Diana Kinnert ist die junge Galionsfigur der Konservativen und kämpft unter anderem auch für die Modernisierung ihrer CDU. Welche Rolle sie dabei Annegret Kramp-Karrenbauer zuschreibt und warum sie der Noch-Bundesvorsitzenden Respekt zollen muss, erklärt die 28-Jährige in einem persönlichen Gespräch.
Frau Kinnert, können Sie sich noch an Ihre erste persönliche Begegnung mit Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) erinnern?
Ich bin seit über zehn Jahren Mitglied der CDU und habe auch relativ früh Kontakte zur Christlich-Demokratischen Arbeitergemeinschaft (CDA) aufgebaut. Mit 17 Jahren habe ich beispielsweise Regina Görner kennengelernt, die auch als Sozialministerin im Saarland diente. Später lernte ich auch die Europaabgeordnete Doris Pack kennen. Darum entwickelte sich eine besondere Affinität zum Bundesland Saarland.Annegret Kramp-Karrenbauer war mir also bereits ein Begriff, bevor wir uns persönlich kennenlernten. In ihrer Ministerpräsidentschaft habe ich sie als unprätentiös, diszipliniert und souverän wahrgenommen. Wirklich kennengelernt haben wir uns erst nach ihrer Kandidatur als Parteivorsitzende. Also relativ spät.
Welchen Eindruck hatten Sie von ihr?
In der heutigen Zeit, in der Konservative uneins sind, einige einen Rechtsruck fordern, andere zu Urbanisierung neigen, ist es von allergrößter Bedeutung, die Partei zu einen. Dass Kramp-Karrenbauer als Ministerpräsidentin abgedankt hatte, um zunächst Generalsekretärin zu werden, nötigte mir großen Respekt ab. Sie bemühte sich um gemeinsame Erzählungen und um die Ordnung und Integration von innerparteilichen Flügeln.
Als Parteivorsitzende stand sie zunehmend unter auch ungerechter Kritik, ihre Autorität wurde angezweifelt, sie hat sich im Zuge der Rezo-Debatte unglückliche Fehler geleistet. Ich habe sie insgesamt dennoch als persönlich standhaft und politisch einsichtig wie lernfähig kennengelernt.
Wenn Sie gerade Medien ansprechen: Hat sich die Kommunikation in der digitalen Welt verändert?
Auf jeden Fall. Beispielsweise dieser Fauxpas – dass sie im saarländischen Karneval einen Witz gemacht hatte, der als intersexuellenfeindlich eingeordnet werden konnte und es über Twitter in die Berliner Blase geschafft hatte – ist ein Beispiel für eine neue Form simultaner Wirklichkeit. Über digitale Aufnahme und das Teilen verschiedener Aufnahmen ist man nur noch selten in wirklich geschlossenen und diskreten Teilöffentlichkeiten unterwegs. Das Gegenteil ist der Fall: Man ist durchlässig und transparent, muss vorsichtig sein in seiner Ansprache und mit Missverständlichkeiten.
Die Digitalisierung macht, dass wir in einem Stuhlkreis im links-grünen Kreuzberg nicht mehr etwas anderes sagen können als bei der traditionsreichen Jagd im Elsass. Es würde auffallen, man könnte es im Internet gegenüberstellen. Sicher spricht man vor der Jungen Union eine andere Sprache als bei der Senioren-Union, aber man darf sich keine inhaltlichen Widersprüche leisten. Glaubwürdigkeit in Zeiten der Digitalisierung setzt eine Form von Eindeutigkeit und Stringenz voraus. Zugleich hat das Internet eine ganze Schar von Beobachtern produziert, die skandierend nach Fauxpas suchen. Das ist auch nicht einfach.
Ist es nur die Form, die sich durch die Digitalisierung verändert hat, oder sind es auch die Inhalte?
Das ist schwer zu beantworten, weil viele soziologische Veränderungen ebenfalls Einfluss ausüben. In einer Zeit, die von Überinformation und Schnelllebigkeit geprägt ist, siegen Vereinfachung, Eindeutigkeit und Prägnanz über Differenziertheit und Intellektualisierung. Das muss allerdings nicht automatisch dazu führen, dass Politik nur populistisch und spaltend erfolgreich sein kann. Ich bin überzeugt, dass es gesunde Mittelwege gibt.
