Chicago bietet vieles: einen riesigen See mit Stränden und ufernahen Rad- und Laufwegen, gepflegte Parks, ein reiches Kulturleben und spektakuläre Bauten. Und erstmalig ein „Jahr der Musik" in der ganzen Stadt.
Städte am Wasser sind ohnehin zumeist beliebt, bieten sie im Idealfall doch viele Vorteile für Handel und Wandel sowie für Bewohner und Besucher. Das Plus für Chicago ist der riesige Michigansee, und kaum angekommen lockt er wie ein Magnet. Nur fünf Minuten sind es vom „Claridge House Hotel" im Stadtteil River Nord bis zum Wasser.
Gold Coast (Goldene Küste) steht auf der Landkarte. Ältere, stilvolle Häuser zeigen, dass diese seenahen Straßen eine beliebte Wohngegend sind. Eine Goethe- und eine Schillerstraße gibt es hier auch. Andererseits fallen die vierstelligen Hausnummern auf. Das zeigt ihre erstaunliche Länge. Wer etwas sucht, sollte das beachten.
Auch die Autofahrer können den See genießen, führt doch der Lake Shore Drive direkt am Wasser entlang. Durch kurze Tunnel gelangen Spaziergänger, Jogger und Radler auf eine eigene Straße und den teils gepflasterten Strand. Dort spurten sie zwischen dem See und stattlichen Hochhäusern.
Wer in diesen Bauten wohnt oder arbeitet, hat wirklich Zimmer mit Aussicht und wird dennoch nie das jenseitige Seeufer erblicken. Der Michigansee, der 58.000 Quadratkilometer Fläche bedeckt, ist größer als die Schweiz. An diesem 494 Kilometer langen und 190 Kilometer breiten „Binnenmeer" laufe ich täglich ein Stücklein, mal zum Sandstrand im Norden, mal zu dem im Süden. Eine frische, leicht feuchte Brise weht ständig und pustet die Abgase weg. „Windy City" wird Chicago genannt.
Am attraktiven Seeufer finden sich auch das „Shedd Aquarium" und das „Adler Planetarium". Daher bieten sie neben ihren bemerkenswerten Schätzen auch einen Blick auf die berühmte Skyline dieser 2,7 Millionen Einwohner-Stadt, der drittgrößten in den USA.
Sandstrände im Norden und Süden
Im 1929 erbauten „Shedd Aquarium", einem der ältesten weltweit, verbringen die Fans gerne mehrere Stunden (www.sheddaquarium.org). 32.000 Wasserbewohner werden dort gehütet, niedliche Seepferdchen und rotbäuchige Piranhas ebenso wie gefährliche Zebrahaie und putzige Pinguine. Die Kinder lieben die sehr und ebenso die bunten Papageien.
Viele zieht es auch ins „Adler Planetarium", das älteste in den USA (www.adlerplanetarium.org). Selbstverständlich ist dort Neil Armstrong abgebildet, der erste Mensch, der vor 50 Jahren seinen Fuß mit dem bekannten Satz auf den Mond setzte: „Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer Sprung für die Menschheit!"
Ein weiteres Foto zeigt die Familie des Astronauten Jim Lovell, der im April 1970 als Kommandant des Raumflugs Apollo 13 die Erde umkreiste und mit zwei Kameraden auf dem Mond landen sollte. Durch die Explosion eines Sauerstofftanks gerieten die Drei jedoch in höchste Gefahr, und so musste der Flug abgebrochen werden.
Seine Frau Marilyn und die drei Kinder konnten währenddessen die Funksprüche zwischen ihm und der Kontrollbehörde in Houston mithören, aber nicht mit ihm selbst sprechen. Welch Nervenanspannung für die daheim. „Doch ich war sicher, dass er zurückkehren würde", sagte Marilyn nach der gelungenen Notlandung auf dem Wasser. Trotz Jim Lovells vier Weltraumflüge hat es mit dem ersehnten Schritt auf dem Mond nicht geklappt.
