Mehr Frauen in Führungspositionen – das ist ein immer wieder gefordertes Ziel. Dass dieser Prozess so langsam voranschreitet, hängt auch mit einer Bremse im Kopf zusammen, die vielen überhaupt nicht bewusst ist.
Jünger und weiblicher werden – wohin man schaut, scheint das die neue Parole zu sein. Selbst die traditionell stark männerdominierte, konservative CSU unter Markus Söder will sich das jetzt auf die Fahne schreiben. Doch schon der Vorschlag des Parteichefs, eine 40-prozentige Quote für Frauen in den Kreisen, so wie es auf Landes- und Bezirksebene seit Jahren fester Standard ist, einzuführen, ging nicht durch. Stattdessen einigte man sich darauf, die 40-Prozent-Quote für Kreisvorstände als Wunsch und nicht als Verpflichtung zu formulieren.
Die Diskussionen innerhalb der Partei zeigen, wo die Probleme liegen. Der CSU-Kreisvorsitzende aus Passau, Holm Putzke etwa ist gegen die Quote, weil er glaubt, es müsse in der Partei das Bestenprinzip gelten. Auch sein Kollege Robert Simm aus Dachau äußert sich ähnlich zur Frauenquote: „Wir brauchen das nicht. Diese Partei öffnet Frauen sämtliche Türen." Wer etwas werden wolle, komme auch jetzt in Amt und Würden. „Die Maßnahme ist undemokratisch. Man muss nicht jeden Schmarrn mitmachen." Parteichef Söder hingegen ahnt, wohin diese Haltung auf Dauer führen könnte, hat die CSU doch bei der letzten Wahl insbesondere bei jungen Frauen „verheerend" schlecht abgeschnitten. „Liebe Freunde, das ist auf Dauer keine gute Wirkung für unsere Partei", warb er zumindest für den letztlich beschlossenen Kompromiss.
Nun muss man nicht erst auf die Männerriegen der CSU schauen, um zu wissen, dass es um den Anteil der Frauen in führenden Ämtern hierzulande nicht besonders gut bestellt ist. In den 30 Dax-Unternehmen sind nur rund 14,5 Prozent der Vorstände mit Frauen besetzt. In den 160 Konzernen aus den Börsenindizes Dax, MDax und SDax arbeiteten zum Stichtag 1. Januar 2019 insgesamt 61 Managerinnen im Vorstand. Das entspricht einem Frauen-Anteil in den Führungsgremien von 8,6 Prozent. Bezogen auf alle Unternehmen in Deutschland besetzen Frauen 29 Prozent der Führungspositionen, wie eine Auswertung des IW-Personalpanels zeigt. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist seit Jahren weitgehend konstant und hat sich auch nach Auswertungen von Arbeitsmarktdaten des Statistischen Bundesamts kaum verändert. Demnach lag der Frauenanteil unter den Führungskräften in Deutschland im Jahr 2017 bei 29,2 Prozent. Zum Vergleich: Vor 20 Jahren betrug er 26,6 Prozent. Frauen sind den Angaben zufolge auch immer noch seltener berufstätig als Männer. Ihr Anteil an allen Erwerbstätigen lag 2017 bei 46,5 Prozent. 20 Jahre zuvor waren es noch 42,9 Prozent.
29 Prozent Frauen in Führungspositionen
Die Dynamik gleiche „dem Ritt auf einer Schnecke", bilanzierte einst Elke Holst vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einer davon ist den meisten allerdings gar nicht bewusst. Das macht ihn so wirkmächtig.
Glass-Ceiling-Effekt nennen es Forscher, wenn gut ausgebildete Frauen auf ihrem Karriereweg auf eine Barriere stoßen, an der es nicht weitergeht. Diese gläserne Decke behindere den weiteren Aufstieg nach oben massiv, sei aber durchsichtig und daher leicht zu übersehen. Dahinter steckten vor allem Geschlechterstereotype, also verbreitete Überzeugungen über Männer und Frauen. Sowohl Männer als auch Frauen bedienen sich dieser Stereotype – oftmals ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Studien zufolge wurden Frauen beispielsweise stärker sozial verträgliche Eigenschaften zugeordnet. Dazu zählen etwa Hilfsbereitschaft, Mitgefühl und Freundlichkeit. Männer hingegen wurden eher als unabhängig, ehrgeizig und durchsetzungsstark beschrieben. Wenn man Menschen fragt, welche Eigenschaften für sie eine erfolgreiche Führungskraft ausmachen, nennen sie eben diese vermeintlich männlichen Eigenschaften. Die Idee von Führung ist in unseren Köpfen also stark mit „männlichen" Persönlichkeitseigenschaften verknüpft.
