Klaus Erfort spricht im Interview über die logistischen Probleme durch die Randlage des Saarlandes, die aus seiner Sicht häufig unsachliche Kritik an der Hochgastronomie und die mangelnde Unterstützung seitens der Landespolitik. Aber auch über die Freuden seines Berufs und seine mögliche Zukunft.
Herr Erfort, Sie haben drei Sterne bei Michelin, mit 19,5 Punkten die höchstmögliche Bewertung im Gault & Millau. Im Grunde haben Sie alles erreicht, was beruflich möglich ist. Haben Sie noch Ziele?
(lacht) Das ist eine wirklich gute Frage. Mein Ziel ist es immer, dass der Gast ein paar schöne Stunden erlebt und glücklich zur Tür hinausgeht. Eigentlich haben wir einen wunderschönen Beruf, denn wir können Menschen abholen und glücklich machen. Ich koche hier nicht für mein eigenes Ego oder um mich zu verwirklichen. Ich bin 47, werde jetzt 48. Klar kommt man da auch mal einen Punkt, wo man sich fragt: Was mache ich in Zukunft? Ich habe ja doch noch ein paar Jahre Arbeitsleben vor mir, wie gestalte ich die? Die Frage stellt sich schon.
Haben sie möglicherweise konkrete Überlegungen, etwas anderes zu machen?
Nein, es gibt keine konkreten Überlegungen. Aber unser ganzes gesellschaftliches Leben verändert sich gerade. Ich bin der Meinung, dass das klassische Gourmet-Restaurant ein Stück weit am Aussterben ist. Die Leute wollen abends nicht mehr vier, fünf Stunden bei Tisch sitzen. Die sind irgendwann froh, wenn sie um 22 Uhr nach Hause kommen und schauen können, ob die eigene Couch und der eigene Fernseher noch im Haus stehen. Zu meiner Ausbildungszeit war ein solches Restaurant etwas Besonderes, das hatte man zu Hause nicht. Immer weiße Tischdecken, Silberbesteck und Ähnliches. Jeder besser gestellte Haushalt hat das heutzutage. Unsere Gäste haben teilweise schönere Weinkeller als wir. Es geht einfach darum, den Gästen zwei schöne Stunden zu bereiten. Die wollen eine schöne Flasche Wein trinken, was Tolles essen, sich vielleicht ein bisschen nett unterhalten. Andere wollen vielleicht einfach mal ihre Ruhe haben, die brauchen nicht permanent Entertainment. Da muss man die nötige Empathie haben, um das zu entwickeln, was der Kunde in diesem Moment sucht oder braucht. Insofern verändert sich alles sehr. Mir geht das ja genauso. Ich gehe auch gerne gut essen, aber das darf nicht mehr zu steif sein, das muss unkompliziert sein.
Da hat sich doch auch in der gehobenen Gastronomie im Vergleich zu früher viel getan. Ich muss mich doch heute nicht mehr unbedingt in Frack und Schale werfen …
Das stimmt schon. Wenn ein unreservierter Gast auf der Matte steht, mit Jeans und T-Shirt, den kann niemand einschätzen. Ich sage ohnehin immer, dass man niemanden nach dem Äußeren beurteilen sollte. Mancher Gast hat eine Jeans an, die kostet mehr als am Nachbartisch der komplette Anzug. Gerade der, der in Jeans und T-Shirt auf der Matte steht, hat meist einen Grund, warum er das macht. Der hat gerade Bock, der will ganz spontan genießen. Der will Geld ausgeben in dem Moment. Mein Gefühl ist es, dass es den Leuten aber immer noch schwer gemacht wird, ihr Geld auszugeben. Das manche zu reguliert, zu restriktiv sind. Oft kann man sein Geld gar nicht loswerden.
Wie meinen Sie das?
