Mit Platz fünf haben Deutschlands Handballer bei der EM einen versöhnlichen Abschluss eines schwierigen Turniers feiern können. Bundestrainer Christian Prokop steht mehr denn je unter Druck.
Immerhin: Mit dem fünften Platz hat Bundestrainer Christian Prokop seinen Posten zumindest vorerst gerettet. Sechs Siege, zwei Niederlagen sind bei einer Europameisterschaft auf den ersten Blick eine solide Bilanz. Verloren hat man aber gegen die Großen: gegen Titelgewinner Frankreich und den Finalisten Kroatien. Nun geht es ums Ganze. „Alles oder nichts" heißt die Devise. Schon vom 17. bis 19. April geht es gegen Rekord-Europameister Schweden, den EM-Vierten Slowenien und Afrika-Vertreter Algerien um das Ticket für die Sommerspiele in Tokio, wo die DHB-Auswahl erstmals seit Bronze in Rio 2016 wieder Edelmetall bei einem großen Turnier holen will. „Da müssen alle bereit sein für absolute K.o.-Spiele", betonte Prokop. Auch für ihn werden es absolute K.o-Spiele. Und die große Frage lautet. Benötigt Handball-Deutschland einen Entwickler und Theoretiker wie Prokop oder doch eher einen resoluten Macher vom Schlage Heiner Brand oder Dagur Sigurdsson, die für die letzten beiden großen Titel verantwortlich zeichneten. „Ich bin zufrieden. Wir müssen unsere Leistung realistisch einordnen. Wenn man sieht, dass wir sehr viele Absagen vor dem Turnier und sehr wenig gemeinsame Zeit hatten, hat die Mannschaft eine tolle Entwicklung nachgewiesen. Sicherlich mit einem brutalen Rückschlag gegen Kroatien. Wir haben es danach oft thematisiert: Wie steht eine Mannschaft danach auf? Wie präsentiert sie sich? Wir haben danach noch alle Spiele gewonnen, auch gegen Portugal, eine Mannschaft, die Favoriten rausgehauen hat", sagt Prokop und es klingt wie eine Selbstverteidigung. Außer Frage steht, dass die DHB-Auswahl nicht in Bestbesetzung antreten konnte. Gerade der Rückraum wurde durch Verletzungen arg dezimiert. Und schnelle Besserung bis zur Quali im April ist nicht in Sicht.
Von Bundestrainer Christian Prokop gab es mit Blick auf die Olympia-Qualifikation noch individuelle Arbeitsaufträge obendrauf. Rücksicht kann er nicht nehmen, bleibt nach der EM in kurzer Zeit doch viel zu tun. Die größte Baustelle muss im Rückraum geschlossen werden. „Da haben wir das meiste Potenzial, das wir noch nicht ausgeschöpft haben", sagte Prokop. DHB-Sportvorstand Axel Kromer beschrieb das Anforderungsprofil so: „Wir brauchen Spieler, die Verantwortung übernehmen." Doch diese sind rar gesät. Routinier Martin Strobel wäre eine Option als Spielmacher. Für die EM fühlte sich der 33-Jährige, der nach seinem bei der Heim-WM erlittenen Kreuzbandriss erst Ende Oktober auf das Parkett zurückgekehrt war, noch nicht bereit. Prokop schätzt den Europameister von 2016, dem er lange einen Platz im EM-Kader freigehalten hatte, ehe Strobel absagte.
Große Sorge um Besetzung des Rückraums
Strobels Auswahl-Comeback wäre umso wichtiger, da eine rechtzeitige Rückkehr von Fabian Wiede ausgeschlossen ist. Der 25-jährige Berliner ist nach einer Schulteroperation für April noch kein Thema. „Die Qualifikation können wir definitiv ausschließen", sagte DHB-Vizepräsident Bob Hanning der Deutschen Presse-Agentur. „Wozu wir uns noch nicht äußern, ist das Thema, ob er bei den Olympischen Spielen dabei sein kann." Im linken Rückraum könnten Routinier Steffen Weinhold vom THW Kiel und Youngster Franz Semper vom SC DHfK Leipzig zur Verfügung stehen. Beide hatten ebenfalls aus gesundheitlichen Gründen bei der EM gefehlt. All diese Ausfälle ließen sich bei der EM nicht kompensieren. Lediglich Philipp Weber überzeugte halbwegs. Weder der sporadisch starke Julius Kühn, noch Paul Drux, Kai Häfner oder Fabian Böhm konnten über die gesamte EM-Dauer überzeugen. Die aufgrund der vielen verletzungsbedingten Absagen vor Turnierbeginn in den Kader gerutschten EM-Debütanten David Schmidt und Marian Michalczik waren eindeutig überfordert. In den Top-Spielen gegen Spanien und Kroatien, den einzigen Niederlagen bei dieser EM, gelangen den sechs eingesetzten Rückraumspielern gemeinsam jeweils nur elf Treffer. „Im Rückraum haben wir das größte Potenzial. Da können und müssen wir viel besser werden, sonst bekommen wir Probleme", betont DHB-Vize Bob Hanning.
