Bei dem politischen Chaos in Thüringen ist immer öfter von „Zuständen wie in der Weimarer Republik“ zu hören. Der ehemalige FDP-Innenminister Gerhard Baum sprach davon, dass ein „Hauch von Weimar über dem Land“ liege. Was war wirklich los in besagter Weimarer Republik?
Von 1918 bis Anfang 1993 erschien wöchentlich die kleine Zeitschrift „Die Weltbühne“. Ihr Herausgeber Siegfried Jacobsohn kämpfte mit dem Schwert des Wortes für die Demokratie in dieser Republik. Angefeindet wurde er von Militärs, von Deutschnationalen, von christlichen Parteien – aber auch von der KPD und später der SPD. Jacobsohn ließ sich nie vereinnahmen, ließ Kurt Tucholsky und den späteren Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky sowie viele andere hellwache Journalisten schreiben.
Auf mehr als 30.000 Seiten lässt sich nachlesen, wie Reaktionäre, Völkische, fundamentale Christen die Demokratie zerstören wollten. Belegt ist, dass Hitler und Göbbels die NSDAP über Erfolge in Gemeinden und Ländern stark machen wollten. Die „Bewegung“ der Nazis ging von München aus und erreichte bald – Weimar. Schon 1924 tolerierte eine völkische Partei in Thüringen eine Minderheitsregierung. Obwohl SPD und KPD bei sechs Landtagswahlen oft recht gute Ergebnisse erzielten, tauchte die NSDAP 1930 mit einem Innenminister Frick erstmals in einer thüringischen Landesregierung auf.
Auszüge aus einem Text in „Die Weltbühne“ (23/1930), der sich mit Thüringen beschäftigte, zeigt erschreckende Parallelen auf. In Auszügen sei dieser Text hier abgedruckt:
„Bisher war es den rechtsradikalen Feinden der Republik zwar gelungen, sich gewisse Hochburgen zu schaffen, in denen sie eine mehr oder weniger gewaltsame Beeinflussung des öffentlichen und geistigen Lebens in ihrem Sinne durchzusetzen versuchten. Diese faschistischen Kulturzellen konnten aber auf die Dauer nicht dazu ausreichen, die romantischen Parteiideale ihrer Erfüllung näher zu bringen, die demokratische Republik zu beseitigen und sie zu ersetzen durch eine sogenannte „autoritäre“ Demokratie, einfacher gesagt: durch die Diktatur….
…indessen aber erfüllte sich das Schicksal des armen, aus acht Kleinstaaten neugegründeten Landes Thüringen. Es war dem Reich zu linksradikal geworden. Kommunisten saßen in der Regierung. Das gab Veranlassung zum Einmarsch der Reichswehr. Auf die linksradikale Ära folge die Entwicklung nach rechts…
…Mit allen Mitteln machte sich Hitler sofort an die Arbeit. Die faschistischen Romantiker haben es verstanden sich in Thüringen einzurichten. Sie sind in Thüringen die ausschlaggebende Regierungspartei geworden und schaffen sich dort täglich neue Machtpositionen in der Landespolizei, in den Gemeinden, in den höheren Beamtenstellen, in den Schulen, ja bis hinauf in die hohen Geistesregionen der Landesuniversität…
…Das ist keine Romantik mehr. Sie stehen in Thüringen und sind in voller Arbeit, dieses Land zu einer starken Festung für das weitere Vordringen, für den Endkampf gegen die Verfassung auszubauen. Was ihnen auch offensichtlich gelingt. Es brauchte jetzt nur noch – woran ja schon lange gearbeitet wird – die Große Koalition in Preußen in die Brüche zu gehen, dann würde die Bahn ganz frei werden…
…Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, dass alle rechtsstehenden Feinde der Republik ihre nunmehr neu belebte Hoffnung auf Thüringen setzen und auf den Minister Frick, dass alle bestrebt sind, die nationalsozialistische Position zu stärken. Dazu gehören Massenzuwanderung zu dieser Partei, Bereitstellung von Geldmitteln durch die Industrie…
…Wenn der Gegner der Republik seine Position in Thüringen so zielbewusst, so aktionsfreudig und hemmungslos und so erfolgsversprechend stärkt, so genügt es für die andere Seite nicht mehr, diese Aktionen und ihre Führer zu unterschätzen. Sondern es wird höchste Zeit, eine Gegenaktion in verbundener Abwehrfront einzuleiten. Es genügt auch nicht, dass man Zuschüsse und Mittel irgendwelcher Art sperrt, so wie ein spießiger Vater dem unartigen Sohn den Wechsel beschneidet oder entzieht. Sonst lachen die Falken, Werwölfe und andere wilden Tiere in Thüringen, die sich schon darauf freuen, nun bald in den republikanischen Schafstall einbrechen zu können.“
Knapp zwei Jahre später ließ der Hass auf alles, was links war, einen gewissen Franz von Papen Reichskanzler werden. Diese Personalie war ein Zeichen der politischen Hilflosigkeit. Von Papen dachte allen Ernstes, er könne Hitler in einer neuen Regierung zähmen. Er machte sich bei Hindenburg für Hitler stark. Der greise Hindenburg ließ sich überreden.
Alle politischen Kräfte der Mitte hätten beim Auftauchen des Zentrum-Mannes von Papen gewarnt sein müssen. Wegen illegaler Spionagetätigkeit war er aus den USA ausgewiesen worden. Mittels seiner Frau, die aus der Linie der Villeroy und Boch stammte, knüpfte er Kontakte zu rechtsextremen Franzosen. In einem Herrenbund trat von Papen gegen alles „Sozialistische“ auf, wobei die dominierende Presse (Hugenberg-Konzern) die immer machtloser werdende SPD verteufelte. Besonders in den 52 Ausgaben des Jahrgangs 1932 ist nachzulesen, wie das „3. Reich“ passieren konnte.
Wer heutzutage meint, er könne als Demokrat mit Rassisten, Antisemiten paktieren, dem seien einige Zeilen aus Erich Kästners Gedicht „Denn ihr seid dumm“ (31/1932) gewidmet:
„Ihr und die Dummheit zieht in Viererreihen / in die Kasernen der Vergangenheit. / Glaubt nicht, dass wir uns wundern, wenn ihr schreit, / denn was ihr denkt und tut, das ist zum Schreien.
Ihr kommt daher und lasst die Seele kochen, / die Seele kocht¸ und die Vernunft erfriert. / Ihr liebt die Dummheit erst, wenn sie marschiert, / weil dann gesungen wird, und nicht gesprochen.
Ihr liebt den Hass und wollt die Welt dran messen. / Ihr werft dem Tier im Menschen Futter hin / damit es wächst, das Tier tief in Euch drin! / Das Tier im Menschen soll den Menschen fressen.
Wie ihrs Euch träumt, wird Deutschland nie erwachen. / Denn ihr seid dumm und seid nicht auserwählt. / Die Zeit wird kommen, da man sich erzählt: / Mit diesen Leuten war kein Staat zu machen.“