Schauen Sie, in dem High-End-Bereich, in dem wir uns bewegen, dreht sich vieles um Spontaneität. Das sind oft Momente, wo jemand sagt: Ich habe einen guten Job gemacht, jetzt gönne ich mir was. Ich belohne mich. Das muss man auch bedienen können. Egal, ob sich jemand ein tolles Auto kaufen möchte oder bei uns gut essen will. Andererseits heißt es dann auch immer wieder, der Erfort, das ist der Koch der Reichen und Schönen. Das ist alles Quatsch. Ich bediene alle. Und ich rede auch mit allen. So wie wir Mitarbeiter auf 450-Euro-Basis haben und Mitarbeiter, die richtig gutes Geld verdienen, so haben wir auch völlig unterschiedliche Kunden. Das sind teilweise Multimillionäre, aber auch Gäste, die kommen einmal alle zehn Jahre am Hochzeitstag. Unser Ziel ist es, jeden abzuholen und ihm einige schöne Stunden zu bereiten, jeden Gast glücklich zu machen.
Spielt da nicht vor allem der Neid eine Rolle, weil die Welt der Drei-Sterne-Gastronomie für viele schlicht purer Luxus ist?
Die Neiddebatte ist tatsächlich etwas, was mich traurig macht. Klar lebe ich sicher ein Stück weit privilegiert. Ich lebe ein schönes Leben, will mich gar nicht beklagen. Aber dass das mittlerweile auch ein Stück weit dazugehört, das verstehen viele nicht. Dort, wo ich herkomme, heißt es dann: Du hast ja nur mit den Bonzen zu tun. Wenn ich so etwas höre, könnte ich kotzen. Das ist solch ein kleinkariertes Denken, und damit habe ich ein Problem. Was machen wir denn hier? Hier sind 18 Leute beschäftigt, wir haben in der „Schlachthof Brasserie" Leute beschäftigt, im „Fuchs" Leute beschäftigt. Die haben alle Familien. Ich ernähre Familien mit meiner Arbeit, zahle meine Steuern. Am Ende schaue ich zuerst, dass die Löhne überwiesen sind. Ich bin doch hier nur der Mittelsmann zwischen meinen Gästen und meinen Mitarbeitern. Ich verwalte erst einmal das, was reinkommt. Und mit etwas Glück bleibt auch für mich was übrig. Klar habe ich einen Status, das genieße ich auch. Aber dass immer ein solch negatives Image auf unserem Segment liegt, ist einfach nicht zu Ende gedacht.
Inwiefern?
Im Grunde ist es völlig absurd, denn auch der Allgemeinheit bringen 19 Prozent einer 1.000-Euro-Rechnung mehr als 19 Prozent von 200 Euro. Und was die sozialen Medien angeht, sehen die Leute immer nur das, was gerade aufpoppt und meist von Neid oder Unwissenheit gesteuert ist. Da heißt es beispielsweise vor Weihnachten immer wieder: Der könnt ja mal an Heiligabend für die Obdachlosen kochen statt nur für die Reichen und Schönen. Wir haben vor Weihnachten zwei Pkw vollgeräumt mit Konserven und haben alles, was wir hier im Haus gesammelt haben von Mitarbeitern zu einem Kältebus gefahren. Im vergangenen Jahr haben wir zusammen mit Dr. Theiss Naturwaren eine Charity veranstaltet und dabei an einem einzigen Nachmittag weit über 120.000 Euro gesammelt und gespendet. Davon hat man kein öffentlichkeitswirksames Foto in der Presse gesehen, es hat sich keiner lächelnd mit einem Scheck hingestellt. Ich finde es immer lächerlich, wenn Leute da stehen mit einem Scheck über 1.500 Euro und eigentlich nur PR in eigener Sache machen wollen.
Wir machen solche Aktionen immer still und leise. Das muss auch niemand mitkriegen, wir machen es mit Herz und für einen guten Zweck, und müssen uns nicht damit nach vorne stellen. Hinzu kommt, dass kaum einer kapiert, dass wir an einem Sonntagnachmittag so viel Geld zusammensammeln. Ganz viele Familien verdienen das nicht in zwei Jahren als Jahreseinkommen. Meistens äußern sich aber Leute öffentlich, die noch nie bei uns waren und eigentlich keine Ahnung haben, was wir machen. Da fehlt schlicht das Verständnis für unsere Probleme.
Wie schwierig ist es eigentlich, am Standort Saarland ein solches Restaurant zu führen? Im Gegensatz zu Metropolen wie Berlin, Hamburg, München fehlt doch sicher schlicht die Menge potenzieller Gäste – und vor allem auch die Kaufkraft.