Probleme bekommen auch Hanning und sein Schützling Prokop, sollte die Olympia-Quali in die Hose gehen. Sportvorstand Kromer hat dem Bundestrainer trotz der verpassten EM-Medaille eilig das volle Vertrauen des Verbandes ausgesprochen und eine Trainerdebatte kategorisch ausgeschlossen: „Wir als Verbandsführung wollen klarstellen, dass es intern nie eine Diskussion darüber gab, mit welchem Trainer wir künftig die Nationalmannschaft prägen wollen. Wir werden natürlich mit Christian in Richtung Olympia gehen und die Sommerspiele anpeilen." Alle Beteiligten wissen, dass die Diskussion dann nicht mehr zu stoppen sein wird, sollte das Ticket für Tokio verfehlt werden. Unmittelbar nach dem Turnier hatte sich Prokop seine Kritiker vorgenommen. Die nach der knappen und vermeidbaren Niederlage gegen Kroatien angezettelte Trainerdiskussion bezeichnete der 41-Jährige als „völlig überflüssig" und begründete: „Wir haben gegen Kroatien nach einem Riesenkampf mit einem Tor verloren. Ist das in Deutschland der Maßstab, dass dann der Trainer infrage gestellt wird, wenn man Kroatien nicht schlägt?"
Prokop sieht selbst andere Maßstäbe als Medaillen und Pokale – auch wenn er die natürlich gern einmal holen würde. Schließlich blieb ihm dies auch bei seinem dritten großen Turnier im Amt verwehrt. „Ich weiß, dass wir ein Ergebnis-Land sind. Auch ich möchte Spiele gewinnen, die Mannschaft will Spiele gewinnen. Aber das Gefühl, wie wir zusammenstehen, wie wir hier auftreten und die Spiele nutzen, ist viel entscheidender", betonte der Bundestrainer.
Verbandsführung bekennt sich noch zu Coach Prokop
Bereits während des Turniers hatte es heftige Kritik an Prokop gegeben. So hatte ihn der ehemalige Welthandballer Daniel Stephan als „absolute Fehlbesetzung" bezeichnet. Zudem gab es immer wieder Gerüchte, die Chemie zwischen Trainer und Team würde nicht stimmen. „Es gibt kein Problem zwischen Trainer und Mannschaft. Man sieht, dass sie sich zusammen viel vorgenommen haben", entgegnete DHB-Vizepräsident Bob Hanning und bekräftigte: „Die Mannschaft konnte immer mit dem Trainer."
Während in Deutschland die Analyse bereits Fahrt aufgenommen hat, ist in Spanien feiern angesagt. Der Titelverteidiger wurde zum zweiten Mal in Folge Europameister. Im Finale von Stockholm gewann die älteste Mannschaft des Turniers gegen Kroatien um Superstar Domagoj Duvnjak mit 22:20 (12:11). Es war für die Kroaten, die nach wie vor auf den ersten EM-Titel warten müssen, die erste Niederlage im Turnierverlauf. Zum besten Spieler des Turniers wählten Fans und Experten Domagoj Duvnjak. Sein Kieler Vereinskollege Hendrik Pekeler erhielt die Auszeichnung als bester Abwehrspieler.
Die „Rentner-Band" aus Spanien schaut derweil Richtung Tokio. In ein paar Monaten werden zahlreiche Stammspieler ihre internationale Laufbahn beenden. Vorher haben die alten Herren aber noch ein großes Ziel vor Augen: eine olympische Medaille. 2016 waren die Iberer nicht qualifiziert, 2012 scheiterten sie in London im Viertelfinale knapp 22:23 am späteren Olympiasieger Frankreich.
Spanier zogen Kraft aus einem traumatischen Erlebnis
Für die Spanier war der Titelgewinn wichtig, denn der Europameister ist direkt für die Olympischen Spiele qualifiziert. 2016 standen die Spanier im EM-Endspiel, verloren in Krakau gegen eine entfesselt aufspielende deutsche Mannschaft, mussten deshalb ein Olympia-Qualifikationsturnier bestreiten – und scheiterten ganz bitter. „Das war die schlimmste Niederlage", erinnerte sich Abwehrspezialist Gedeon Guardiola an das entscheidende Match zurück, das seine Kollegen und er noch nicht einmal verloren hatten. Die Spanier mussten im letzten Duell einer Vierergruppe gegen Schweden mit drei Toren Differenz gewinnen, um die Qualifikation perfekt zu machen. Drei Minuten vor Schluss lagen sie 25:21 vorne, hatten am Ende aber nur 25:23 gewonnen. „Für viele von uns ist Tokio die letzte Chance auf olympische Spiele", sagte Guardiola, der als einziger Spanier in der Bundesliga spielt und bei den Rhein-Neckar Löwen unter Vertrag steht.