Der Müllberg wächst – wegen des erfolgreichen Online-Versandhandels und Einwegverpackungen wie Coffee-to-go-Becher. Ob die seit 2017 laufende Becherheld-Kampagne dazu beitragen kann, dass im Saarland weniger Pappbecher weggeworfen werden, ist allerdings unklar.
Ein Coffee to go ist hip: sich morgens schnell einen Pappbecher an der Tanke oder beim Bäcker kaufen und damit ins Büro – damit man der Automatenplörre im Büroflur entgeht. Das gehört für manchen Angestellten mittlerweile zum morgendlichen Ritual. Für das Saarland bedeutet das allerdings mehr Müll. Das hat eine Studie des Umweltbundesamtes (UBA), die Ende 2019 veröffentlicht wurde, herausgefunden.
140.000 Tonnen Verpackungsmüll
18,7 Millionen Tonnen Verpackungsmüll produzierte Deutschland demnach im Jahr 2017, das Saarland alleine 140.000 Tonnen. Das sind Rekordwerte. „Wir verbrauchen viel zu viele Verpackungen", mahnte Maria Krautzberger, Präsidentin des UBA: Auf unnötige und unnötig materialintensive Verpackungen sollte deshalb verzichtet werden. Häufig sieht man aber das Gegenteil, und selbst die Zahnpastatube ist nochmal verpackt. Wir brauchen viel mehr Mehrweg, nicht nur bei Sprudel und Bier. Auch den Kaffee kann man im Mehrwegbecher mitnehmen, und wer sein Essen mitnimmt, sollte das auch in Mehrwegbehältern tun können." Gerade die Menge der sogenannten Leichtverpackungen, unter die auch die Becher für den Kaffee zum Mitnehmen fallen, sorgen für den Anstieg; aber auch kleinere Verpackungen, vor allem für Singles, wiederverschließbare Päckchen und die Menge an Versandkartonagen durch den immer weiter steigenden Erfolg des Online-Handels.
Laut Naturschutzbund und einer Erhebung der Gesellschaft für Verpackungsmüll (GVM) in Mainz waren 2017 To-Go-Verpackungen und Verpackungen für den Sofortverzehr für deutschlandweit mehr als 280.000 Tonnen Müll verantwortlich – davon alleine 50.000 Tonnen Pizzakartons. Damit sei der Müllberg durch diese Art von Verpackungen seit 1994 um 38 Prozent gewachsen.
Generell wird die Diskussion um den Müll durch Einweg- und Sofortverzehr-Verpackungen in Deutschland jedoch auf dem Rücken der To-Go-Kaffeetrinker ausgetragen. Alleine von den Pappbechern, so schätzt die GVM, gab es 2017 zirka sechs Milliarden in Deutschland, insgesamt ergaben diese 55.000 Tonnen Abfall. 2016 beschloss die Konferenz der Bundesumweltminister, diesem Problem zu Leibe zu rücken. In vielen Bundesländern sollten Kampagnen die Kaffeegenießer dazu auffordern, künftig Mehrwegbecher zu benutzen.
Seit 2017 gibt es auch im Saarland die Becherheld-Kampagne, die helfen soll, den ausufernden Bechermüll zu reduzieren: Der Kaffee beim Bäcker oder der Tanke um die Ecke soll in Mehrwegbecher gefüllt werden, den sich die Kunden kaufen. Diesen werden dann einfach immer wieder beim Kaffeeausschank, der an der Kampagne teilnimmt, aufgefüllt. Zur Belohnung ist der Kaffee dann zehn Cent billiger. Klingt einfach, aber klappt das im Land?
Nach Angaben des saarländischen Umweltministeriums haben sich mittlerweile rund 210 Betriebe dem Projekt angeschlossen, aktuell läuft die Anfrage einer größeren Bäckereikette mit 23 weiteren Filialen. Auch andere Institutionen machen mit. „Etwa 25 Becherheld-‚Tankstellen‘ sind nicht oder nur eingeschränkt öffentlich zugänglich", so das Ministerium auf Anfrage, das heißt diese sind überwiegend in Schulen, der Uni oder HTW, aber auch in Senioren- oder Reha-Einrichtungen aufgestellt.