Gelingt es Frauen dennoch in höhere Führungsämter zu kommen, sind sie auch dort wieder mit Stereotypen konfrontiert. Professor Frank Flynn von der Columbia Business School gab seinen Studenten als Fallstudie die Berufslaufbahn der erfolgreichen Unternehmerin Heidi Roizen zu lesen. Anschließend sollten die Studenten in einer Online-Befragung die Charaktereigenschaften der Geschäftsfrau bewerten und die Frage beantworten, ob sie sie bei sich im Unternehmen einstellen würden. Was die Studenten nicht wussten: In der Hälfte der Fallstudien hatte der Professor den Vornamen der beschriebenen Person geändert; „Heidi" wurde zu „Howard". Abgesehen davon waren beide Geschichten identisch. Von „Howard" zeigten sich die Studenten begeistert. Sie bewerteten ihn als kompetent, ehrgeizig und sympathisch und erklärten sich bereit, „Howard" nicht nur anzuheuern, sondern auch gerne mal mit ihm ein Bier trinken zu gehen. Bei „Heidi" sah die Bewertung anders aus. Zwar wurde sie als ebenso kompetent wie „Howard", doch zugleich als machthungriger, dominanter und manipulativer bewertet. In der Forschung ist dieses Phänomen als Likeability-Problem bekannt, also das Problem des Gemochtwerdens, des Sympathischseins.
Auch Cherly Sandberg, Facebook-COO, schrieb in ihrem 2013 veröffentlichten Buch „Lean In. Women, Work and the Will to Lead" über dieses Phänomen. Sandberg hat einen MBA-Abschluss der Harvard Business School und zählt zur neuen Generation der weiblichen Superstars aus dem Silicon Valley. Sieben Jahre lang arbeitete sie als Vice President of Global Online Sales & Operations für Google, bis Facebook sie 2008 als Chief Operating Officer ins Haus holte. Zwei Jahre später wurde das Soziale Netzwerk unter ihrer Führung erstmals profitabel. Die Geschäftsfrau kam in der Forbes-Liste der 100 mächtigsten Frauen der Welt auf Platz zehn. „Erfolg und Sympathie hängen bei Männern positiv zusammen und bei Frauen negativ", erläutert Sandberg.
Stereotypen erschweren Aufstieg
Dieses Problem hat verschiedene Auswirkungen. Einerseits werden Frauen, denen weibliche Geschlechterstereotype wie zum Beispiel nett und fürsorglich, zugeschrieben werden, zwar mehr gemocht, aber nicht als potenzielle Führungspersönlichkeit angesehen. Auf der anderen Seite aber werden Frauen, die über vermeintlich männliche Fähigkeiten wie Durchsetzungsvermögen, Stärke und Ehrgeiz verfügen als „bitchy", unweiblich und aggressiv betrachtet und deshalb weniger oder gar nicht gemocht. In beiden Fällen ist es für die Frauen unwahrscheinlicher befördert zu werden als für Männer, denn was bei den Mitarbeiterinnen als „bossy" gesehen wird, fällt bei Mitarbeitern in die Kategorie Führungsqualitäten.
Madeline Heilman, Psychologie-Professorin der New York University konnte zeigen, dass Männer, die am Arbeitsplatz helfen, dafür angesehen und wertgeschätzt werden. Tun Sie das nicht, fällt dies nicht weiter ins Gewicht. Bei Frauen hingegen ergab sich ein anderes Bild. Wenn eine Frau zur Hilfe eilt, wird das als selbstverständlich erachtet, weil es als ihre traditionelle Rolle angesehen wird. Hilft sie nicht, wird sie als gemein und nicht hilfsbereit eingestuft – Charakterzüge die nicht zu denen einer weiblichen Führungskraft gezählt werden.