Wir auf der Erde können nun so manches erleben, ohne gleich das Leben zu riskieren. Die Zeit der Gangsterbosse ist in Chicago lange vorbei, Kriminalität gibt es sicherlich auch – wie in fast jeder Großstadt. Beim spätabendlichen Spaziergang in Hotelnähe oder in der Innenstadt habe ich mich zwischen all den Menschen jedoch nie unsicher gefühlt.
Die Zeit der Gangsterbosse ist vorbei
Auch nicht angesichts von Sue, des größten bisher entdeckten Tyrannosaurus Rex im „Field Museum", das die Wunder der Welt präsentiert. Entdeckt wurde das gut erhaltene Fossil 1990 in South Dakota von Sue Hendrickson. Nach ihr hat man den inzwischen von Experten vervollständigten Riesen benannt. Der originale Schädel ist hinter Glas in einer Vitrine zu sehen (www.fieldmuseum.org).
An Kunstschätzen besitzt die Stadt ebenfalls Erstaunliches, so im „Art Institute of Chicago", eines der besten Museen weltweit, wertvolle Relikte aus dem antiken Griechenland sowie Exponaten aus Japan, Afrika und Europa (www.artic.edu). Die Moderne mit Andy Warhols Porträt von Elizabeth Taylor fehlt auch nicht.
Ein besonderes Highlight sind jedoch die Gemälde der Impressionisten. Angeblich besitzt dieses Museum die meisten Bilder von Claude Monet überhaupt. Wer hätte das gedacht? Hingucker sind auch die „Zwei Schwestern auf der Terrasse" von Auguste-Pierre Renoir. Nur der von Stararchitekt Renzo Piano geplante moderne Anbau kann das auf seine ganz andere Weise toppen: beim Lunch im „Terzo Piano" (www.terzopianochicago.com), bei warmem Wetter auf der offenen Terrasse mit Nahblick auf die Wolkenkratzer gegenüber.
Alle bisher erwähnten Museen lassen sich verbilligt mit dem Citypass besuchen, der insgesamt sieben interessante Locations umfasst. Für diejenigen, die mehrere Tage in Chicago verbringen und vieles erkunden wollen, lohnt sich der Kauf.
Denn auch ein Rabatt-Bon für das Skydeck Chicago im 442 Meter hohen Willis Tower (früher Sears Tower) ist enthalten. Dort liegt den Staunenden Chicago zu Füßen. Wie Spielzeughäuser wirken von hoch oben wirken die Wolkenkratzer. Wenn Nebelwolken vorbeiziehen, ergeben sich mystische Bilder.
Jährliches Wettrennen im Hochhaus
Eine Attraktion ist auch das jährliche Wettrennen von unten bis zur Spitze des Willis Towers. „Der Rekord für die 9.000 Stufen liegt knapp über 13 Minuten", weiß Randy Stancik, Skydeck General Manager, betont jedoch: „Wichtig ist es, dass die Sportler oben ankommen, ohne sich zu überanstrengen." Andere begnügen sich damit, dort zu frühstücken, zu heiraten und Feste zu feiern (www.theskydeck.com).
Die am meisten gebuchte Attraktion ist jedoch die Chicago Architecture Center River Cruise, eine 90-minütige, preisgekrönte Flusskreuzfahrt. Die ist für viele das Highlight aller Highlights, zumal ausgebildete Architektur-Dozenten über alle am Fluss errichteten Bauten und ihre Planer bestens Bescheid wissen (www.architecture.org/experience-caf/tours).
Menschen aus aller Welt gönnen sich gerne dieses Erlebnis, die Chicagoer nehmen das offensichtlich als Sonntagsvergnügen. Zeitiges Eintreffen ist ratsam, um einen Platz auf dem Oberdeck zu ergattern.
