Sie wird gern der „Schwarzen Szene" zugeordnet, bezeichnet ihre Kunst aber selbst als Gothic Novel Rock: die deutsche Band ASP. Frontmann und Namensgeber Alexander Spreng spricht im Interview über das aktuelle Album, die Tour und was ihn am Abgrund fasziniert.
Herr Spreng, was können die Besucher auf der „Kosmonautilus"-Tour erwarten? Welcher Song darf nicht auf der Setlist fehlen?
„Und wir tanzten (Ungeschickte Liebesbriefe)", weil wir den schon angekündigt und versprochen haben.
Ganz am Anfang der ASP-Karriere waren noch gar keine Live-Auftritte geplant. Gehen Sie mittlerweile gern auf Tour?
Nur die ersten Monate unserer „Karriere" gaben wir uns der Hoffnung hin, uns für alle Zeiten im Studio verkriechen zu dürfen und dort unter Ausschluss der Öffentlichkeit am laufenden Band neue Songs zu produzieren. Aber es wurde sehr schnell klar, dass ich die Bühne zum einen vermisste und zum anderen reine Studio-Projekte zukünftig nicht wirklich überlebensfähig sein würden. Ich gehe recht gern auf Tour, wenngleich ich nur die Zeit des eigentlichen Konzertes genieße. Der Rest ist recht nervtötend.
Was genau stört Sie denn?
Wollen wir dem Rock’n’Roll nicht ein paar seiner schmutzigen Geheimnisse lassen, um den Zauber nicht komplett zu zerstören? Für so etwas möchte ich ungern verantwortlich sein.
„Kosmonautilus" ist der vierte Teil des „Fremder"-Zyklus? Sind weitere Teile geplant?
Ja, es ist ein weiterer und abschließender Teil des Fremder-Zyklus geplant. Allerdings kommt erst etwas komplett anderes, bevor ich mich wieder dieser Geschichte widme.
Können Sie bereits verraten, was vorher noch geplant ist?
Aber gern: Ein Album, dem ein anderes Thema zugrunde liegt.
Wie fremd fühlen Sie sich derzeit in der Welt und in sich selbst?
Total. Wie eh und je.
In welcher Realität würden Sie gern leben?
Nein, nein, die Frage stellt sich nicht. Viel wichtiger ist, in welcher Welt die anderen Leute leben möchten. Denn wenn ich mich so umschaue, scheint allerorts die Realität nur noch von Meinungen gestaltet zu werden, nicht mehr von Fakten.
„Kosmonautilus" entstand wieder gemeinsam mit Vincent Sorg, der für so unterschiedliche Künstler wie Die Toten Hosen, H-Blockx, In Extremo, die Böhsen Onkelz
und Atze Schröder an den Reglern saß. Wie war die Zusammenarbeit?
Wie immer großartig. Vincent und ASP arbeiten seit über einem Jahrzehnt zusammen. Allerdings möchte ich noch einmal erwähnen, dass wir mit Vincent nicht die Songs produzieren, sondern in den Principal Studios lediglich die Abmischungen der Alben angefertigt werden. Produziert werden die Songs von Lutz Demmler und mir.
Aus Themen, die viele als düster bezeichnen, möchten Sie lebensbejahende Energie beziehen. Was fasziniert Sie am Abgrund, am Ableben, am Abseitigen?
Ich beziehe meine lebensbejahende Energie aus meiner Arbeit, nicht unbedingt aus den Themen an sich, sondern eben aus dem, was ich daraus mache. Es ist auch so, dass es eher der Hörer ist, der aus den von mir kreierten Werken Energie schöpfen soll. Nichtsdestotrotz halte ich es für wichtig, sich auch mit den sogenannten dunklen Seiten des Lebens zu beschäftigen, denn nur wer diese nicht leugnet, wird das Leben in seiner ganzen Tiefe genießen können. Beschäftigen wir uns nicht mit der Angst, können wir nicht lernen, achtzugeben, leugnen wir den Tod, leugnen wir das, was das Menschsein definiert. Endlichkeit ist das Schicksal, das uns alle verbindet, „der Schnitter macht alle gleich". Das Abseitige existiert nicht, nur die vielen Variationen des wundervoll vielfältigen Lebens.