Aber auch Männer, die von der gesellschaftlichen Norm abweichen, müssen Diskriminierung fürchten. Dies geht aus einer 2013 veröffentlichten Studie von Laurie Rudman und Kris Meschner von der Rutgers University in New Brunswick (USA) hervor. Sowohl männliche als auch weibliche Probanden empfanden einen männlichen Angestellten, der den Personalchef um eine zwölfwöchige Elternzeit bat, als unsicherer, weniger ehrgeizig und weniger durchsetzungsfähig. Sie verneinten außerdem häufiger Aussagen wie „Er macht Überstunden, wenn es nötig ist" oder „Er ist bei der Arbeit respektiert" und schlugen ihn seltener für eine Beförderung, ein Führungskräftetraining oder eine Gehaltserhöhung vor. Ob Männer, die in Elternzeit gehen oder wegen der Familie nur halbtags arbeiten, negativer bewertet werden als Frauen, ist unklar.
In Krisenzeiten mehr Frauen
Auffällig ist auch ein weiteres Phänomen, das von Forschern als die „gläserne Klippe" bezeichnet wird. Führungspositionen werden demnach vor allem in Krisenzeiten mit Frauen besetzt – also dann, wenn das Risiko zu scheitern besonders groß ist. „In Krisenzeiten passt das männlich geprägte Bild der idealen Führungskraft nicht mehr so gut", erklärt Psychologie-Professorin Susanne Bruckmüller von der Universität Koblenz-Landau die Befunde. In einer schwierigen Phase erhofften sich Menschen von einem Chef ein gutes Gespür für die Mitarbeiter – und das halten sie für typisch weiblich.
Was also tun? Wie lässt sich dieser Zustand verändern? „Die gläserne Decke hat Risse", schrieb „Die Zeit" bereits im November 2012. „Quote hin oder her: Die Frauen sind auf dem Weg nach oben." Männliche Netzwerke und stillschweigende Vorurteile seien nicht gottgegeben, sondern zu großen Teilen gesellschaftlich konstruiert und daher veränderbar. Doch ganz so einfach ist es nicht. Wie Stereotype gezielt verändert werden können, lässt sich bisher nicht befriedigend beantworten.
Vorurteile bewusst machen
Und auch die Quote, die dann 2016 für alle börsennotierten und „voll mitbestimmungspflichtigen" Unternehmen in Kraft trat und dazu führen soll, eine Mindestquote von 30 Prozent Frauen in Aufsichtsräten zu etablieren, scheint höchstens ein Anfang zu sein. Dennoch seien solche Vorbilder wichtig, so die Psychologie-Professorin Melanie Steffens der Universität Koblenz-Landau: „Wenn wir keine Frauen in der Führungsetage haben, haben wir keine weiblichen Vorbilder. Dann gibt es keine Frauen, die sich für die Position interessieren, und so ändern sich auch die Geschlechterstereotype nicht." Aber auch ein Wandel in der Unternehmenskultur, etwa was flexible Arbeitszeiten und neue Karrieremodelle angeht, sei wichtig. Ebenso die Förderung von Frauen bei technischen Potenzialen oder Führungsqualitäten. „Es ist wichtig, dass wir uns bewusst werden, dass diese Vorurteile existieren und zwar häufig unbewusst. Männer und Frauen sollten Unterhaltungen unterbrechen und darauf aufmerksam machen, wenn etwa Sätze wie ‚sie ist so emotional‘ oder ‚sie sorgt sich nicht besonders‘ fallen, weil sie zeigen, wie Kompetenz gesehen und bewertet wird", fordert die Verhaltensforscherin Dr. Pragya Agarwal, die das Buch „Sway: The science of unconscious bias" geschrieben hat. Sie plädiert dafür, Vorurteils-Trainings durchzuführen, sodass sich die Menschen ihrer Handlungen, aber auch ihrer Wortwahl bewusst würden. In dieser Debatte müssten sich Männer ebenso engagieren wie Frauen und zum Botschafter für Gleichheit und weibliche Führungskräfte werden. Aber auch Frauen seien gefragt, sich bewusst zu machen, wo sie andere Frauen vielleicht diskriminieren oder sie dafür strafen, erfolgreich zu sein. „Das Wichtigste ist: Unternehmen und Organisationen müssen sich ihre Arbeitsbedingungen genau anschauen und neu definieren, was es bedeutet, eine Führungskraft zu sein. Wir müssen aktiv daran arbeiten, traditionelle Geschlechtsnormen zu benennen und die Art und Weise, wie wir Führungsqualitäten definieren, zu überdenken."