Dass wir im Saarland strukturschwach sind und von den Durchschnittslöhnen bundesweit am schlechtesten dargestellt sind, ist kein Geheimnis. Wir haben sicher den großen Vorteil des Drei-Länder-Ecks, haben Rheinland-Pfalz bis hin zu Trier und Kaiserslautern. Ansonsten haben wir in der Tat viele Nachteile. Schauen wir uns nur mal die Innenstadt von Saarbrücken an. Das ist alles relativ tot. Es fehlt der individuelle Kaufmann, das hat auch seine Gründe. Mit Sicherheit auch die individuelle Kaufkraft. Hinzu kommt natürlich der Internethandel.
Das größte Problem sehe ich aber an unserer logistischen Anbindung. Wir haben einen Flughafen, der nicht richtig funktioniert. Wenn überhaupt, kommen wir noch nach Berlin weg – und das war’s. Wir müssen entweder nach Luxemburg oder nach Frankfurt fahren. Das ist in unserem Bereich schon sehr bitter, gerade wenn man mit nationalen und internationalen Gästen und Kunden arbeitet. Die müssen nach der Ankunft mit dem Flieger eine weitere Anreise von zwei Stunden auf sich nehmen. Gleiches gilt, wenn man selber viele Termine außerhalb hat oder unterwegs sein muss. Das kostet wahnsinnig viel Zeit, da verpufft ganz schnell ein halber Reisetag. Das kann man sich wirtschaftlich eigentlich nicht erlauben. Meine Zeit kostet Geld, oder ich kann in dieser Zeit auch anders Geld verdienen, statt im Auto zu sitzen. Und das geht unseren Kunden ja letztlich ganz genauso.
Wir haben den Vorteil, dass einige Gäste einen Besuch bei uns mit einem weiteren Besuch bei meinem Kollegen Christian Bau auf Schloss Berg verbinden und dann vielleicht auch noch nach Frankreich fahren, damit sich die Reise lohnt. Aber das jemand gerade mal vorbeischaut, weil er jetzt Lust hat und es ihm danach ist, das ist bei uns aus den genannten Gründen einfach sehr sehr schwierig.
Haben Sie auch aus diesem Grund Ihre Öffnungszeiten angepasst?
Wir haben jetzt nach 18 Jahren unsere Ruhetage überarbeitet. Eigentlich haben wir hier eine Mannschaft im „GästeHaus" stehen, die kann auch locker mal 110 oder 120 Prozent fahren. Aber tatsächlich haben wir eine Belegung, die weit darunter liegt. Unsere Belegung ist sehr schwankend, aber ich brauche die Mannschaft, damit sie zu Stoßzeiten das Pensum einfach abarbeiten kann. Das tut weh und schmerzt auch wirtschaftlich. Seit vorigem Jahr haben wir drei neue Mitbewerber bekommen, alle haben am Samstag auf. Wir sind den heiklen Schritt gegangen, neben dem Sonntag auch den Samstag zuzumachen und den Montag dafür aufzumachen, denn montags hat jeder zu. Wir müssen einfach mal gucken, wie sich das entwickelt. Aber ich denke, das ist gut. Vor allem ist es auch für mein eigenes Team gut. Ich kann meinen Mitarbeitern eine sehr geregelte Arbeitswoche bieten, von Montag bis Freitag und ein Wochenende. Ich habe Mitarbeiter, die sind schon lange im Haus. Manche haben Nachwuchs, manche planen Nachwuchs, die haben Familien gegründet. Wir haben auch an allen Feiertagen geschlossen, auch an Weihnachten und Silvester.
Ausgerechnet dann, wenn die Leute normalerweise essen gehen?
Ja, aber wir können die Kapazität nicht erweitern. Wenn ein Mitarbeiter an Weihnachten bei mir arbeitet, muss ich das ja auch alles vergüten. Ich muss im Grunde genommen den doppelten Umsatz erzielen wie an einem normalen Tag, und das werden wir nie erzielen. Es gibt Kollegen von mir, die haben plötzlich dreimal so viele Leute da sitzen an solch einem Weihnachtstag. Dann ist das eine andere Rechnung. Aber mit 35 Gästen sind wir ausgebucht – und dann sind wir auch wirklich ausgebucht. Und ob der Pro-Kopf-Umsatz höher ist als an einem anderen Tag, das steht in den Sternen. Insofern macht das auch wirtschaftlich keinerlei Sinn. Immerhin sind wir momentan so ziemlich das einzige Sternehaus mit einem kompletten Team. Das spricht sicher auch für die geregelten Arbeitszeiten. Wir hatten kürzlich den ersten Samstag, an dem wir alle frei hatten. Das war schon ein komisches Gefühl. (lacht) Damit muss man erst einmal umgehen lernen, das kennt man ja gar nicht.
