Als der ehemalige TV-Produzent Peter Lennby an der Westschwedischen Küste ein verwildertes Tal entdeckt, wird er aktiv. Mit viel Engagement sorgt er dafür, dass archäologische Stätten freigelegt werden und initiiert auf dem Gelände regelmäßig spannende Ausstellungen.
Nicht nur Natur, sondern auch Kultur locken in die faszinierende Landschaft aus kleinen Meeresarmen und Fels-Eilanden. Am besten in Kombination – wie in Pilane auf Tjörn. Das spricht man in etwa „Schörn" aus. Im nördlichen Teil der dreieckigen Insel liegt der 2007 eröffnete Landschafts-und Skulpturenpark Pilane eingebettet in die raue Klövedal-Region. Hier wechseln sich von der Eiszeit polierte Fels-Cluster mit struppigem Buschwerk und Blumenwiesen mit weidenden Schafen ab. Schon in den 80er-Jahren hatten Archäologen Reste von steinzeitlichen Siedlungen ausgegraben. Dann wurde das große Gräberfeld von Pilane aus der Eisenzeit mit seinen megalithischen Steinkreisen und Versammlungsplätzen entdeckt und später zum nationalen Kulturdenkmal erklärt. Dieses Mini-Stonehenge umfasst beinahe 100 Relikte inklusive imposanter Hinkelsteine, vermutlich aus der Zeit zwischen Christi Geburt und etwa 600 vor Christus.
Kunst wird per Hubschrauber platziert
Und wer kümmert sich um diesen Landschaftspark? Ein Mann. Und er wehrt gleich ab: „My goodness, nein, ich bin nicht der Besitzer von Pilane. Das ist der schwedische Staat. Aber ich kümmere mich um die historische Landschaft." Und das macht er weitgehend in Alleinverantwortung, ohne Subventionen von der Gemeinde oder vom Land. Wie in Schweden üblich stellt er sich einfach mit Peter vor. An einem schwülen Tag im vergangen Mai holt er unsere kleine Frauentruppe am Kassenhüttchen des Geländes ab. Ein Schwede wie aus dem Buch. Grauweißer Stoppelbart, dito das Haar unter dem Cap. Hager, als hätte er sein Leben lang nur Knäckebrot gegessen, Holzfällerhemd. Zwei bis dreimal am Tag kommt Peter Lennby in der Saison für Führungen hoch von seiner am Meer gelegenen Farm. Dort hält er 80 Schafe und zehn Kühe und hat, wie sich ihm später entlocken lässt, eine eigene private Kunstsammlung. Einige von Peters Vorfahren lebten im Mittelalter auf dem Gebiet der Farm und von Pilane, wie der passionierte Ahnenforscher herausgefunden hat. Der 70-jährige ehemalige TV- und Dokumentarfilm-Produzent stapft mit uns sofort los an diesem heißen Nachmittag. 19 Skulpturen zeitgenössischer Künstler hat der Kunst-Enthusiast für seine alljährliche Open-Air-Ausstellung auf dem Gelände organisieren können. Als der gebürtige Göteborger 2003 hierher kommt, ist das Tal vollkommen verwildert und zugewachsen. Er sorgt dafür, dass das Gebiet mit einer der bedeutendsten archäologischen Stätten der schwedischen Westküste wieder freigelegt wird. „Und da kam mir die Idee: Vielleicht könnte man hier einen Skulpturenpark anlegen. 2007 konnte ich dann die erste Ausstellung eröffnen", teilt er uns mit. Seit nunmehr 13 Jahren gelingt es ihm, jeden Sommer eine neue Werkschau internationaler Bildhauer auf die Beine zu stellen. Am Beginn des Rundgangs begrüßen uns die „Dancing Clog Girls" mit ihren Tellerröcken. Die populäre englische Künstlerin Laura Ford kreierte sie bereits 2013. Unser Kunstfreund guckt etwas „grumpy", als wir, lachend und schnatternd Fotos schießend, um sie und ihn herumspringen. Schnell hat er den Spitznamen „Grumpy Peter" unter uns Mädels weg, ob seiner vermeintlichen Grummeligkeit. Einen Sommer lang dürfen die Bronze-Mädchen hier im Gras tanzen. Auch Fords „Silent Howlers", etwas höher am Weg, dürfen nur diese eine Saison stumm heulend an Bäumen lehnen. In ihren bunt bemalten Bronze-Kleidchen sind die Mädchenfiguren sicherlich nicht jedermanns Geschmack. Diverse der eben nicht wie Fords nur kindergroßen Werke, haben ausladende, ja riesige Ausmaße. Sie wurden, in Teilen zerlegt, vergangenes Frühjahr mit dem Kran oder sogar mit dem Hubschrauber auf ihre „Aussichtspunkte" gebracht. Wie „The Bat" von Johan Creten. Er hat sie 2019 speziell für Pilane geschaffen. Ein Video auf der Pilane-Webseite zeigt ihre Anreise oder besser gesagt ihren Anflug mit dem Helikopter. Die grün patinierte Fledermaus des Belgiers landete auf einem Berg hoch über dem Meer. Im Rücken hat der Künstler sie extra mit einem Treppchen ausgestattet. Was normalerweise verboten ist ‒ hier können und sollen die Besucher auf dem Kunstwerk herumklettern. Und den Blick weit über die See schweifen lassen bis zum Leuchtturm auf den Pater-Noster-Schäreninseln, die ein Naturreservat sind. Bei unserem Besuch im letzten Mai umwuseln schwarz-gesichtige Schafe „The Bat". Wie sich herausstellt, stammen die tierischen Landschaftspfleger von Peters Farm. Sie sorgen dafür, dass Gras und Büsche niedrig bleiben und Skulpturen sowie die archäologischen Areale sichtbar bleiben.
