In Kroatien werden rechtliche Instrumente, die gegen Volksverhetzung und Hassrede gedacht waren, zur Einschüchterung der Presse verwendet. Amtspersonen sehen sich schon bei Kleinigkeiten in ihrer Ehre verletzt. Journalisten müssen mit hohen Strafen rechnen.
Am 16. September 2019 nahmen Polizisten den Journalisten des bekannten kroatischen Internetportals Index, Gordan Duhaček, am Flughafen von Zagreb fest und brachten ihn ins Polizeirevier, wo er den Rest des Tages hinter Gittern verbrachte. Duhaček hatte zuvor eine Vorladung zur Polizei wegen einer Dienstreise verschoben – entsprechend der Vorschriften. Erst am Abend wurde er dem Richter am zuständigen Zagreber Gericht vorgeführt. Dort wurde ihm mitgeteilt, dass ihm zwei Fälle von Ordnungswidrigkeiten wegen seiner Twitter-Veröffentlichungen zur Last gelegt werden. Im ersten Tweet hatte er vor mehr als einem Jahr der Polizei übertriebene Gewaltanwendung bei einer Aktion in der Stadt Zadar vorgeworfen. Seinen Kommentar hatte Duhaček mit dem Akronym A.C.A.B. („All Cops Are Bastards") beendet, was in Kroatien ein Vergehen gegen Amtspersonen darstellt. In einem zweiten Tweet hatte Duhaček eine satirische Umdichtung des patriotischen Gedichts „Vila Velebita" (die Fee vom Velebit) in „Der Kot vom Velebit" vorgenommen, um die Verschmutzung der geschützten Plitvicer Seen mit Fäkalien zu kommentieren. Im ersten Fall verurteilte ihn der Richter zu einer Geldbuße. Im Gespräch vor der Verhandlung hatte der Richter Duhaček gedroht, ihn für 30 Tage ins Gefängnis zu stecken, sollte er seine Schuld nicht eingestehen. Im zweiten Fall, in dem Duhaček die Beleidigung moralischer Gefühle der Bürger zur Last gelegt wurde, wurde das Urteil noch nicht gefällt. Der Fall Duhaček stellt eine neue Dimension der Einschüchterungsversuche kritischer Journalisten und Medien durch kroatische Gerichte dar: Er wurde nicht wegen seiner Veröffentlichungen in Medien, sondern wegen seiner Kommentare verurteilt, die er als Privatperson auf Twitter geschrieben hatte.
Journalisten haften doppelt
In Kroatien unterliegen Journalisten einer doppelten Haftung für ihre Veröffentlichungen: einer zivilrechtlichen und einer strafrechtlichen. Obwohl das Mediengesetz vorschreibt, dass für die veröffentlichten Inhalte der Herausgeber verantwortlich ist, verklagen private Kläger sehr oft auch Journalisten auf Schadenersatz. Individuelle Haftung der Journalisten gegenüber Klägern bedeutet, dass sie bei ihrer Arbeit permanent dem Risiko finanzieller Vergeltungsforderungen ausgesetzt sind und somit daran gehindert werden, kritischen Journalismus zu praktizieren.
Ein weiteres Beispiel ist der Fall von Jurica Pavičić, einem Journalisten der größten kroatischen Tageszeitung „Jutarnji List". Sechs Jahre lang dauerte der Rechtsstreit, den der ehemalige Intendant des Nationaltheaters in Split, Duško Mucalo, gegen ihn angestrengt hatte. Pavičić hatte es gewagt, die Qualifikationen des Pop-Sängers, der im Laufe seiner Laufbahn nie etwas mit dem Theater zu tun gehabt hatte, für die Arbeit als Intendant der größten Kulturinstitution in Split infrage zu stellen. Pavičić war zunächst vom zuständigen Gericht rechtskräftig zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 50.000 Kuna (umgerechnet rund 7.000 Euro) verurteilt worden. Erst in einem Revisionsverfahren urteilte das Gericht, dass journalistische Kritik am Theaterintendanten dem Interesse der Öffentlichkeit diene und sprach den Journalisten frei. Weniger Glück hatte der Journalist der Tageszeitung „Novi List", Dražen Ciglenečki. Gegen ihn und seinen Verleger klagte in einer privaten Klage der Präsident des Gespanschaftsgerichts Zagreb, Ivan Turudić. Das rechtskräftige Urteil lautete, dass die Zeitung und Ciglenečki gemeinsam eine Entschädigung in Höhe von 90.000 Kuna zu zahlen haben für die „seelischen Schmerzen", die sie dem Richter durch ihre Texte verursacht hätten. Der Anlass für den Prozess war ein Kommentar von Ciglenečki, dass die Art und Weise, wie Richter Turudić die kroatische Regierung öffentlich kritisiere, für Kroatien schlimmer wäre als die Anschuldigungen des serbischen Kriegsverbrechers Vojislav Šešelj gegen Kroatien. Turudić behauptete daraufhin, Ciglenečki würde ihn mit dem Kriegsverbrecher vergleichen und klagte auf Schadenersatz.