Sie haben die neuen Mitbewerber angesprochen. An den drei neuen Konkurrenten sind Sie ja ein Stück weit selbst schuld. Die sind doch alle durch ihre Schule gegangen.
(lacht) Ja, klar, da können wir stolz drauf sein, und das ist auch eine tolle Angelegenheit. Mit dem einen habe ich mehr, mit dem anderen weniger Kontakt. Wir haben hier 2002 den Stern wieder bekommen in Saarbrücken. Davor gab es 20 Jahre keinen Stern in Saarbrücken. Ich würde behaupten, wir haben da schon relativ viel bewegt, sehr viele Schüler auf die Strecke gebracht. Nicht nur im Saarland, auch überregional. Das ist sicher auch ein Zeichen, dass wir doch eine ganz gute Arbeit gemacht haben, auf die wir stolz sein können.
Noch mal zurück zu den Rahmenbedingungen. Würden Sie sich manchmal mehr Unterstützung seitens der Landespolitik wünschen?
Die Landespolitik wirbt mit dem Saarland als dem Land der Gourmandise, aber selber nimmt sie uns nicht in Anspruch. Das muss man ganz klar sagen. Wir kriegen, wenn überhaupt mal eine Veranstaltung stattfindet, ab und zu mal eine Ausschreibung. Die ist dann aber einen ganzen Leitz-Ordner dick. Da sind Kriterien zu erfüllen ... (holt tief Luft) Alleine das Ding zu bearbeiten, ist wirtschaftlich schon uninteressant. Das ist schade. Wenn man auf der einen Seite gerne mit uns wirbt, sollte man uns auch in Anspruch nehmen.
Das hat ja Ihr Kollege Christian Bau auch schon mehrmals öffentlich moniert.
Hut ab, Christian hat sich da sehr stark gemacht dafür. Ich glaube, dass das nicht nur ein saarländisches Problem ist, sondern ein bundesweites. Da ist die ganze Diskussion um Compliance, da ist die Diskussion um die Angemessenheit der Bewirtungsbelege. Man diskutiert sich schlicht tot. Wir haben Kunden aus Luxemburg, die gehen damit ganz anders um. Die holen ihren Bewirtungsbeleg ab, und die Welt ist in Ordnung. Die dürfen den noch einreichen, was bei uns ja schon sehr schwierig wird.
Können Sie sich vorstellen, aus all diesen Gründen irgendwann einmal ihren Standort zu verändern?
(Atmet tief durch) Aus diesem Grund würde ich den Standort nicht verändern. Wenn, dann aus privaten Gründen, aus eigenen Interessen. Vielleicht aus dem Grund, mir ein neues Ziel oder eine neue Aufgabe zu suchen. Man darf auch nicht immer alles miesreden und nur pessimistisch rangehen. Ich finde es einfach nur ein bisschen schade und traurig, dass alles immer sehr einseitig gewichtet wird. Einerseits haben wir nach außen hin bei vielen einen gewissen Touch von schlechtem Image, aber wenn es darum geht, sich selbst darzustellen, dann werden wir wieder ausgekramt. Ich bin jemand, der schon ganz oft den Mund aufgemacht hat, und eigentlich mag ich das nicht mehr. Denn das mag hier niemand hören.
Wie könnte so ein Ziel, solch eine Aufgabe aussehen?
Ich weiß nicht, vielleicht ein kleines Hotel am Mittelmeer und einmal die Woche kochen. So family and friends, raus aus dem Steifen, aus dem Rahmen. Die Menschen abholen und glücklich machen. Und ich will selber auch glücklich sein dabei. Das könnte ich mir vorstellen. Ich bin gerne unterwegs, ich mag das Mittelmeer. Ich habe dort Freunde und lasse mich gerne mal rausreißen, um einfach mal was anderes zu sehen. Das tut gut, dort kann ich runterkommen.