Die Trennung von Parteivorsitz und Kanzleramt sollte eine „Übergangsphase“ sein. Darüber verlor die CDU ihr Machtzentrum. Denn neben der Parteizentrale und dem Kanzleramt mischen eine selbstbewusste Bundestagsfraktion und einige Strippenzieher im mächtigen NRW-Landesverband kräftig mit.
Seit gut einem dreiviertel Jahr ist die CDU-Parteizentrale im wahrsten Sinne des Wortes „in Bewegung“. Wobei das weniger politisch, inhaltlich gemeint ist, sondern vielmehr die Raumbelegung des Konrad-Adenauer-Hauses am Berliner Lützowplatz betrifft. Einzelne Abteilungen wurden umgruppiert und mussten in andere Räume. Nun langsam hat man sich raummäßig sortiert und Generalssekretär Paul Ziemiak ist am Ende doch in der sechsten Etage gelandet. Vormals wollte er eins tiefer bleiben, wegen der kurzen Wege zwischen den Leitungen der Gremien. Begründet wird dies damit, dass ja nun „Paul doch eine Menge repräsentative Termine wahrnehme und da dann schon ein vorzeigbares Büro braucht“, wie eine junge Mitarbeiterin im FORUM-Gespräch erzählt. Von der bisherigen Chefin nur so viel: „Die hat hier auch ihr Büro, ist ja aber ohnehin nur noch sehr selten im Haus.“ Nachvollziehbar, denn Annegret Kramp-Karrenbauer, seit einem halben Jahr Verteidigungsministerin, konnte sich nicht mehr ausschließlich um das Wohl und Wehe der Partei kümmern. Das versuchte ihre Büroleiterin Peggy Liebscher aufzufangen.
Viel Bewegung, aber noch wenig Kontur
Nach der Minister-Vereidigung von Kramp-Karrenbauer fing die hausinterne Umzieherei an. Seitdem ist Generalsekretär Paul Ziemiak der Hauptansprechpartner für die Mitarbeiter des Hauses. Doch so richtig rund lief es nicht, altgediente Mitarbeiter beschweren sich, dass selbst einfachste Bürobestellungen nicht mehr klappen würden. Einige haben schon ihre beruflichen Konsequenzen gezogen und gekündigt. Ziemiak war absolut nicht untätig, hat nur viel um die Ohren. Nach dem Rezo-Fiasko um die „Zerstörung der CDU“ wurde ein News-Room eingerichtet, um zukünftig auf solche Social-Media-Attacken umgehend reagieren zu können. Dazu wurde auch gleich ein Notfallhandbuch erarbeitet, damit die meist sehr jungen, neuen Mitarbeiter wissen, wie zu reagieren ist. „Momentan haben wir hier eine Art Invasion der Jungen Union aus dem Saarland“ erzählt schmunzelnd ein anderer gedienter Mitarbeiter in der Berliner CDU-Zentrale. Was einen ganz schlichten Hintergrund haben dürfte. Neuer Chef für die „Zentralen Aufgaben und Services“ im Haus ist Mark Reck. Der war vor zwei Jahren mit Kramp-Karrenbauer aus dem Saarland nach Berlin gekommen, um die Parteizentrale wieder auf Vordermann zu bringen. Damals war AKK gerade zur CDU-Generalsekretärin gewählt worden und glaubte, mit Reck zusammen jede Menge Zeit zu haben, die CDU auf den Wahlkampf 2021 vorbereiten zu können. Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Mark Reck managt die Partei-Etappe, während seine Chefin hauptberuflich für die militärische Ausrichtung Deutschlands zuständig ist. Doch damit fehlt die Führung in der Parteizentrale und der Partei, wird übereinstimmend von mehreren Seiten aus dem Adenauer-Haus geklagt.
Dass die CDU-Parteizentrale nicht die politische Führung innerhalb der Partei hat, ist so neu eigentlich nicht. Beinahe 14 Jahre wurde die Partei aus dem Kanzleramt geführt, im Adenauer-Haus fühlte man sich für die Organisation von Vorstandssitzungen und Parteitagen zuständig. Bestes Beispiel war der Bundestagswahlkampf der CDU im Frühsommer 2017. Auch da lief es nicht rund, die Parteizentrale kam einfach nicht aus dem Knick. Die damalige Parteichefin Angela Merkel ordnete einfach mal kurzfristig Kanzleramtsminister Peter Altmaier ins Adenauer-Haus als Wahlkampfchef ab. Was allerdings auch nicht so richtig half. Die CDU fuhr im September 2017 das schlechteste Ergebnis bei einer Bundestagswahl seit ihrem Bestehen ein.
