Das Weltkulturerbe Völklinger Hütte verlängert die Ausstellung „Pharaonengold – 3.000 Jahre altägyptische Hochkultur" bis 26. April. FORUM-Autorin Michaela Auinger tauchte ein in die faszinierende Welt des Alten Ägypten.
Seit Wochen begegnet sie mir. Sie findet mich, wo immer ich in Saarbrücken unterwegs bin. Ihr Konterfei, das mir auf dem Saartalbus entgegenfährt, erinnert mich daran, die Ausstellung „Pharaonengold" noch nicht besucht und ihr noch nicht gehuldigt zu haben. Sie heißt Hathor. Ihr Gesicht ist aus Gold. Die Dame ist Ägypterin. Erst auf den zweiten Blick wird man gewahr, dass ihre Ohren nicht menschlich sind. Diese Frau hat Kuhöhrchen. Die ägyptische Göttin Hathor kann auch in Menschengestalt, mit einer Krone aus Kuhhörnern und einer Sonnenscheibe im Zentrum, erscheinen. Im Alten Ägypten verehrten die Menschen viele Gottheiten. Hathor ist die Göttin der Freude, des Tanzes und der Musik. Sie schwebt in riesiger Vergrößerung über dem Portal des Weltkulturerbes Völklinger Hütte und heißt mich willkommen.
Das Entree bildet ein niedriger goldfarben ausgemalter Durchgang. Einen Moment schreitet man durchs Licht und findet sich daraufhin in der Dunkelheit und Weite der Gasgebläsehalle wieder. Ich ahne: Die Ausstellungsmacher inszenieren Kontraste.
Ein beleuchtetes Display zieht den Blick an. Es zeigt die Stufenpyramide des Djoser in Sakkara. Dieser älteste Pyramidenbau entstand noch vor den Pyramiden in Gizeh. Die Texttafel „Der Nil" informiert über die Lebensader Ägyptens, eine weitere über „Gold im Alten Ägypten". Eine Landkarte zeigt die Goldfundstätten auf. Welche Bedeutung sprachen die Ägypter diesem Metall zu? Sie bezeichneten Gold als das „Fleisch der Götter". Im Glanz des Goldes sahen sie eine Entsprechung zum Glanz der Sonne. Gold symbolisierte Unvergänglichkeit und die Macht der Gottheit. Der Pharao, der Gottkönig, besaß als Staatsoberhaupt die Kontrolle über die Goldfundstätten und die als Schatzhäuser bezeichneten Werkstätten.
Gestochen scharfe Aufnahmen der Pyramiden von Gizeh, des Luxor-Tempels mit Obelisk und des Säulensaals im Karnak-Tempel beeindrucken sowohl den, der diese Stätten bereits bereisen konnte, als auch den, der die Bauwerke bislang ausschließlich von Abbildungen und Filmen her kennt. Eine Tafel mit Zeitstrahl ermöglicht eine Orientierung: Das Alte Ägypten reicht von der prädynastischen Zeit (5300 bis 3000 v. Chr.) bis zur griechisch-römischen Zeit (332 v. Chr. bis 395 n. Chr.). Die Erfindung der Hieroglyphenschrift (2700 v. Chr.), als auch der Keilschrift (2700 v. Chr.) sowie weitere bedeutende Ereignisse in der Entwicklung der Zivilisation, beispielsweise die Gründung der griechischen Demokratie, sind ablesbar. Schenken Sie dieser Aufstellung Aufmerksamkeit, werden Sie ihre innere Stimme wahrnehmen, die Sie vielleicht sinnieren lässt über das Leben und den Weltenlauf.Rechts oder links? Einige Stufen führen rechts auf ein großflächiges Podest. Aus einem Raum linkerhand dringen Musik und Wortfetzen eines Films zu mir. Ich entscheide mich dazu, rechts weiterzugehen, weil mich die Tafeln mit den Hieroglyphen anziehen. Das Wissen zur Entschlüsselung war lange verloren. 1798 brach Napoleon, begleitet von Gelehrten, zu einer Ägypten-Expedition auf. Das bedeutendste Fundstück war der Stein von Rosette, mit einem Text in Griechisch, Demotisch und Hieroglyphen-Schrift. Der geniale Gelehrte Jean-François Champollion schaffte es 1822 den Schlüssel zur Entzifferung der Hieroglyphen zu finden.