„Einheitliches Pfandsystem wünschenswert"
Ob sich das Becheraufkommen im Saarland dadurch tatsächlich verringert hat, dazu hat das Ministerium allerdings keine Zahlen auf Lager. Die Deutsche Umwelthilfe schätzte den Verbrauch von Einwegbechern im Saarland zu Beginn der Kampagne Ende 2017 auf 34 Millionen jährlich. „Ob der Verbrauch signifikant zurückgegangen ist, entzieht sich aktuell unserer Kenntnis. Eine eigene Erhebung bezogen rein auf Einwegbecher liegen dem EVS beziehungsweise den Entsorgern im Saarland unseres Wissens nach nicht vor", so Sabine Schorr vom Umweltministerium. Auch der Entsorgungsverband Saar und das Duale System in Köln konnten keine genauen Angaben darüber machen. „So tiefgreifend sind unsere Statistiken nicht", hieß es von beiden Entsorgungsverbänden.
Espresso Kessler in Völklingen ist zwar eines der 210 Geschäfte im Saarland, die bei der Becherheld-Kampagne mitmachen – aber eben kein klassisches To-Go-Geschäft. Hier genieße man den Kaffee noch klassisch aus der Tasse und vor Ort, es gebe höchstens Handwerker, die gelegentlich vorbeischauen, aber dann meist keinen Mehrwegbecher dabeihaben und lieber einen Kaffee in Pappe mitnehmen als einen Mehrwegbecher zu kaufen. Im Café „Mon Amie Marie" in Saarbrücken sind die Erfahrungen ähnlich, auch hier kommen höchstens fünf Prozent der eiligen Kaffeetrinker mit einem Mehrwegbecher an die Theke. Für Dennis Kern, Inhaber einer Tankstelle in Nohfelden, wäre ein einheitliches System wünschenswert. „Wir haben immer zwei, drei Mehrwegbecher im Verkauf, aber bislang ist die Resonanz sehr verhalten."
Ein einheitliches System schwebt auch Oliver Häfele vor. Der Saarbrücker hat seit Mai vergangenen Jahres ein Mehrweg-Pfandsystem in seinem Café Fredrik entwickelt, das er gerne auch über die Grenzen in der gesamten Großregion etablieren möchte – den Quattro-Cup. Wer einen Kaffee „to go" kauft, zahlt einen Euro Pfand für den Becher und bringt ihn bei Gelegenheit wieder zurück. Der Becher wird gereinigt und wieder verwendet – allerdings nicht der Deckel, wegen der Hygiene. Deshalb kostet dieser auch 50 Cent. Der Vorteil des Ganzen: Der Kunde kann in den Geschäften, die bei Häfeles System mitmachen, einen Kaffee spontan kaufen, ohne einen Mehrwegbecher mitzuschleppen. Derzeit machen 30 Geschäfte im Saarland mit. „Der Start war schwierig, mittlerweile läuft es ganz positiv", berichtet Oliver Häfele. Das Interesse sei zwar groß. Allerdings gibt es auch Hürden – vor allem wirtschaftlicher Art. „Diejenigen, die mitmachen, fahren oft zweigleisig, vertreiben also weiter die Pappbecher und bieten den Quattro Cup an." Denn noch immer sind zahllose Pappbecher im Bestand der Kaffeeanbieter im Land zu finden, einfach unbenutzt und damit unbezahlt wegschmeißen will sie niemand. Und Umweltschutz ist mit Aufwand verbunden. Das Verkaufspersonal muss auf die Aktion hinweisen, der Becher will zurückgenommen und gespült werden, es gibt ihn nur mit 0,3 Litern Füllmenge, und das ist einigen Interessenten zu wenig. „Trotzdem bleibt der Quattro Cup eine positive Ergänzung zum Becherheld-System", findet Häfele, denn auch die „gemieteten" Becher des Quattro Cups kann man schließlich bei den Becherheld-Kaffeetankstellen wieder auffüllen lassen.
Trotz aller Bemühungen, der neue Müllrekord im Saarland bleibt ein erhebliches Problem. Immerhin, so das Umweltbundesamt, gehen 70 Prozent des verursachten deutschen Verpackungsmülls ins Recycling, der Rest werde „energetisch verwertet", also zum Beispiel in Verbrennungsanlagen verfeuert, um dadurch Energie zu gewinnen. Besonders hoch ist die Recyclingquote bei Glas (rund 84 Prozent), bei Papier und Kartonagen (knapp 88 Prozent) und Stahl (rund 92 Prozent) – doch die Verwertungsquote sei stark vom Material abhängig. Einweg-Pappbecher für Kaffee to go beispielsweise können kaum recycelt werden, die Innenbeschichtung der Pappe macht es unmöglich – und da die Becher meist unterwegs irgendwo im Müll landen statt in der Wertstofftonne oder im gelben Sack, wo sie hingehören, enden sie ohnehin in der Verbrennungsanlage. Auch wenn sie dann als Brennstoff dienen und die Energie zum Heizen verwendet wird – ein lapidarer Pappenstiel bleibt der wachsende Verpackungsmüllberg dadurch nicht.