Der Drang in die Höhe begann nach dem großen Brand von 1871, der große Teile der Innenstadt zerstörte und die Bodenpreise explodieren ließ. Internationale Stararchitekten von damals bis heute – darunter auch der Ex-Bauhausdirektor Mies van der Rohe – planten Chicagos Hochhäuser. Bald wurden sie weltweit ein Vorbild für zeitgemäßes Bauen. Nach neuesten Zahlen besitzt Chicago 1.273 Hochhäuser und 117 Wolkenkratzer, das heißt, Gebäude mit mehr als 40 Stockwerken. Von Art déco in Beige bis zu steilen, blau schimmernden Glasfassaden ist alles dabei. Auch Chicagos Oper liegt direkt am Fluss. Einige Bauten winden sich förmlich in die Höhe. Doch nur einer der Skyscraper (Himmelsstürmer) trägt in großen Lettern den Namen seines Besitzers: der bläulich-glitzernde Trump Tower.
Für Theatergänger gibt es jede menge Bühnen
Ganz in der Nähe, im relativ neuen Architecture Foundation Center, gibt es die Tickets (Preis ohne Steuern circa 45 Euro) und weitere Informationen, darunter ein Stadtmodell mit den Hochhäusern. Übrigens führt auch ein Fußweg direkt am Fluss entlang, von dem aus sich die Bauten bestens betrachten lassen, wenn die Schiffe Winterpause haben.
Keine Pause machen jedoch Jazz und Blues, für die Chicago inzwischen zur Heimat geworden ist. Für Kenner ist das traditionsreiche Buddy Guy’s Legends ein Muss (www.buddyguy.com), andere bevorzugen den Gospel-Brunch im House of Blues. Dort bleibt niemand hungrig, vieles wird frisch zubereitet und schnell kommt auch Stimmung auf. Einige aus dem Publikum lassen sich auf die Bühne locken und tanzen bei der Show gern mit (www.houseofblues.com/chicago).
Doch es kommt noch besser: 2020 feiert Chicago erstmals und in allen 77 Stadtteilen ein „Jahr der Musik". Mitsingen, Tanzen und Feiern sind angesagt, die ganze Stadt wird zur Bühne.
Dem House Music Festival von 21. bis 23. Mai folgen das Chicago Gospel Music Festival von 26. bis 30. Mai und das Chicago Blues Festival von 5. bis 7. Juni, das größte kostenlose Blues Festival der Welt. Jazz-Fans werden beim renommierten Chicago Jazz Festival von 28. August bis 6. September glücklich, die Klassik-Liebhaber bei Open-Air-Sommerkonzerten von Juni bis August. Und alles ist gratis.
Breite Palette von Restaurants
Theatergänger müssen auch nicht darben, gibt es doch jede Menge Bühnen, unter anderem das Chicago Shakespeare Theater am Navy Pier. Das punktet auch mit dem spätabendlichen Charme des Riesenrads und der Hochhäuser in dieser Bucht (www.chicagoshakes.com).
Doch der Mensch lebt nicht von Kultur allein. Restaurants gibt es in Hülle und Fülle und in jeder Preislage. Eher bodenständig gibt sich im quirligen Stadtzentrum, dem Loop, „The Gage" (thegagechicago.com). Auf Fisch und Austern hat sich „Two Lights Seafood & Oyster" spezialisiert (www.twolightschicago.com). Nach Farmerart wird im „The Publican" gekocht (www.thepublicanrestaurant.com), eher Spanisch im „Tapas Valencia". Statt kleiner Tapas gibt es dort schmackhafte und mittags günstige Tellergerichte (www.tapasvalencia.com).
Auf den oberen Rängen rangieren, was Qualität und Preis betrifft, das beliebte „Boka" (www.bokachicago.com), das „Sunda New Asian" (www.sundanewasian.com/chicago) sowie das „Sepia" (www.sepiachicago.com). Chicago liegt zwar nicht am Meer, doch Lobster (Hummer) und frisches Sushi sind in solchen First-Class-Restaurants selbstverständlich. Günstiger geht aber auch. Nach einem Essen in Lou Malnati’s stadtbekannter „Deep Dish Pizza" lässt sich auch der Rückflug mit einer Airline verkraften, die nur Getränke gratis anbietet.