Woody Allen ist einer der größten und produktivsten Filmregisseure überhaupt. Insgesamt war er 24-mal für den Oscar nominiert, viermal erhielt er ihn. Ans Aufhören denkt der 84-Jährige noch lange nicht, im Dezember erschien sein neuester Film „A Rainy Day in New York".
Mr. Allen, Ihr neuer Film ist eine weitere Liebeserklärung an New York. Sie können es wohl nicht lassen.
(lacht) Stimmt: Ich liebe New York wirklich sehr. Es ist auch nach all den vielen Jahren immer noch ein Sehnsuchtsort für mich. Deshalb bilde ich ja in meinen Filmen New York auch nicht wirklich-keitsgetreu ab. Wenn Sie sich zum Beispiel das sehr realistisch gefilmte New York von Martin Scorsese oder Spike Lee anschauen, unterscheidet es sich wesentlich von meinem. Mein New York ist durch meine Empfindungen gefiltert. Und was dann dabei herauskommt, ist meist eine sehr romantische Sichtweise auf diese wunderbare Stadt.
Diese Idealisierung trifft auch auf Ihre anderen Film-Schauplätze zu.
Was sehr wichtig für mich ist. Vor allem die Städte. Ich bin ein großer Fan von Metropolen. Ich versuche auch immer, dass diese Städte in meinen Filmen wie ein zusätzlicher Charakter mitspielen. Als ich in Barcelona, Rom oder Paris gedreht habe – und natürlich vor allem in New York –, waren diese Orte immer ausschlaggebend dafür, wie sich die Geschichte entwickeln würde. Große Städte sprechen mich einfach an. Ich weiß eigentlich gar nicht genau, warum. Vielleicht, weil diese Metropolen für mich der Inbegriff der Zivilisation sind. Dort sind all die Theater, die Museen, die Buch- und Schallplattenläden. Die Straßen, Gebäude, Brücken …
Das heißt, wenn Sie in Paris sind, stehen Louvre, Eiffelturm und die Champs Élysées auf dem Programm?
Nicht für mich, für meine Frau (Soon-Yi Previn, mit der er seit 1997 verheiratet ist, Anm. d. Red.) aber sehr wohl. Seit zwei Tagen bin ich mit ihr hier in Paris. Und gleich nach unserer Ankunft hat sie schon Pläne geschmiedet, welche Museen und Kunstausstellungen sie unbedingt besuchen will. (lacht) Das soll sie ruhig machen. Ich hingegen will einfach nur die Straßen entlang schlendern oder mich auf Café-Terrassen setzen und schauen. Ich mag den Lärm der Stadt, die Geschäftigkeit, die Leute … Ich suche immer nach dem Feeling einer Stadt.
„A Rainy Day in New York" ist ein Film über die Suche nach der eigenen Identität. Wann wussten Sie, wer Woody Allen eigentlich ist?
Auf der Highschool haben sich alle meine Freunde intensiv damit beschäftigt, was sie auf dem College studieren und später einmal sein wollten. Einige wurden dann tatsächlich Ärzte, Rechtsanwälte, Architekten oder Wissenschaftler. Der Druck, schon so früh die richtigen Weichen für das spätere Leben zu stellen, war wirklich enorm. Allerdings hatte ich selbst damals keinen blassen Schimmer, was ich einmal werden wollte. Als ich dann doch einmal ernsthaft über mich nachdachte, fiel es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen, und ich erkannte: Ich habe Humor! Ich konnte Menschen zum Lachen bringen. Da hatte ich meine Identität gefunden. Ich habe also schon als Teenager für andere Leute viele Gags, Witze und Sketche geschrieben, das Material an Zeitschriften und Magazine verkauft und gutes Geld damit gemacht. Später habe ich auch noch fürs Kabarett, für Rundfunk und Fernsehen und natürlich auch fürs Kino gearbeitet.
Sie machen nun schon über 60 Jahre einen Film nach dem anderen. Keine Lust, endlich den Ruhestand zu genießen?
