Noch bis Anfang März präsentieren die Artisten und Musiker im „Palazzo" bei den „Family Affairs" ihre Kunstfertigkeiten. Spitzenkoch Kolja Kleeberg sorgt mit seinem Menü dafür, dass die Dinnershow im Spiegelzelt am Bahnhof Zoo ein kulinarischer Genuss wird.
„We are family", singt Unathi Mzekeli zur Einstimmung im „Palazzo". Im Kreise der Artisten- und Musiker-Familie spielen sich die Szenen ab, die den Rahmen dieser 13. „Palazzo"-Show bilden. Die Spiegelzelt-Bühne wird zum Wohnzimmer mit Barockmuster-Tapete und Gemälden, das Familientreffen zum Talentschuppen. Die feierfreudige Sippschaft zeigt beim Gruppenbild, was sie draufhat. Zur Anweisung „Fighting!" werden die Fäuste geballt und Kampfeshaltung eingenommen. „Like a virgin!" Unschuldige Blicke gen Decke und fragende Geste mit Zeigefinger am Mund. Nur bei „Happy!" geht’s durcheinander und wird eckig. Das mit dem Glücklichsein auf Kommando ist so einfach eben nicht.
Es ist im „Palazzo" wie im richtigen Leben und wie bei wirklichen Leuten. Gut, dass die Show beginnt! Schließlich wollen in gut drei Stunden vier Gänge des von Kolja Kleeberg kreierten Menüs verzehrt, Akrobatik-, Clownerie- und Gesangsnummern gesehen und gehört werden. Die verführerische Schwester zeigt zuerst, was sie draufhat. Zigarre im Mund, Kringel blasend, tritt Yammel Rodriguez im knappen Leder- und Bänder-Kostüm auf das Podium, das den Artisten als Bühne mitten in der Manege dient. An langen Stoffbändern kunstvoll verwickelt geht’s nach oben unters Zeltdach, im freien Fall oder ganz, ganz langsam wieder nach unten. Darauf ein solides Kabeljau-Schnittchen! Das „Croque Palazzo" aus Kapernbrot ist mit einem feinen Häckerle sowie Filet zum französischen Sandwich gestapelt. Ein Kapernapfel lagert auf einem Strich Sauce Rouille, ein Schnitz Grapefruit ist der Zitrus-Begleitakkord.
Ohne Ente ist Palazzo eigentlich undenkbar
Die Uhr läuft. Alle zwei Sekunden muss ein Teller in der Küche fertig angerichtet sein. Innerhalb kürzester Zeit schwärmt der Service aus, um 350 Gästen im Spiegelzelt zu servieren. „Die Küche muss sich nach der Show richten, nicht die Show nach der Küche", verkündet „Palazzo"-Gastgeber Hans-Peter Wodarz das eherne Gesetz. „Stellen Sie sich vor, die Küche hat acht Minuten Verzögerung in jedem der vier Gänge. Dann spielt die Band ewig und die Show zieht sich um mehr als eine halbe Stunde." Die präzise getakteten Abläufe sind Garanten für die gelungene Dramaturgie. Die Show lebt vom Tempo und unmerklichen Zusammenspiel von Künstlern, Service und Küche. Von „lahmen Enten" mag an diesem Ort niemand reden wollen.
Spitzenkoch Wodarz führte anno 1990 mit seinem Kollegen Alfons Schuhbeck und Roncalli-Direktor Bernhard Paul bei „Panem et Circenses" in München zum ersten Mal den großen Tingeltangel zu sehr gutem Essen auf. Die Ente wurde zum kulinarischen Wappentier. Glücklicherweise liegt in dieser Saison wieder ein Bein à l’orange mit Miso-Spitzkohl und Kartoffelgratin auf dem Teller, zart angesungen in „Alle meine Entchen" von Unathi Mzekeli. In manchen Jahren ist das anders. Doch mal ehrlich: Ohne Ente ist der Palazzo einfach nichts Rechtes!
Das finden die vielen Vegetarier und Veganer, an die bei der ersten Show noch kaum zu denken war, berechtigterweise nicht. Sie bekommen statt Ente eine Art „Fladenbrot-Pflanzerl" mit zweierlei Bohnen und anstelle von Kabeljau im ersten Gang ein gewickeltes französisches Gemüsetörtchen zur Sauce Rouille. Bis zu 25 Prozent der Gäste seien inzwischen Vegetarier oder Veganer, verrät Wodarz. Damit, sowie mit Unverträglichkeiten, kann die Küche umgehen. Vorausgesetzt, die Gäste verraten bei der Buchung ihre speziellen Bedürfnisse.
