars des Gegners betrug die Prämie in den Play-offs dabei satte 50.000 US-Dollar. In diesem Zeitraum gewannen die Saints 2010 übrigens den Super Bowl. Auch die New England Patriots, das erfolgreichste Team der jüngeren Vergangenheit, ist wiederholt mit Unsportlichkeiten aufgefallen. 2007 musste der Club 250.000 Dollar und Trainer Bill Belichik zusätzlich 500.000 Dollar Strafe zahlen, weil ein Mitarbeiter unerlaubterweise Videoaufnahmen des Defensivkommandos der New York Jets angefertigt hatte. Die Affäre ging als „Spygate" in die Geschichte ein. 2015 folgte dann „Deflategate": Im Halbfinale zwischen New England und den Indianapolis Colts waren in der ersten Halbzeit gleich elf der zwölf Patriots-Bälle nicht hart genug aufgepumpt, wodurch sie sich besser werfen und fangen ließen. Die Liga verhängte eine drastische Strafe: Quarterback Tom Brady wurde für vier Spiele gesperrt, der Verein musste zudem eine Million Dollar Strafe zahlen.
In guter Erinnerung ist auch noch die Affäre um Colin Kaepernick. In der Saison 2016 weigerte sich der frühere Quarterback der San Francisco 49ers, sich während des Abspielens der amerikanischen Nationalhymne zu erheben. Kaepernick blieb stattdessen einfach sitzen beziehungsweise kniete, wobei er später von anderen Spielern unterstützt wurde – ein stiller Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA. Während Kaepernick von den einen als Held und Vorkämpfer für Meinungsfreiheit und die Bürgerrechte der schwarzen Bevölkerung gefeiert wurde, sahen andere sein Verhalten als respektlos gegenüber den Vereinigten Staaten und den Werten, für die sie stehen, an. US-Präsident Donald Trump riet ihm öffentlich dazu, das Land zu verlassen. Der Fall war insofern besonders, als dass die Debatte tatsächlich dazu führte, dass das Interesse an der NFL zeitweilig sank. Die Einschaltquoten lagen teilweise um ein Viertel niedriger als in der Vorsaison. Ansonsten aber sind die meisten Skandale schnell wieder vergessen. „Es ist wahrscheinlich einfach so, dass die Menschen Football lieben, insbesondere die NFL, und dass ihnen letztendlich die Spiele auf dem Spielfeld am wichtigsten sind, nicht die Action außerhalb des Spielfelds", sagt Richard Crepeau, emeritierter Professor für Geschichte an der University of Central Florida und Autor eines NFL-Geschichtsbuchs. „Die meisten Fans werden von einem Skandal verärgert, wenn er sich direkt auf ihre Mannschaft auswirkt oder wenn er in der Off-Season auftritt. Aber sobald die Spiele beginnen, lässt das Gerede über Skandale im Allgemeinen nach."