Ägyptische Gottheit mit Kuhohren
Schnellkurs Hieroglyphen? 32 von 6.000 könnten Sie direkt in Völklingen lernen. Vielleicht erkennen Sie die eine oder andere. Den Skarabäus beispielsweise. Er steht für Erneuerung und gilt als Glücksbringer. Oder das Udjat-Auge. Ebenso bis heute als Heils- und Schutzsymbol bekannt. Zwischen den einzelnen Tafeln steige ich höher, einige Stufen weiter nach oben: Der Balkon erlaubt Rundumsicht auf die schwarzen Riesen der Gebläsehalle und die dazwischen platzierten Schaukästen mit dem Gold. Immerhin weiß ich nun, wo es zu finden ist. Der Besucherin werden 160 Exponate versprochen. Sie kommen aus Museen aus Berlin, Wien und Hildesheim. Die größte Anzahl stammt aus Privatsammlungen, deren Leihgeber nicht genannt werden möchten – es fällt nicht schwer, sich auszumalen, weshalb.
Den Film kann ich in aller Ruhe anschauen, das Gold läuft nicht weg. Die Kamerafahrten beziehungsweise Drohnenaufnahmen sind brillant – schade, dass die Ortsangaben der Tempel fehlen – der Film setzt auf Atmosphäre. Die eingesprochenen Texte verlieren sich nicht in Details. „Die Verherrlichung des Pharaos war die Aufgabe der Kunst", heißt es, „der Pharao war göttlicher Abstammung. Die Ägypter glaubten an ein Leben nach dem Tod. Auf die Reise ins Jenseits gab man ihnen das wertvollste mit: Gold und Goldschmuck."
Auf dieser Reise musste der Verstorbene eine Prüfung bestehen. Die Ausstellungsmacher zeigen eine Papyrusrolle, die – drei Meter lang aufgerollt – an der Wand zu studieren ist. Es handelt sich um ein Totenbuch, eine Spruchsammlung, die ins Grab gelegt, als Wegweiser für das Jenseits gedacht war. Deutlich zu erkennen: eine Waage. Auf einer Seite ruht das Herz des Verstorbenen, auf der anderen eine Feder. Dieses Dokument war bereits in der Ausstellung „Ägypten – Götter. Menschen. Pharaonen" 2014/15 zu sehen. Wer diesen Ausstellungskatalog besitzt, den erfreut das Auseinanderfalten der Seite 258. Auf 70 Zentimeter können die Einzelheiten gut studiert werden.
Bestand der Verstorbene die Prüfung nicht, wurde er dem Mischwesen aus Löwe-Nilpferd-Krokodil zum Fraß vorgeworfen. Gut erkennbar ist Thot, der Schreiber. Er notiert beim Jenseitsgericht, ob der Geprüfte reinen Herzens ist. Was die Hieroglyphen auf diesem Totenbuch – eine Kopie, das Original befindet sich im Museum Egizio in Turin – bedeuten, finde ich nicht heraus, aber: Ich besitze das Totenbuch, in der Übersetzung von Erik Hornung. Meine liebste Stelle aus Spruch 125 lautet: „Ich habe kein Unrecht gegen Menschen begangen, und ich habe keine Tiere mißhandelt. Ich habe nichts Krummes an Stelle von Recht getan." Meine innere Stimme fragt: Wie rein ist Dein Herz?
Eine Besucherin kommt auf mich zu: „Haben Sie schon Gold gesehen? Waren Sie schon bei den Goldsachen?" „Nein, aber ich weiß, wo sie sind." Die Dame ist mit ihrem Gatten aus Merzig angefahren. „Wir haben noch kein Gold gesehen. Die Spannung steigt", sage ich, „quer über das Podest befindet sich der Zugang". „Dankeschön!"
