Karl-Heinz Wendorff gilt seit der TV-Show „Medizin nach Noten" als „Vorturner des Ostens". Auch mit 73 Jahren denkt er noch lange nicht an den Ruhestand.
Kinder ordern Eiskugeln, das Pärchen am Tisch den Eisbecher für Verliebte. Vom groß gewachsenen Mann in der letzten Ecke des Bernauer Cafés nehmen Passanten dagegen kaum Notiz. Er sitzt so versteckt, dass ihn nur wenige erkennen. Das ist auf offener Straße ganz anders. Da muss der Kaffeehaus-Besucher Autogramme schreiben: Karl-Heinz Wendorff, Freunde rufen ihn nur Kalle oder Wendy, zählte zu den bekanntesten Gesichtern des Ost-Fernsehens. Jahrelang war er der Vorturner in „Medizin nach Noten", der werktäglichen TV-Sendung für Gymnastikübungen zum Mitmachen. Kürzlich feierte Wendorff 73. Geburtstag, was man dem Entertainer und Sportmoderator nicht ansieht. Die Figur ist top – der Appetit auch: Im Café bestellt Wendorff Schnitzel mit Champignons.
Nach dem Mittagsmahl plaudert der gebürtige Ruhlsdorfer (Brandenburg) über seine atemberaubende Karriere, die er mal als Leichtathlet und Handballer begann sowie als Sportlehrer fortsetzte. Wie er im Lauf der Jahre zum Hit-Sänger und Conférencier wurde, ist fast filmreif und bundesweit wohl einzigartig. „Eine solche Laufbahn wäre heute unmöglich", sagt der Mann, der in den 80er-Jahren vorm Fernsehgerät ein Millionenpublikum bewegte. Und das im doppelten Wortsinn. Dreimal täglich zehn Minuten gab es im DDR-Fernsehen Sportübungen zum Mitmachen. Aufgezeichnet wurde im Berliner Sport- und Erholungszentrum (SEZ). Kalle Wendorff war eine Art TV-Übungsleiter. „Natürlich trafen wir uns dort nicht täglich. An einem Tag zeichnete man mit Gymnastikgruppen und Sportbegeisterten mehrere Folgen auf. Für drei Sendungen erhielt ich 64 Ostmark. Das summierte sich im Monat."
Wie er an den außergewöhnlichen Fernsehjob kam? „Im SEZ war ich schon seit dessen Eröffnung 1981 eine Art Haus- und Hofmoderator: Von der Polardisko auf der Eisbahn bis zur Wellenparty im Schwimmbad. Da lag es nahe, dass man mich zuerst fragte", erinnert sich der Allround-Entertainer. Mit ihm verlegte man „Medizin nach Noten" (das es im DDR-Fernsehen seit Anfang der 60er-Jahre gab) aus einem kleinen TV-Studio dorthin, wo Aktive tatsächlich Sport treiben. „Die Sendung entsprach dem Anliegen des Deutschen Turn- und Sportbundes der DDR, die werktätigen Massen fit zu machen", lächelt der studierte Sport- und Geschichtslehrer, der ursprünglich mal Landmaschinen- und Traktorenschlosser lernte.
Kollegen galt er immer als Disziplin in Person
Der galt Kollegen und Zuschauern immer als Disziplin in Person. Über die Stränge geschlagen habe er nie. Auch nicht, als er später als Sänger in Künstlerkreisen verkehrte. Die Nacht zum Tag machen? Nicht mit Karl-Heinz Wendorff. Eskapaden sind zumindest nicht bekannt. Dafür ist er seit 40 Jahren mit seiner Dagmar verheiratet. „Nächte durchzechen hätte auch gar nicht funktioniert. Am nächsten Morgen hatte ich schließlich den nächsten Auftritt: Vor meiner Unterrichtsklasse in der Berufsschule des Berliner Glühlampenwerks Narva und abends auf Veranstaltungen." Jahrelang machte er mehrere Jobs parallel, ein Pensum, das nicht viele geschafft hätten. Getrieben habe ihn immer der Ehrgeiz. „Ich wollte immer der Beste sein!"
Doch wie wird man vom dreifachen Jugendbezirksmeister im Diskuswurf im ehemaligen DDR-Bezirk Frankfurt/Oder und Sportlehrer zum Schlagersänger? Wendorff: „Das ist eine lange Geschichte. Ich versuche mal die Kurzfassung." Sein früherer Lehrer an der Erweiterten Oberschule (EOS) in Bernau, Paul Hübner, habe ihn bestärkt, dem Sport treu zu bleiben, erst als Trainer bei Lok Bernau, später in der Narva-Schule. „1973 zu den Weltfestspielen wurde im Betrieb ein Jugendklub eröffnet und ich sein Leiter." Mit einem Kumpel legte er die Prüfung zum „Schallplatten-Unterhalter" ab. „So ging es eigentlich los – vom Unterhalter vor Schulklassen zum Unterhalter vor großem Publikum."