Die Moderne hat sicherlich auch die Themenblöcke verändert: Junge Leute haben über die Problematik um die Upload-Filter vor dem Europäischen Parlament rebelliert. An älteren Politikern ist das Thema eher vorbeigegangen. Klimapolitik oder Fragen um psychische Erkrankungen sind ebenfalls sehr wichtig vor allem für junge Menschen. Aber auch das Wie der Politik hat sich verändert: Politische Stimmen aus Popkultur und Kultur wie der Unterhalter Jan Böhmermann oder der Pianist Igor Levit leben eine andere Art von politischem Diskurs. Sie befeuern auch eine neuen Aktivismus: Der Unterhalter Klaas Heufer-Umlauf hat zur Finanzierung einer eigenen Mission der Seenotrettung aufgerufen, die Freundinnen Charlotte Roche und Lena Meyer-Landrut lobbyieren für Petitionen, die auf niedrigere Steuern für Hygieneartikel bei Frauen abzielen. Ob wir es gut oder schlecht finden: Klassische Politik verschläft Themen, positioniert sich zu zurückhaltend. Ziviler Ungehorsam und eine neue popkulturell unterlegte zivile Eigenständigkeit entsteht. Digitalisierung begleitet all diese Phänomene.
Zurück zu AKK. Bei der Wahl der Bundesvorsitzenden schwankten Sie zwischen AKK und Merz. Warum so unentschlossen?
Ich habe tatsächlich in mehreren Interviews dargelegt, dass ich unentschieden war und warum. Auch Jens Spahn hatte gute Argumente. Er war der junge und digitale Kandidat, der versteht, dass Staats- und Verwaltungsapparat Digitalisierung und Modernisierung nötig haben. Seine Arbeit an der Schnittstelle von Gesundheitspolitik und Technologie ist beeindruckend. Friedrich Merz war der Disruptor, – aus der Politik ausgestiegen, sich in globalem Unternehmertum bewiesen, nun vielleicht mit neuen Ideen und Schaffensfreude und Offenheit zurück? AKK gefiel mir vor allen Dingen wegen ihrer Unaufgeregtheit. Sie hatte einen schlagzeilenreichen Bundeszirkus nie nötig, kam mir uneitel und verantwortungsbewusst vor. Über ihre Bodenständigkeit und Disziplin in ihrer Arbeit auch im Saarland habe ich eine Sympathie zu ihr entwickelt. Die Erfahrung als Generalsekretärin hat ihr ein Gefühl für die Uneinigkeit und die Mission in der Partei an die Hand gegeben. Am Ende des Tages war es die richtige Entscheidung, die Person mit dem richtigen Auftrag und den richtigen Instrumenten an die Spitze zu wählen.
Nach knapp 14 Monaten als Bundesvorsitzende, wie hat sich AKK verändert?
Weil wir nicht so oft sprechen, kann ich das nicht beurteilen. Mir sind aus der Ferne einige Dinge aufgefallen. Ich hielt es für eine gute Entscheidung, den jungen Paul Ziemiak als Bundesvorsitzenden der Jungen Union zum Generalsekretär zu machen. Vielleicht war er noch nicht so souverän wie altgediente Parteimitglieder, aber er ist ein offener und lernfähiger Typ, der vor allen Dingen die Interessen der jungen Generation und Visionen für die Zukunft fortan in die Partei einpflanzen und umsetzen durfte und konnte. Kramp-Karrenbauer hat ihre Aufgabe als Einerin in der Partei ebenfalls weiter ernst genommen. Sie hat auch unter großem Druck und Illoyalitäten eigener Parteikollegen souverän und standhaft an einem Deutschlandplan gearbeitet. Mir gefiel, dass sie einen Grundsatzprozess eingeleitet hat und bei ihrer Zuhörtour bundesweit ein offenes Ohr hatte. Ihre Forderungen wie beispielweise die Einführung eines verpflichtenden Dienstjahres für Deutschland sind solche Themen, durch die die Menschen eine gemeinsame Aufgabe sehen oder ein gemeinsames Verhältnis zu unserem Land aufzubauen können. Das schätze ich an ihr, dass sie an solchen Einigungsmissionen interessiert ist, weil es entgegen all dem läuft, was Gesellschaft gerade ausmacht an Fliehkräften, an Segregation an Individualisierung und an Spaltungstendenzen.