In den letzten drei Jahren liefen insgesamt 1.361 Gerichtsprozesse in erster Instanz aufgrund von privaten Klagen gegen Herausgeber und Journalisten. Von den 183 Urteilen wurde in 32 Prozent der Fälle die Klage abgewiesen, in 49 Prozent der Fälle wurde die Klage teilweise und in 20 Prozent der Fälle vollständig angenommen.
Das kroatische Strafrecht kennt drei Straftaten, die zu Strafverfahren gegen Journalisten führen können: Beleidigung, Verleumdung und Verbreitung „schändlicher" Nachrichten. Letztere wurde im Jahre 2013 in das Strafgesetz eingeführt: Dieser Straftatbestand wurde aus dem Schweizer Strafrecht übernommen – dort wird es aber in der Praxis nicht angewendet. Schon im ersten Jahr seiner Anwendung zeigte sich, dass er für kroatische Journalisten verheerende Auswirkungen hat. Das Gericht kann nämlich gemäß dieser Strafvorschrift einen Journalisten aufgrund einer privaten Strafanzeige auch dann verurteilen, wenn die veröffentlichten Behauptungen wahr sind, aber der Richter der Meinung ist, dass die Veröffentlichung der Wahrheit nicht im öffentlichen Interesse ist.
Das erste Urteil aufgrund der Strafbestimmung über die Verbreitung schändlicher Nachrichten wurde gegen die Autorin dieses Texts gefällt für die Veröffentlichung eines Texts, in dem eine intransparente Zahl
ung der staatlichen Krankenversicherung an eine private Klinik in Höhe von 130 Millionen Kuna kritisiert wurde. Der Richter urteilte, dass die Veröffentlichung der Nachricht nicht im öffentlichen Interesse wäre. Das Urteil löste einen Sturm der Empörung bei Journalisten aus, der Gesetzgeber schwächte 2014 die Strafbestimmung ab. Die Forderung des Journalistenverbands, diese Bestimmung zusammen mit den Tatbeständen der Beleidigung und Verleumdung ganz aus dem Strafgesetz zu streichen, wurde aber nicht erfüllt.
Journalisten sind also weiterhin strafrechtlich für ihre Veröffentlichungen verantwortlich. Nach Angaben des Justizministeriums wurden Ende 2018 insgesamt 119 Strafverfahren gegen Journalisten geführt, die meisten davon wegen Verleumdung. In manchen Fällen wird für eine Veröffentlichung privat gegen Herausgeber und Journalisten auf Entschädigung geklagt und gleichzeitig eine Strafanzeige gegen den Journalisten erstattet.
Besonders kritisch sind Klagen von Richtern: Sie klagen selbst gegen mildeste Kritik an ihnen. Sie gewinnen in der Regel ihre Gerichtsprozesse und bekommen überdurchschnittliche Entschädigungen zuerkannt. Besonders bizarr ist auch der Fall der Leitung der öffentlichen Fernseh- und Rundfunkanstalt HRT, die mehr als 30 Klagen gegen Medien erhob, deren Journalisten es wagten, ihr Tun einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Auch der Kroatische Journalistenverband selbst wurde beklagt. Die Flut privater Klagen und gerichtlicher Repressionen gegen Journalisten – und im Falle von Gordan Duhaček auch der Einsatz der Polizei – sind in Kombination mit immer schlechteren Gehältern, unsicheren Arbeitsplätzen und dem Druck der Medienbesitzer ein tödlicher Cocktail für die Medienfreiheit in Kroatien. Die kroatische Polizei und das Justizwesen wie auch die politischen Eliten tun sich schwer zu unterscheiden, was Meinungs- und Medienfreiheit ist und was Volksverhetzung und Hassrede. Instrumente, die gegen letztere wirken sollten, werden willkürlich zur Einschüchterung von kritischen Journalisten eingesetzt.