Sportlich steht der FC Barcelona nicht so schlecht da. Dennoch musste der Trainer gehen. Und der Nachfolger könnte lediglich eine Übergangslösung sein.
Die Ernennung von Enrico „Quique" Setién zum Trainer des FC Barcelona hatte viele Fußball-Fans und Experten überrascht, am meisten jedoch Setién selbst. „Gestern war ich noch bei den Kühen in meinem Dorf spazieren, heute trainiere ich die besten Spieler der Welt", hatte der 61-Jährige bei seiner Vorstellung gesagt, bei der er von Barcas Fans gefeiert wurde. Als Setién vor seinem Engagement als Gegner beim FC Barcelona gastierte, siegte seine damalige Mannschaft Real Betis mit 4:3. Es war November 2018, und Spötter bezeichneten die Partie fortan als das Beste, was sie in der Ära des Barcelona-Trainers Ernesto Valverde je zu sehen bekamen. Nicht wegen Barcelona. Sondern wegen Betis.
Dass der Nordspanier den Zuschlag erhielt, hat vielerorts Verwunderung ausgelöst. Und Skepsis. Widerlegen konnte er sie bisher noch nicht. Nach der Auswärts-Pleite beim FC Valencia (0:2) am vorletzten Samstag herrschte Katerstimmung. Es war die erste Niederlage im dritten Pflichtspiel unter der Führung des neuen Trainers. Die Spiele zuvor wurden gewonnen, aber auf eine für Barca unwürdige Art und Weise. Beim 2:1-Erfolg im Pokal beim Drittligisten Ibiza blamierte sich das Starensemble um Lionel Messi nach Kräften. Der 61-jährige Trainer räumte nach dem Patzer von Valencia Fehler ein: „In der ersten Halbzeit haben wir schlecht gespielt, wir waren nicht gut aufgestellt, und es fehlte an Präzision", sagte der Coach. Auch Torhüter Marc-André ter Stegen erklärte: „Wir müssen uns in vielem verbessern."
Wie schnell greift das neue Konzept?
Barças „Auswärts-Albtraum" gehe somit weiter, kommentierte das Sportblatt „Mundo Deportivo". Das Team um Messi hat in der laufenden Saison nur vier von elf Partien fern vom heimischen Camp Nou gewonnen. Während der amtierende spanische Meister zu Hause als beste Mannschaft dastehe, sei sie bei Auswärtsspielen nur Nummer sechs in der Liga. Die sportliche Ausgangslage ist dabei gar nicht so schlecht. In der Liga ist man Zweiter hinter Real Madrid und die Königlichen sind noch in Schlagdistanz. Und in der Champions League steht man standesgemäß im Achtelfinale.
Setién erklärte bei seinem Amtsantrag, er benötige Zeit. Fraglich ist, ob er diese bekommt. Die Zeitung „Sport" betonte, Rückschläge dürften aber nicht nur auf den neuen Trainer abgewälzt werden. „Es wäre eine Ungerechtigkeit, ihn jetzt für viele Übel verantwortlich zu machen, die von weither rühren – manche sogar noch aus der Zeit vor der Ära Valverde." Setién müsse aber schnell aus seinen Fehlern lernen, „wenn er nicht möchte, dass dieses Monster namens Barca ihn direkt wieder verschlingt." Der Trainer selbst gibt sich kritisch und lernwillig. „Es ist möglich, dass wir die Konzepte noch nicht so klar wie möglich vermittelt haben oder manche Dinge anders verstanden werden müssen."
Die Grundsätze seines Spielsystems dürften allerdings klar sein. Der frühere Profi, der unter anderem bei Atlético Madrid kickte, ist ein Verfechter des Ballbesitz-Fußballs. Sein großes Vorbild ist die Barca-Legende Johan Cruyff. Die erste Bilanz fällt dürftig aus. Barcelona spielte unter Setién bislang kaum zwingend, fast nie schnell und selten gefährlich. Mittelfeldspieler Frenkie de Jong stehe als Sinnbild dafür, dass die Spieler das System noch nicht verinnerlicht hätten, analysierte das Internetportal Sport1 und ergänzte: „Der hochveranlagte Niederländer mit der unbestrittenen Veranlagung für den tödlichen Pass wirkte auf dem Rasen in Valencia ideenlos, zuweilen gar verwirrt." Dem mochte auch der Trainer nicht widersprechen: „Frenkie hat in den letzten Monaten auf die eine Art gespielt, und nun sagen wir ihm, dass er etwas anders machen soll", erklärte Setién das Formtief des 22-Jährigen. Enrique „Quique" Setién Solar, wie er mit vollem Namen heißt, war bis vergangenen Sommer Trainer beim spanischen Erstligisten Betis Sevilla. Der 61-Jährige gilt als „Cruyffista bis ins Mark", wie es „Marca", das Barcelona-Hausblatt, ausdrückte und sieht in ihm den „geborenen Barca-Trainer". Setien sei ein „Prediger des Cruyffismus" und bisweilen „mehr Cruyffista als Cruyff selbst".
Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet, vergöttere er Cruyff und dessen Barça-„Dream Team" um Ronald Koeman, Pep Guardiola und Christo Stoitschkow. Als er sein Idol einst in seiner Zeit als Profi bei Racing Santander traf, „habe ich ihm gesagt, dass ich einen kleinen Finger dafür gegeben hätte, in seinem Barça zu spielen", erklärte er. Er habe immer das Gefühl gehabt, dass Fußball auf eine andere, eine bessere Art gespielt werden könne, sagte Setién: „Aber ich wusste nicht wie, bis Johan es uns gezeigt hat." Barça und Cruyff hätten ihm „die Augen geöffnet. Wer den Fußball liebt, liebt Barça." Und so verdanke er „alles, was ich als Trainer bin, der Tatsache, dass ich gegen Barça hinter dem Ball hergelaufen bin. Ich habe viele Dinge kopiert." Der neue Trainer ist sich der Schwere der Aufgabe bewusst, gibt aber große Ziele aus: „Meine Vision ist es, alles zu gewinnen, was man gewinnen kann", sagte er bei seiner Vorstellung im Camp Nou. „Das hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausmalen können", sagte Setién.Langfristige lösung oder Platzhalter?
Langfristige Lösung oder Platzhalter?
Doch seine neue Aufgabe wird von einer permanent gestellten Frage begleitet: Ist er eine langfristige Lösung oder Platzhalter für den eigentlichen Wunschkandidaten? „Quique" Setién versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Barça wollte ursprünglich Xavi oder Ronald Koeman als Nachfolger für den entlassenen Ernesto Valverde verpflichten. Beide Vereinsikonen sagten jedoch ab und blieben ihren aktuellen Arbeitgebern (Al-Sadd beziehungsweise niederländische Nationalmannschaft) treu. Offiziell hat der Nordspanier einen Vertrag bis Sommer 2020 unterschrieben. Hinter den Kulissen gibt es aber Gerüchte, dass dies nur ein Teil der Wahrheit ist. Einem Bericht des Fachblatts „Sport" aus Barcelona zufolge haben beide Seiten nach jeder Saison die Möglichkeit, den Vertrag aufzulösen. Sollte es diesen Zusatz tatsächlich geben, hieße das: Barça kann – sollte etwa Xavi nach Saisonende verfügbar sein – Setién ohne Weiteres in die Wüste schicken. „Quique Setién hat einen Vertrag bis 2022, aber da 2021 Wahlen stattfinden, gibt es eine Klausel, die es dem gewählten Präsidenten ermöglichen, einen Wechsel zu vollziehen", sagte er.
Der Trainerstuhl wackelt schnell. Das ist keine Eigenart von Barça. Dort geht es aber besonders hektisch zu. Obwohl die Katalanen sich noch Anfang des Jahres dank der besseren Tordifferenz den inoffiziellen Herbstmeister-Titel in der Primera División vor Erzrivale Real Madrid gesichert hatten, war die Kritik an Valverde immer lauter geworden. Das Team um Weltfußballer Messi und den deutschen Nationalkeeper ter Stegen trat nur noch selten souverän auf. Nach dem Halbfinal-Aus des Teams gegen Atlético Madrid im Supercup war der Rauswurf des 55-Jährigen besiegelt. Dabei hatte Barcelona unter Valverdes Führung zweimal hintereinander den spanischen Meistertitel und 2018 die Copa del Rey geholt. Die Champions League hatten die Azulgrana allerdings zuletzt 2015 gewonnen, als die Mannschaft noch vom heutigen Nationaltrainer Luis Enrique gecoacht wurde.
Das Jahr 2020 hat nicht gut für Barca begonnen. Daran kann auch der neue Coach nichts ändern. Doch die Fußball-Götter, die man in Camp Nou gerne und oft zitiert, meinen es nicht gut mit dem Kult-Club. Ende Januar hatte den Verein eine echte Hiobsbotschaft erreicht: Luis Suárez wird am Meniskus operiert, der Stürmer muss vier Monate pausieren und wird in dieser Saison wahrscheinlich nicht mehr spielen können. Die Verletzung des Uruguayers trifft den Verein bis ins Mark. Und sie gefährdet die Saisonziele massiv. Nicht nur das. Sie könnte auch dafür sorgen, dass der Traum von Setién schneller ausgeträumt ist als gedacht.