Ist es sinnvoll, staatlich einzugreifen oder nicht? Landwirte protestieren gegen die Marktmacht von Discountern, die immer niedrigere Preise fordern. Die Bundesregierung ist dagegen, Mindestpreise für Lebensmittel anzusetzen.
PRO
Der Staat muss eingreifen
in ganzes Hähnchen für 5,49 Euro, ein Kilo Rinderhack 4,98 Euro, ein Kilo Möhren 69 Cent, Butter für 1,59 Euro – die Preise im Supermarkt sind seit Jahren die billigsten in Europa. Kein Wunder, denn die vier Supermarktketten Lidl, Aldi, Rewe und Edeka stehen für 85 Prozent des deutschen Lebensmitteleinzelhandels.
Wenn von einem Liter Milch zum Preis von 89 Cent gerade 25 Cent beim Bauer ankommen, kann etwas nicht stimmen. Von den 25 Cent muss er Futter zahlen, Ställe, technische Anlagen, Transportkosten, Umweltauflagen und vieles mehr – dass so etwas nicht geht, ohne dass die Qualität darunter leidet, müsste eigentlich jedem Verbraucher klar sein. Tier- und Pflanzenschutz sind so nicht zu haben.
„Billigfleisch kostet uns die Zukunft“, sagt Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Dirk Zimmermann. Die Supermarktketten dürften ihre Marktmacht nicht länger missbrauchen, um rücksichtsloses Preisdumping auf Kosten von Landwirten, Tieren, Umwelt und Klima durchzusetzen. „Die Produktion von Billigfleisch und Milch zu Weltmarktpreisen drängt die Bauern wirtschaftlich und gesellschaftlich ins Aus“, sagt auch Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Also Schluss mit der mörderischen Konkurrenz, die es noch nicht mal erlaubt, dass ein Anbieter zugunsten fairer Preise für Bananen ein paar Cent mehr verlangt, ohne gleich mit Kaufverweigerung bestraft zu werden. Denn die Verbraucher sind verwöhnt – sie wurden jahrelang auf Schnäppchenjagd trainiert, jetzt rächt sich das.
Subventionen für kleine Betriebe
Die Leidtragenden sind die Erzeuger und die Zwischenhändler, die immer mehr unter Druck geraten. Es sind ja nicht nur die deutschen Bauern. Am Anfang der Lieferkette schuften Arbeiter auf Feldern und Plantagen, die selbst hungern müssen, weil ihre Löhne zum Leben nicht reichen. Faire Preise lassen sich nur erzielen, wenn der Staat Mindestpreise vorschreibt. Ein Nackensteak, das heute 2,69 Euro kostet, müsste dann vielleicht fünf Euro kosten. Doch dann müsste auch garantiert sein, dass nicht der Discounter die Differenz einsteckt, sondern dass die Bauern den Mehrerlös unter anderem in eine tiergerechte Haltung investieren. Parallel dazu müssten harte Umweltauflagen durchsetzen, dass auch Mastschweine Auslauf bekommen. Viele Verbraucher würden für Lebensmittel tiefer ins Portemonnaie greifen, wenn sie dafür eine bessere Qualität erwarten könnten. Allein ein höherer Preis garantiert dies noch nicht.
Statt Agrarfabriken mit Tausenden Tieren aus dem europäischen Agrarfonds zu fördern, sollten regionale kleine und mittlere Betriebe subventioniert werden. Gegen das Argument, höhere Preise könnten die Leute mit einem schmaleren Geldbeutel nicht mehr bezahlen, lässt sich einwenden, dass hier erstens höhere Mindestlöhne helfen würden. Und zweitens wäre auch eine angemessene staatliche Unterstützung für Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, eine Hilfe. Ohnehin geben die Menschen in Deutschland nur 9,5 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus. In Frankreich sind es mehr als 13. Volker Thomas
Contra
Fair für alle: ein neues System
ein, ich stelle mich jetzt nicht hier hin und sage: Der Markt wird alles richten. Dass der Handel sagt, ärmere Menschen wollten günstige Nahrung kaufen, ist ökonomisch, aber nicht moralisch nachzuvollziehen. Dass das Tierwohl, der Natur- und Artenschutz in der Landwirtschaft stärker berücksichtigt werden sollten, ist nicht nur angesichts des Klimawandels richtig – aber auszutarieren. Die Regierung fordert Fairness für beide Seiten: Handel und Landwirte. Das Verordnen von Mindestpreisen ist allerdings nicht das Mittel, das die Politik hier anwenden sollte, wie von vielen Aktivisten gefordert wird. Die UTP-Richtlinie der EU, die die Landwirte vor unlauterem Wettbewerb und allzu großem Druck durch den Handel schützen soll, ist sicherlich ein erster, gut gemeinter Schritt im bestehenden System.
Doch ist dieses System grundsätzlich falsch. Denn warum ist es überhaupt möglich, solch billige Lebensmittel zu verkaufen? Warum sind biologisch angebaute Lebensmittel so teuer? Die Antwort ist einfach und doch kompliziert: weil die externen Kosten schlicht nicht mit eingerechnet sind.
Was ist damit gemeint? Nun, alle negativen Folgekosten unserer Lieferketten. Die Tomate beim Händler um die Ecke wächst in einem Betrieb in Spanien, unter einer quadratkilometergroßen Plane gezüchtet. Sie benötigt Wasser, immerhin 110 Liter pro Kilo, für das immer tiefere Brunnen gebohrt werden müssen. Nach der Ernte wird sie per Kühl-Lkw, der CO2 ausstößt, transportiert, landet plastikfolienverpackt im Regal und wird, falls sie eine kleine Delle hat, vom Konsumenten deshalb nicht gekauft und schließlich weggeworfen. All dies verursacht Folgekosten, die in keiner Bilanz der Nahrungsmittel-Lieferkette auftauchen – denn die Kosten der Langzeitfolgen, zum Beispiel der CO2-Ausstoß von Lkw oder die Auswirkungen des Austrocknens ganzer Landstriche in Spanien, zahlt die Allgemeinheit, nicht der Konsument. Der wollte ja nur eine Tomate. Rechnet man nun die externen Kosten von biologisch angebauten Lebensmitteln gegen, zeigt sich in wissenschaftlichen Untersuchungen: Bio ist billiger.
Negative Folgekosten einrechnen
Setzt man also den tatsächlichen Preis für vermeintlich billige Lebensmittel an, werden diese uns teuer zu stehen kommen. 2016 rechneten deutsche Wissenschaftler aus: Allein die Stickstoffbelastung der Böden verursacht negative Folgekosten von mehr als 20 Milliarden Euro für das Gesundheitssystem der Menschen und das Ökosystem der Landschaft. Dem gegenüber steht ein Ertrag von 8,7 Milliarden.
Und dies ist der einzige Ansatz, zu einem „fairen“ Preis für alle zu kommen. Für den Konsumenten und dessen Gewissen, für die Umwelt, den Arten- und Tierschützer und sein berechtigtes Anliegen, für den Händler und die Lieferkette, für den Produzenten, der sich über die berechneten Folgekosten an den negativen Folgen industrieller Landwirtschaft beteiligt. Klar ist: Gutes Fleisch, gutes Obst und Gemüse oder Getreideprodukte sollten auskömmliche Preise erzielen. Denn gute Nahrung ist ein Wert an sich: Was nix kostet, taugt auch nix. Falk Enderle