Das Zelt ist in dieser Saison beinahe durchgängig ausgebucht. „Wir haben jetzt sogar schon 400 Ticket-Anfragen für die nächste Saison", sagt Wodarz. „Dabei geht der Vorverkauf erst im April los." Firmen und Gruppen schätzen die Dinnershows nahe dem Bahnhof Zoo als verlässliche Anlaufstelle für die Kombi von Qualitätskulinarik und Bespaßung ebenso wie Einzelgäste. Bei unserem Besuch im Januar sitzen viele Weihnachtsgeschenke-Einlöser an den Tischen. Da kommt es beim Suppengang mit Do-it-Yourself-Performance-Anteil zu ungewohnten Bewirtungssituationen. Das Schaumsüppchen von Kohlrabi und Gorgonzola wird in Terrinen aufgetragen. Die Gästen schöpfen selbst auf die mit Ziegenkäse bestückten Teller. Die cremige Suppe passt zum Winter, der sich draußen nicht so recht zeigen mag, und setzt einen kräftigen Akzent zum knusprig ausgebackenen Käsetaler. Die Teller werden zur Kelle durchgereicht. Der eine oder andere Smalltalk beginnt, ein heimeliges, vertrautes Gefühl rund um die Suppenterrine entsteht.
Beinahe durchgängig ausgebucht
Beatboxer, Jongleur und Comedian Kerol lässt an diesem Abend nicht nur die Keulen, Silben und Rhythmen über die Bühne fliegen. Er hat auch den Moderationspart spontan übernommen. Karl-Heinz Helmschrot hat es krankheitsbedingt die Stimme verschlagen. Das kommt in den besten Familien vor und bringt nun ungeahnte Talente zum Vorschein. Kerol droht, eine zweistündige Rede zum Familientreffen zu halten. Entsetzen allerorten. Wer kennt so einen „Onkel" nicht? Im Zeitraffer zeigen die Familienmitglieder lieber in der „Talenteshow" ihr Können: Die Künstler dürfen in knappen Sequenzen in unvertrauten Disziplinen und mit sichtlichem Spaß vor sich hin dilettieren. Der mexikanische Vamp singt mit schiefer Stimme, aber überzeugendem Popo-Gewackel beim Karaoke einen Latino-Pop-Song mit viel „Oh oh oh". Niko, Richard und Mateo, im Trio „15feet6" eigentlich zuständig für gehobene Körperbeherrschung am russischen Barren, Schleuderbrett und chinesischen Mast, halten Texttafeln mit „Spanish" und „More Spanish" hoch.
Schnitt. Nächstes Talent. Nata Galkina stellt ihre Fähigkeit, eine Banane mit den Zehen zu pellen, unter Beweis. Beim „echten" Showact beherrscht sie die Fußjonglage mit vier, fünf Ringen oder Riesen-„Marshmallows" gleichzeitig. Die antik anmutenden „Sensationen" langweilen nicht, sondern werden knackig angerissen und gleichzeitig durch den Kakao gezogen. Außerdem: Besser die Akrobaten singen schief, als dass sich die Musiker der Show-Band Brothers in Law oder der Sänger am Trapez oder auf Rollschuhen ausprobieren! Letzteres können Matt und Valentina weitaus überzeugender. Auch wenn ein bisschen viel die Zunge herausgestreckt und auf unartig gemacht wird, ist ihre rasante Performance beeindruckend. Gelegentlich fliegen Frauenbeine über die erste Tischreihe an der Manege hinweg. Wir freuen uns, weit genug entfernt in der Loge zu sitzen. Zum Dessert mit warmen Holunder-Nougattörtchen schaukeln Sarah und Guilhelm vergleichsweise gemach am Trapez. Das Duo gleitet betont langsam umeinander herum. Ein plötzlicher Rutscher, schon präsentieren sich die Artisten in einer neuen Figur miteinander verwoben. Sehr poetisch! Eine pochierte Bonsai-Birne und Sauerrahmeis setzen dieweil einen frischen Schlusspunkt zu Nougat und Schokoladenganache.
Soll es zum großen Finale vielleicht noch ein „Showcocktail" sein? Der an einen Tequila Sunrise erinnernde Drink hat sich im „Palazzo" etabliert. „Der Showcocktail wurde so oft nachgefragt, dass er inzwischen auch in den anderen Zelten serviert wird", sagt Enrico Steinke. Hamburg, Wien, Stuttgart und Nürnberg trinken nun ebenfalls „bunt".
Planungen für nächste Saison laufen schon an
Der Palastdirektor sorgt im Eingangsbereich für herzliche Worte beim Empfang der Gäste und während der Show in der Küche für die richtige Zuordnung von Tischen und Tellern. Steinke hat seit etlichen Jahren Service, Produktion und die Gesamtabläufe im Blick. Er erzählt vom plötzlichen Ausfall des Conferenciers: „Ehrensache, dass dann ein anderer Künstler einspringt. Wir sind eine große Palazzo-Familie." Und wie in jeder guten Patchwork-Familie, sei sie durch Blutsbande oder den Beruf entstanden, bewegt und verändert sich alles stetig. In der nächsten Saison werden wieder andere Künstler auf der Bühne stehen, neue Gerichte auf die Teller kommen.
Zum Ende der „Palazzo"-Saison am 8. März hin beginnen immer schon die Planungen für die kommende Spielzeit im Herbst. Wieder mit dabei sind natürlich Patron und Erfinder Hans-Peter Wodarz in seiner persönlichen 30. Enten- und Show-Saison sowie zum achten Mal Kolja Kleeberg für den kulinarischen Part in Berlin. Sicher ist: Es wird beim „Kindergeburtstag für Erwachsene", wie Wodarz den „Palazzo" liebevoll nennt, wieder bunt und verspielt, akrobatisch und kulinarisch hochwertig zugehen.