Und dieses Publikum wuchs jährlich: Es folgte die Moderation von Sportfesten, Spartakiaden, Winterbahnrennen, Zielankünften der Friedensfahrt. Den Ostberliner Friedenslauf mit 80.000 Aktiven begleitete er mal im Beisein von IOC-Chef Juan Antonio Samaranch. In Karl-Heinz Wendorffs Mikro sprachen Ost-Sportstars wie Täve Schur, Helmut Recknagel, Christine Stüber-Errath und Olaf Ludwig, aber auch HSV-Legende Uwe Seeler. Direkte Vorbilder hatte der Märker, der 33 Jahre in Berlin lebte, nie. Reporter Heinz Florian Oertel (92) bezeichnet er aber als einzigartiges Sprachgenie. Nur nebenbei erwähnt der Café-Besucher, dass er früher in der DDR-Handballliga spielte und 1963 sechster der DDR-Jugendmeisterschaften im Kugelstoßen war.
Bis heute sorgt der Entertainer vor allem in Brandenburg und Berlin für Stimmung: Ob beim Skispringen an der Schanze Bad Freienwalde oder auf Gemeindefesten und Vereinspartys. Dabei ist Karl-Heinz Wendorf privat ganz anders: „Ich würde mich privat nie in eine Polonaise einreihen, sie aber auf öffentlichen Events immer wieder anzetteln." Manchmal erkenne er sich bei Auftritten selbst nicht wieder. Es sei, als wenn jemand einen Schalter umlege. Das war schon beim Fernsehen so, als er unter anderem auch als Außenreporter bei „He, Du" mit Wolfgang Lippert agierte.
Vier Alben und 25 Singles bis heute
Zum Sänger und späteren Komponisten wurde das Multitalent eher unvermittelt bei einer Schiffstour auf der MS Arkona. „Radlegende Olaf Ludwig, mit dem ich gut konnte, brachte mich auf die Idee, solch eine Schiffspassage als Moderator zu begleiten. Doch die Kulturchefs sagten: Nein. Die Sport-Verantwortlichen ebenso." Die Reise wäre nach Tunesien gegangen. Doch die Enttäuschung dauerte nicht lange. „Mit einem Anruf der obersten Entscheider zwei Wochen später kam es noch viel besser: eine achtwöchige Schiffspassage nach Kuba und zurück. Das war damals ein Traum", erinnert sich Wendorff. Auf dem Urlauberschiff springt er kurzfristig für einen erkrankten Künstler ein. Mit seinem Akkordeon schmettert er „La Paloma". Die Nummer kommt so gut an, dass er sie wochenlang zum Frühschoppen wiederholen muss. „Das war für mich eine Art Initialzündung, weil ich sah, wie ich Menschen mit Musik begeistern kann." Dazu kam, dass etliche andere Künstler mit an Bord waren, unter anderem Peter und Paul, das erfolgreiche Gesangsduo der 80er-Jahre. Bordfunk und Morgengymnastik übernahm er natürlich auch gleich. Bei einer späteren Mittelmeer-Tour wurden aber auch Komponist Arndt Bause oder Nachrichtensprecher Klaus Feldmann an Bord gesichtet. „Am 7. Oktober 1989 legten wir ab. Zum Mauerfall waren wir in Limassol auf Zypern."
In ein „schwarzes Loch" sei er nach der Wende nicht gefallen, betont der umtriebige Moderator. Ganz im Gegenteil: Es war der Startschuss für seine vierte Karriere als Sänger. Bis heute veröffentlichte er auf vier Alben und 25 Singles über 100 Songs, darunter den Hit „Paula, mein kleiner Superstar", den er 2016 für Sängerin Sissi schrieb. Das Lied bescherte der damals Zwölfjährigen nicht nur den ARD-Auftritt in „Immer wieder sonntags" mit Stefan Mross. Auf Youtube wurde der Song fast zwei Million mal geklickt.
Karl-Heinz Wendorff komponierte unter anderem die Stadt-Hymne für Bernau sowie für den Altlandsberger Sportverein MTV. Wenn er singt, tritt er meist unter seinem Künstlernamen Carl von Breydin auf, benannt nach seinem Barnimer Wohnort Breydin. Auf rund 40 Auftritte bringt er es im Jahr immer noch. „Mehr muss es nicht sein. Ich bin viel besser, wenn ich weniger mache", resümiert der Tausendsassa aus Brandenburg. Der tüftelt den eigenen Worten nach gerade an einem neuen Song für märkische Sportevents. Der Titel: „Gold, Silber und Bronze". Dann muss der frühere Fernseh-Vorturner los zu einer Seniorenveranstaltung nach Schwedt.