Das Dilemma verteilter Machtansprüche
Noch immer liegt die strategische Ausrichtung der CDU offenbar im Kanzleramt. Erst jüngst dachte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karenbauer zusammen mit CSU-Chef Markus Söder über eine Verjüngung des Kabinetts nach. „Neue Köpfe als ein Zeichen des Aufbruchs“ hatte Söder als Parole ausgegeben. Keine 24 Stunden später kam per Regierungssprecher die Ansage aus dem Kanzleramt: „Die Kanzlerin arbeitet mit allen Ministerinnen und Ministern sehr gern zusammen.“ Ende der Durchsage. Von ähnlichen Ansagen wissen auch etliche Bundestagsabgeordnete hinter vorgehaltener Hand aus den Fraktionssitzungen zu berichten.
Wobei die Unionsfraktion selbst schon für sich ein eigener Machtkosmos in der Partei ist. In keiner Fraktion sitzen derart viele selbstbewusste Direktkandidaten beieinander wie dort. 231 der insgesamt 299 zu vergebenen Direktmandate im Bundestag sind bei der Union gelandet. Direkt gewählte Abgeordnete im Bundestag sind naturgemäß sehr selbst- und vor allem auch machtbewusst. Annegret Kramp-Karrenbauer selbst ist nicht Mitglied des Bundestags. Bei Fraktionssitzungnen ist die Parteichefin als Gast dabei. Dementsprechend gehen auch Absprachen in der Fraktion oft über den Kopf der Parteichefin hinweg. Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus stimmt sich bei den elementaren Fragen zwischen Parlament und Regierung mit Kanzleramtsminister Helge Braun ab. Die Vorgaben kommen selbstverständlich von der Kanzlerin. Annegret Kramp-Karrenbauer betonte zwar immer wieder, dass sie täglich gefühlt mehr mit Merkel als mit ihrem eigenen Mann sprechen würde, doch das kommt nicht viel in der Partei an.
Daraus resultierten längst Fragen nach dem eigentlichen Machtzentrum der CDU: Parteizentrale, Kanzleramt oder Bundestagsfraktion?
Und dann ist da noch Parlamentspräsident und Bundestags-Urgestein Wolfgang Schäuble, der eine eigene Machtbasis verwaltet. Das gelingt Schäuble ganz hervorragend, denn als Parlamentspräsident steht er ja eigentlich über den Dingen, vor allem über den profanen Alltagsgeschäften. In Machtfragen sieht das schon anders aus, wie er immer wieder unter Beweis stellt. Gerade die Kandidatur von Friederich Merz zum Parteivorsitz vor gut einem Jahr hat vor allem Wolfgang Schäuble immer wieder befeuert, wie Merz in Nachhinein freimütig einräumte. Und von Schäuble ist es dann nicht weit zu einem weiteren Machtzentrum der CDU. Lange war es ruhig um die NRW-Christdemokraten in Düsseldorf, aus der Opposition lässt sich auch parteiintern nur recht schwierig Machtklempnerei betreiben. Doch seit nunmehr zweieinhalb Jahren ist Armin Laschet Ministerpräsident im bevölkerungsreichsten Bundesland. Laschet zeichnet vor allem eines aus: Er ist ein Meister der leisen Töne, kein Poltergeist. Doch unterschätzen sollte man den 59-Jährigen auf keinen Fall. Immerhin zählt sein CDU-Landesverband 125.000 Mitglieder und dementsprechend stellen die NRW-Christdemokraten auch reichlich Delegierte auf Bundesparteitagen. Dieses Machtbewusstsein lebt Laschet ganz gern immer mal wieder per Interview in der „Bild am Sonntag“ aus. Dort setzte er gern kleine Spitzen gegen die Noch-Parteichefin unter. Noch vor Thüringen stellte er zum Beispiel die Gesamtperformance von AKK infrage. Kürzlich gelang ihm dann noch ein besonderer Coup. Am letzten Januarwochenende eröffnet Laschet mit dem Hamburger CDU-Spitzenkandidaten Marcus Weinberg die heiße Phase des Bürgerschaftswahlkampfes in der Hansestadt. Pikant daran: Eine Woche vorher war CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer gleich für zwei Tage bei der Vorstandsklausur, die ihre Partei nicht zufällig in der Elbestadt abhielt. Doch anstelle von heißem Wahlkampf mit viel Tam-Tam absolvierte sie sogenannte Ausschwärmtermine, Händeschütteln statt großer Wahlkampfreden.