Die Ausstellung ist chronologisch aufgebaut und beginnt somit beim Alten Reich. Stolz sind die Ausstellungsmacher darauf, erstmals öffentlich die Statuette des Königs Chephren zeigen zu können. Sechs Zentimeter misst der kleine Herrscher, der 26 Jahre regierte. Mein Erstaunen gilt den Fayence-Kacheln aus dem Grabbezirk des Königs Djoser, und zwar der leuchtenden Farbe wegen, als Neongrün beschreibe ich sie. Ich bin überrascht und freue mich, das nicht nur Gold in der Ausstellung zu sehen ist, wenngleich der Titel „Pharaonengold" dies vermuten ließe.
Die Verherrlichung des Pharaos war Aufgabe der Kunst
Im Mittleren Reich verblüfft mich ein Zaubermesser aus Nilpferd-Elfenbein. Feinst gearbeitet sind Gottheiten in Tiergestalt zu erkennen. Im Schaukasten daneben ein graziles Armband: „Armband mit Froschdarstellung. Gold, Fayence, Steine und Elfenbein", lese ich auf dem Täfelchen. Frösche? Tatsächlich. Entzückend! Oder, wie man im Saarland sagt: Goldig! Was doppelt zutrifft. Die Armbänder der Prinzessin Sitamun verfügen über Verschlüsse, die modern sind: Zwei Goldplättchen werden ineinandergeschoben. Die klitzekleinen bunten Perlchen in mehrreihigen Schnüren erweisen sich als zeitlos schön.
Das Neue Reich trumpft mit teilweise massiven goldenen Ketten, Halskragen und Ohrringen auf – die 60 Rosetten aus dem Haarschmuck einer Thutmosis III. Prinzessin sind eines der Highlights der Ausstellung. Ich passiere Schaukästen mit etlichen Gefäßen aus Alabaster, Diorit und Ton. Als anrührend empfinde ich das Flaschenkörbchen. 4,6 Zentimeter ist es klein. Ich denke, es ist gehäkelt. Falsch. Es ist geflochten. „Der Erhaltungszustand ist exzellent." Wer hat so fein gebastelt? Dass ich mich am Anschauen erfreue, war ursprünglich nicht die Absicht dieses Menschen und seiner Handwerkskunst, aber, weil ich mich – und mutmaßlich auch andere Besucher – daran erfreue, deshalb lebt dieser Mensch weiter.
In der 18. Dynastie des Neuen Reiches kam es in Ägypten unter Amenophis IV., der sich Echnaton nannte, zu einer Neuausrichtung in der Religion, die auch die Kunst beeinflusste. Echnaton entmachtete die Priesterschaft der Tempel und setzte Aton, die Sonnenscheibe, als alleinig anzubetend ein. Er verlegte den Regierungssitz und gründete Tell el-Amarna. Nofretete war seine Hauptfrau. Ein Siegelring mit Darstellung der thronenden Nofretete weckt das Interesse jedes Betrachters.
Das Ehepaar aus Merzig kommt mir entgegen, als ich die Amarna-Periode weiter erkunde. Die blonde Dame teilt ihren Eindruck: „Wir sind begeistert, was früher schon alles gemacht wurde. Am liebsten würde ich die Vase da hinten mitnehmen." Ihr Gatte fügt an: „Als die Menschen bei uns noch auf den Bäumen saßen, haben die so was schon gemacht." Die Vase stammt aus Echnatons Residenzstadt Tell el-Amarna und ist mit Lotusblumen dekoriert. Ich finde, die Dame hat gut gewählt.
Halskette hier, Halskette dort – Halsketten an jedem Ort. Meine Kondition und Konzentration lassen nach. Die nächsten Schätze jedoch bringen mich wieder auf den Punkt, insbesondere das königliche Pektoral mit Geier. In der Sektion Griechische Zeit faszinieren mich die eleganten Schlangenarmreife. Endlich, in der Ptolemäische Periode finde ich sie: Hathor. Die Göttin ist 9,9 Zentimeter groß. Das Gesicht ist keine Maske, sondern ein goldener Stabaufsatz. Die Göttin Hathor setzt den glanzvollen Schlusspunkt der „Pharaonengold"-Ausstellung – passend, denn sie symbolisiert Freude und Schönheit.
Richtung Ausgang treffe ich das Merziger Paar wieder. Die Dame winkt zum Abschied und ruft mir zu: „Herrlich, es ist sehenswert!"