Viele Ihrer Texte haben eine melancholische Grundstimmung. Würden Sie sich selbst als melancholischen Menschen bezeichnen?
Natürlich bin ich ein melancholischer Mensch, genauso wie ein sehr humorvoller Charakter und auch im Grunde meines Herzens ein Optimist.
Auf älteren Songs wie „Beschwörung" hört man eine deutlich elektronischere Seite der Band, die mitunter an Depeche Mode erinnert. Was sind Ihre musikalischen Einflüsse?
So unterschiedlich kann man Lieder empfinden. Ich kann beim genannten Song keinerlei Ähnlichkeiten mit Depeche Mode erkennen. Für mich ist es eine Mischung aus Folkmelodie und Metal. Klar, mit vielen elektronischen Elementen umgesetzt. Aber darum geht es ja auch nicht. Die Schubladen machen ja die anderen, nicht ich. Meine musikalischen Einflüsse reichen von Metal über Folk bis hin zu allen möglichen Spielarten der Rockmusik. Und dennoch haben wir unseren eigenen Musikstil aus vielen Genres zusammengebaut, und den definiert vor allem eins: Ich bin ein Geschichtenerzähler. Und damit ordnet sich die Komposition immer der zugrundeliegenden Story unter. Das beeinflusst die Musik viel mehr als alles andere.
Nichts beeinflusst die Musik mehr als das. Segen und Fluch, Alleinstellungsmerkmal und Vermarktungsproblem gleichzeitig.
Gleichzeitig erinnern Ihre eigene Bezeichnung „Gothic Novel Rock" und einige Themen an Autoren wie Jules Verne, Edgar Allan Poe oder H. P. Lovecraft. Wer hat Sie literarisch und in puncto Graphic Novels beeinflusst?
Nun, die Gothic Novel ist ja nichts als ein Schauerroman, eine Gruselgeschichte, und das passt natürlich zu unserer Musik. Ich würde unsere Storys nicht dem Genre Horror zuordnen, sondern eher allgemein dem Genre der Phantastik.
Was Graphic Novels angeht, so spielen Sie vermutlich auf meine Comics und Bilderbücher an. Nun, ich habe Comics von frühester Kindheit an geliebt, habe als Kind mit „Lustigen Taschenbüchern", Asterix und Lucky Luke angefangen und seither meine Begeisterung für Comics immer beibehalten. Heute sind es natürlich auch viele moderne Autorencomics, die sich in meiner Sammlung finden. Jeff Lemire finde ich zum Beispiel wahnsinnig talentiert.
Meine Bücherregale biegen sich unter Lesestoff, den ich hoffentlich irgendwann auch zu lesen imstande sein werde, wenn die Zeit es zulässt. Ich war, bevor ich mit der Musik durchstartete, Comic-Szenarist, war aber viele Jahre zu früh dran, als Deutschland wirklich noch ein Entwicklungsland in Sachen Neunte Kunst war. Doch die Leidenschaft ist geblieben, auch wenn die berufliche und berufene Laufbahn dann eine andere wurde.
Können Sie eigentlich selbst gut zeichnen?
Überhaupt gar nicht! Ich bin richtig schlecht darin und bin sehr froh, dass ich für die zeichnerische Seite immer so tolle Mitstreiter finde.
13 Studioalben in 20 Jahren Bandgeschichte sind eine Menge Holz, dazu kommen zahlreiche Comics, Bücher und Bilderbücher wie die „Zwielichtgeschichten". Woher nehmen Sie die Inspiration für diesen kreativen Output?
Es ist ein Geschenk. Ich bin demütigst dankbar, dass mich immer so viele Ideen umschwirren, die ich dann pflücken darf.