Um dann was zu tun?
Lesen, Musik hören, ins Kino gehen, Reisen, Basketball-Spiele im Fernsehen gucken …
Das ist alles schön und gut. Und das mache ich auch alles sehr gerne. Aber nichts ist eine so gute Ablenkung wie Filmemachen oder Schreiben.
Eine Ablenkung wovon?
Vor dem sicheren Tod! Machen wir uns doch nichts vor. Ich bin 84 Jahre alt. Ich könnte jetzt – während des Interviews – tot vom Stuhl fallen. Und Sie würden sich nicht mal darüber wundern. Ich bin 84 Jahre alt. Da ist der Tod nicht mehr so weit weg. Und daran will ich einfach nicht denken. Deshalb arbeite ich permanent. Ich kann mich da auf Probleme fokussieren, die mit den Figuren, den Kostümen, den Drehorten und so weiter zu tun haben. Das ist trivial im Vergleich zu der Auseinandersetzung mit dem Tod. Denn wenn ich beim Filmemachen mal einen Fehler mache, bringt mich das nicht gleich um. Das Filmemachen – oder auch das Schreiben von Theaterstücken und Büchern – ist ein wunderschöner Eskapismus, der mich von der Realität des Lebens fernhält.
Sie haben schon vor Jahren Ihre Autobiografie geschrieben. Wann erscheint die denn endlich?
Früher als Sie denken. Es stimmt, da gab es einige Verzögerungen, aber jetzt habe ich endlich einen Verleger gefunden, der sie nächstes Jahr herausbringen wird.
Haben Sie beim Schreiben etwas über sich herausgefunden, das Sie vorher noch nicht wussten?
Nein, eigentlich nicht. Höchstens, dass ich kein wahnsinnig aufregendes Leben hatte. Mein Leben ist sehr Mittelklasse, müssen Sie wissen. Ich stehe ziemlich früh auf, mache Gymnastik, frühstü-cke, übe ein bisschen Klarinette und gehe dann oft mit meiner Frau im Central Park spazieren. Abends treffe ich gelegentlich ein paar Freunde. Ich lebe also ganz sicher kein Jet-Set-Leben. Ich habe kein Landhaus, kein Haus am Meer, kein Boot und ganz sicher kein Privatflugzeug. Ich bin dem Schicksal sehr dankbar, dass meine Filme relativ erfolgreich waren und zumindest so viel Geld eingespielt haben, dass ich anschließend immer einen weiteren machen konnte. Ich habe vor Jahren mal eine Schlagzeile über mich gelesen, die hieß: „Es gibt keine interessanten Stories über Woody Allen." (lacht) Das fasst mein Leben ganz gut zusammen.
In „A Rainy Day in New York" spielen Sie nicht selbst mit. Wer ist da Ihr Alter Ego?
Ganz klar Gatsby Welles, also die Figur, die Timothée Chalamet spielt. Denn ich war genau wie er. Als Jugendlicher hatte ich eine sehr nostalgische Ader. Ich mochte klassischen Jazz, ich liebte es, Karten zu spielen, mit der Kutsche durch den Central Park gefahren zu werden, liebte alte Hotel-Bars, Schriftsteller wie Ernest Hemingway oder F. Scott Fitzgerald und natürlich New York City im Regen. Meine Altersgenossen fuhren alle auf Rock’n’Roll-Musik ab, aber Cole Porter oder Charlie Parker waren ihnen völlig Wurscht.
Interessieren Sie sich privat eigentlich für Politik? In Ihren Filmen gibt es so gut wie keine politischen Statements.
Da wären sie auch völlig fehl am Platz. Wenn ich einen Film abgedreht habe, dauert es meist ein Jahr, bis er in die Kinos kommt. Da wäre jedes politische Statement längst kalter Kaffee. Aber bei uns in den USA gibt es fantastische Stand-up-Comedians, die sehr politisch sind. Sie machen mitunter brillante TV-Shows. Und das Fernsehen ist wirklich das geeignete Medium dafür. Denn diese Formate müssen sich ja auf tagespolitische Themen beziehen und schnell gesendet werden, sonst sind sie nicht mehr aktuell.