Gibt es Themen die Ihrer Meinung nach sehr wichtig sind, aber von AKK nicht angesprochen wurden?
Ich glaube, dass die CDU sehr viel selbstbewusster und lauter werden muss, wenn es um den ökologischen Umbau unserer Industrie und Volkswirtschaft geht. Es gibt im Diskurs beispielweise die lauten Leute, die sagen, dass wir verzichten und verbieten müssen und dass es nicht so weiter gehen könne. Das ist eine schwierige, dogmatische, fast fundamentalistische Einstellung, weil sie nur dafür sorgt, dass sich immer mehr Leute dagegenstellen. Weil sie das Gefühl haben, um die eigenen Abstiegsängste und die Existenzängste bemüht sein zu müssen. Und das wiederum ruft wieder die Spaltungstendenzen hervor wie beispielweise bei den Gelbwesten in Frankreich. Auf der anderen Seite erlebe ich viele Konservative, die sich an einem altmodischen Fortschrittsbegriff von Raserei auf Autobahnen, Überkonsum von gesundheitsschädigenden Billigprodukten und rauchenden Schornsteinen festhalten. Deswegen fehlt mir in meiner Partei eine pragmatische Mitte, die daran glaubt, dass wir mit einem Green New Deal ein grünes Wohlfahrtsversprechen umsetzen können. Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft bietet diese Perspektive an: Der Aufbau von sauberen, nachhaltigen und langfristigen Geschäften, die Idee des sozialen und ehrbaren Kaufmannes, die Idee, Umweltkosten nicht zu externalisieren, sondern auf die eigene Rechnung zu schreiben. Da fehlen mir aus der Parteiführung – obwohl wir eine Reihe Fachpolitiker dafür haben – differenzierte Vorschläge, die mit Nachdruck ihren Weg nach draußen finden. Das Klimapaket der Bundeskanzlerin war mir in diesem Zuge auch zu anspruchslos.
Ein weiteres ganz großes Thema, mit dem ich mich beschäftige, ist das Thema Einsamkeit, welches in sämtliche Politikfelder hineingreift. Unsere westliche Gesellschaft ist davon geprägt, dass Seniorinnen und Senioren über 70 kein kulturelles Sinnkonzept angeboten wird. Ihnen fehlen aber nicht nur Anerkennung und Wertschätzung, sondern auch eine auf sie zugeschnittene Infrastruktur und neue Möglichkeiten der Aufgabe und Teilhabe. Wer sozial isoliert ist, sich einsam fühlt, abgeschieden lebt, wird häufiger krank und stirbt früher. In Großbritannien habe ich an der Konzeption des weltweit ersten Ministeriums gegen Einsamkeit mitgearbeitet. Es gibt zahlreiche Ansätze: Weiterbildungsoffensiven für eine alternde Gesellschaft, die Integration von Technologien für eine agile Infrastruktur, neue Mobilität auf dem Land, altersgerechte Berufsoptionen, das Leben in Mehrgenerationenhäusern und innerhalb von Nachbarschaftsgenossenschaften. Die deutsche Politik kennt das Thema noch gar nicht. Vor allem in der Union ist es sehr still. Dabei geht es bei uns Konservativen auch um Fürsorge, Zusammenhalt und Verbindlichkeit. Ich wünsche mir, dass wir diesem Thema mehr Aufmerksamkeit schenken.
Wie bewerten Sie AKKs Reaktion auf die Wahl in Thüringen?
Ich schätze an Kramp-Karrenbauer, dass sie und die gesamte Parteiführung auf Bundesebene immer sehr unmissverständlich in Richtung einer möglichen Zusammenarbeit mit der AfD waren: Die AfD ist keine konservative und bürgerliche Partei, die unser Lager bereichert, sondern eine zutiefst reaktionäre mit faschistoiden Elementen. Sie ist der politische Gegner aller demokratischen Parteien. Es ist bedauerlich, dass es Kramp-Karrenbauer und mit ihr der Parteizentrale in Berlin nicht gelungen ist, diesen Kurs selbstbewusst und souverän vor allem innerhalb der Partei zu vertreten und durchzusetzen. Scheinbar ist die Partei doch viel tiefer gespalten, als wir Christdemokraten allesamt wahrhaben wollten. Dass Kramp-Karrenbauer nun ihren Rückzug ankündigt, ist schade und nötigt mir großen Respekt ab.