Trotz sehr guter Produktion, eingängiger Melodien und einiger guter Platzierungen in den deutschen Charts ist der ganz große kommerzielle Erfolg bislang ausgeblieben. Macht Ihnen das etwas aus?
Jein. Wissen Sie, das mag nun etwas abgedroschen klingen, aber ich möchte lieber die Musik machen, die mir aus der Seele spricht und die ich in mir spüre, nicht die, die mich zum größtmöglichen wirtschaftlichen Erfolg führt. Mir ist total bewusst, dass ich, wenn man die Songs als Maßstab nimmt, die uns täglich im Radio bedudeln, natürlich totale Nischen-Musik produziere. Ich schreibe keine eingängigen Melodien, um die Lieder gefälliger zu machen, sondern weil das die Art ist, wie ich eben Songs schreibe. Die Charts sind, obwohl das immer noch nicht bei allen angekommen ist, keine wirkliche Messlatte mehr für tatsächlichen Erfolg. Auf der einen Seite kommen heute sehr viele Indie-Bands in die Charts, weil der Markt insgesamt komplett am Boden ist, die Indie-Bands aber meist auf eine sehr treue Fanbase vertrauen können, was sich natürlich in den Charts positiv bemerkbar macht. Das war bei uns genauso. Mittlerweile verkaufen wir einen enorm großen Teil der Tonträger über unseren eigenen Fan-shop. Das ist einfach näher dran an unseren Hörern, und sie fühlen sich scheinbar gut bei uns aufgehoben, weil sie uns auf diesem Wege ein bisschen mehr unterstützen können. Aber für die Chartposition ist das freilich Gift, denn wir sind nicht an das System angeschlossen, und so zählen die Verkäufe nicht mit in die Wertung. Sonst wären wir immer unter den Top 5. Aber es ist uns viel wichtiger, dass wir ein unabhängiges Vertriebssystem etabliert haben, das eben nicht von den Marktriesen abhängig ist.
Doch zurück zum Thema. Der große kommerzielle Erfolg ist uns verwehrt geblieben, weil wir unsere Musik nicht an den Markt anpassen. Zudem machen wir Musik, die man schlecht nebenher konsumieren kann, was schon 95 Prozent der Musikhörer abschreckt. Zudem sind wir den Gothics nicht gothic genug – zu Recht, wir sind ja auch keine Goth-Band –, wir sind viel zu stark vom Metal beeinflusst. Den Metallern wiederum sind wir aber wieder nicht metallisch genug und so weiter und so fort.
In einem Interview meinten Sie einst, dass man Leute, die gruselig aussehen, häufig unter Generalverdacht stellt, Bösewichte zu sein. Wer sind aus Ihrer Sicht die Bösewichte heutzutage und wie kann man sie erkennen?
Man erkennt sie daran, dass sie so unauffällig wirken. Sie tragen gerne Maßanzüge, sitzen in den Chefetagen oder stehen an Rednerpulten und hetzen gegen Minderheiten.
Sie wurden in der Nähe von Stuttgart geboren und gründeten Ihre Band in Frankfurt. Nun wohnen Sie im Saarland. Was verschlug Sie dorthin?
Da kam vieles zusammen. Das hat auch was damit zu tun, dass ich als „Workhorse" nie in den Urlaub fahre und schauen muss, dass ich jeden Tag ein bisschen schöne Natur abkriege, um mein Hirn zu entspannen.
Davon gibt es im Saarland eine erfreulich große Menge. Ich gebe aber auch zu, dass ich mir das Wohnen im völlig überteuerten Rhein-Main-Gebiet nicht mehr leisten wollte. Ich habe irgendwann nur noch für die Lebenshaltungskosten geschuftet. Als Musiker muss man schauen, dass diese einen nicht auffressen, wenn man kein üppiges Erbe zu erwarten hat. (lacht)
20 Jahre ASP. Was bringen die nächsten 20 Jahre?
Hoffentlich noch viele schöne Geschichten.