Was halten Sie von dem neuen Rechtsruck in der Welt? In den USA, aber auch in Europa? Und vom Wiederaufleben des Antisemitismus, des Faschismus, des Rassismus?
Das Wiedererstarken der rechten Gesinnung ist zu jeder Zeit sehr, sehr schlecht. Leider betrifft das Europa genauso wie die USA oder Südamerika. Doch wie sagte schon Sigmund Freud: „Es wird immer Antisemitismus geben, denn die Menschheit ist ein furchtbarer Haufen." Dem stimme ich voll und ganz zu! Ich habe in meinem Leben viele Leute getroffen, die Antisemiten waren. Denn das ist leicht. Und wenn man nicht die Juden hasst, dann die Schwarzen oder die Einwanderer. Es gibt leider immer Leute, die andere Menschen heruntermachen oder sogar töten wollen. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass der Rechtsruck in den USA gerade wieder abnimmt. Vielleicht täusche ich mich ja, aber ich hoffe sehr, dass bei der nächsten Wahl die Demokraten gewinnen werden und die Linke wieder mehr Einfluss auf die Geschicke des Landes nehmen wird. Und dass dann von Amerika wieder ein gutes Signal um die Welt geht. Wenn das nicht zutreffen sollte, wäre es wirklich schrecklich. Die Rechte hat noch nie etwas Positives für die Menschheit bewirkt.
Es gibt da noch den „großen weißen Elefanten"* im Zimmer. Dazu würde ich Sie gerne etwas fragen.
Bitte, fragen Sie!
Wie sind Sie denn damit umgegangen, dass einige Schauspieler, mit denen Sie zusammengearbeitet haben wie Greta Gerwig und Colin Firth nun nicht mehr mit Ihnen arbeiten wollen? Wohl wegen der Vorwürfe, die über ein Vierteljahrhundert zurückliegen?
Was soll ich dazu sagen? Jeder hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Mich trifft das nicht. Mir hat es großen Spaß gemacht, mit ihnen zu arbeiten. Abgesehen davon gibt es genügend Schauspieler, die sehr gern mit mir zusammenarbeiten. Vor Kurzem habe ich meinen neuen Film „Rifkin’s Festival" abgedreht. Mit ganz fabelhaften Schauspielern. Wie zum Beispiel Gina Gershon, Louis Garrel und Christoph Waltz. Der Film spielt in Spanien in der wunderschönen Stadt San Sebastián während des Filmfestivals und handelt von einem amerikanischen Ehepaar, das daran teilnimmt, weil die Frau als Pressebetreuerin für das Festival arbeitet. Und Christoph Waltz ist ganz hervorragend.
Vor ein paar Jahren haben Sie „Crisis in Six Scenes" gemacht, eine Mini-Serie für Amazon Video. Haben Sie nicht wieder mal Lust auf eine Streaming-Serie?
Für Amazon? (lacht) Wohl eher nicht. Aber im Ernst: Das war ein ziemlich katastrophales Experiment. Das Format sagt mir überhaupt nicht zu. Wenn schon Film, dann Kino! Kino ist nach wie vor meine Leidenschaft. Da kann ich mich entfalten …
*Anm. d. Red.: Ex-Partnerin Mia Farrow wirft ihm vor, dass er ihre gemeinsame, damals minderjährige Adoptivtochter Dylan sexuell missbraucht habe. Der Vorfall liegt über ein Vierteljahrhundert zurück. Woody Allen weist alle Vorwürfe entschieden zurück. Farrow habe sich alles nur ausgedacht, damit er nicht das Sorgerecht bekommt. Die Anschuldigungen wurden im Fahrwasser der #MeToo-Bewegung wieder hochgekocht.