Von Mai bis September ist für das umzäunte Gelände Eintritt zu zahlen, um Geld für die Finanzierung der nächsten Schau zu generieren. Wie Cretens Fledermaus werden die meisten der Werke im Herbst demontiert und an Künstler, Besitzer oder Museen zurückgesandt. Eine schwierige und kostenintensive Arbeit, für die Initiator Peter viel Geld auftreiben muss. „Unsere ‚Pilane Heritage Museum‘-Organisation, die ich zusammen mit der schwedischen Kulturdenkmal-Behörde gegründet habe, unterstützt außerdem junge, vor allem weibliche Bildhauer finanziell, damit sie ihre Kunstwerke überhaupt herstellen können."
„Dieser Ort berührt mein Herz"
Unterstützung in diesem Sinne benötigt die 77-jährige gebürtige Amerikanerin Helaine Blumenfeld nicht mehr. Die renommierte Künstlerin lebt seit Jahrzehnten in England und hat noch durch den in den 60er- und 70er-Jahren gefeierten Henry Moore künstlerische Inspiration erfahren. Kunstnarr Peter wollte unbedingt ihr neuestes Werk „Taking Risks" in seiner Ausstellung haben. „Es war wirklich riskant, dieses imposante Kunstwerk hierher zu transportieren. Mit seiner weißen Farbe korrespondiert es so wunderbar mit Anna." Neun Tonnen feinster weißer Carrara-Marmor, so dünn ausgeschliffen, dass es scheint, als würden zarte Stoffbahnen gen Himmel schweben. Auch „Taking Risks" hat Pilane im September verlassen.
Im Winter steht das Gelände nach dem in ganz Schweden geltenden „Allemansrätten", dem Jedermannsrecht, Spaziergängern und Wanderern offen. Die Megalithgräber strahlen um diese Zeit eine ganz besondere Magie aus. Verbliebene Skulpturen wie „The Pool" von dem in Wuppertal lebenden Engländer Tony Cragg und vor allem die riesige „Anna" von Jaume Plensa, dem Meister-Bildhauer aus Barcelona, laden zum Besuch des Parks ein. Plensas 14 Meter hoher, weißer Frauenkopf aus einer Mischung aus Marmorpulver und Glasfiber thront seit 2016 auf einem Felsen über dem Skagerrak. Die Skulptur ist zu einer Art Wahrzeichen der Region Bohuslän geworden. Die weiße Lady ist Anfang 2019 für einen achtstelligen Schwedenkronenbetrag angekauft worden und grüßt die Menschen die Küste entlang von der südlichen Insel Marstrand bis nach Kärringön im Norden. In der kalten Jahreszeit hat man die Westküste mehr oder minder für sich allein. Keine Touristen, niemand. Und der Initiator des Skulpturenparks, Peter Lennby, kann mit seinem Hund, genannt Leo –
der Löwe – in Ruhe das Land durchstreifen, die Seele baumeln lassen und die Batterien aufladen. Denn nach der Ausstellung ist vor der Ausstellung. Als wir im Mai bei den vorgeschichtlichen Steinkreisen standen, habe ich ihn nach seiner Inspiration für seine Arbeit, nach seinen Gefühlen gefragt. „Dieser alte ehrwürdige Ort hier inspiriert mich. Er berührt mein Herz. Es ist schön, zwischen alten Steinkreisen von vor 2.000 Jahren und Skulpturen von heute zu wandern. Und manchmal, ganz manchmal, klappt es – und Du fühlst Dich wie außerhalb der Zeit, wie aus der Zeit gefallen." Im vermeintlich „Grumpy Peter" steckt viel Seele im knorrigen Kern. Ein Mann mit tiefen Gefühlen, der so grummelig eigentlich gar nicht ist.