Die Hanse diente einst dazu, sich gegen die Dänen zu schützen. Heute ist ein Däne Bürgermeister einer Hansestadt. Claus Ruhe Madsen will nun im Rathaus von Rostock ein „Büro für Menschenfreundlichkeit" einrichten.
Herr Madsen, Sie stehen nicht nur als neuer Oberbürgermeister von Rostock im Mittelpunkt des Interesses, sondern vor allem als erster „Ausländer" in diesem Amt. Wie gehen Sie damit um?
Die Aufmerksamkeit der Medien, insbesondere der dänischen, war und ist natürlich riesig, was aber auch gut für Rostock ist. Ausgerechnet das kleine Dänemark stellt den ersten ausländischen Bürgermeister. Ich bin mit viel Elan ins Amt gekommen, wollte die Welt umkrempeln. Gott sei Dank habe ich nicht alles umgesetzt. Ich musste mir Zeit nehmen, erst mal alles kennenzulernen, sonst wären mir aus heutiger Sicht einige Fehler passiert, die ich sicher bereut hätte.
Sie sind als Parteiloser angetreten. Ist das eher ein Vor- oder ein Nachteil?
Manchmal wünsche ich mir, eine Fraktion als Rückhalt zu haben. Andererseits muss ich nichts vertreten, wozu ich nicht hundertprozentig stehe. Ich wurde gewählt, weil ich mein Ding ohne Parteibuch durchgezogen habe. Quasi in der Minderheit muss ich die Menschen immer wieder für meine Ideen begeistern. Aber auch Brücken bauen, die Parteien zusammenführen, die in der Bürgerschaft sitzen.
Ein Wahlkampfthema war die Modernisierung der Verwaltung. Sie wollten ja auch allen 2.300 Mitarbeitenden persönlich die Hand schütteln. Wie weit sind Sie damit bislang gekommen?
Schwer zu sagen. Ich war ja schon in sehr, sehr vielen Ämtern. Bei einer Gesamtpersonalversammlung habe ich mich an die Tür gestellt und es geschafft, fast 1.200 Hände zu schütteln. Auch bei Sitzungen gehe ich immer durch die Reihen, komme so auch mit den Menschen ins Gespräch. Eine gute Kommunikation finde ich überhaupt ganz wichtig.
Das macht aber noch keine moderne Verwaltung, oder?
Bisher wurde das Rathaus sehr stark linear geführt, das verursachte hohe Reibungsverluste. Ich möchte jeden so motivieren und bestärken, dass er oder sie auch gerne Verantwortung übernimmt. Da ist viel Raum für Ideen und Visionen, ein großes Potenzial, mit dem wir arbeiten können, um neue Strategien zu entwickeln. Und diese müssen den Bürgern so verständlich vermittelt werden, dass sie sich ernst genommen und mitgenommen fühlen.
Als Däne sind Sie es gewohnt, zu duzen …
Je häufiger mich die Leute sehen, umso normaler wird das „Claus" als Ansprache, das ist gut so, dauert aber etwas. Wenn jemand gesiezt werden möchte, mache ich das, auch wenn ich dann denke, oje, jetzt kann ich gleich die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen … Wir werden sehen, vielleicht sitzen wir in sieben Jahren alle im großen Gemeinschaftsbüro, trinken Kaffee, arbeiten supereffektiv und duzen uns.
Sie sehen sich wirklich in einem Großraumbüro?
Ja, nicht in kleinen Zimmern nebeneinander, in großen Räumen miteinander. Gleich nebenan entsteht ein digitales Informationszentrum, wo alle wichtigen Daten aus der Stadt zusammenlaufen und abrufbar sind. Wir teilen uns mit der Universität Rostock eine Mitarbeiterstelle, um so Informationen schnell auszutauschen. In mein Büro kommt ein großes Stehpult. Dann gibt es nur noch Termine bis 30 Minuten. Wer sein Anliegen in dieser Zeit nicht darlegen kann, ist gerne eingeladen, ein Buch zu schreiben …
Sie möchten Rostock hyggelig machen, also schön gemütlich und klein, aber fein …
Rostock soll menschenfreundlicher werden, in vielen Bereichen ist die Stadt es noch nicht. Wir werden im Rathaus ein Büro für Menschenfreundlichkeit einrichten. Da sitzen dann die Beauftragten für Gleichstellung, Behinderung und Integration alle an einem Tisch zusammen.
Sie wollen auch Radschnellwege bauen. Ein Entwurf der Verwaltung sah 33 Jahre Bauzeit vor …
Daraus wurden schnell zehn Jahre, aber ich sagte, lasst uns das auf vier verkürzen. Ich bin für sieben Jahre gewählt, in der Zeit sollte das zu schaffen sein. Auch hier muss Verwaltung moderner, effektiver werden: zusammenrücken, gemeinsam planen. Jeder trägt ein Stück dazu bei, alles greift ineinander.
Haben Sie bei den Radwegen Kopenhagen als Vorbild?
Die Stadt ist die fahrradfreundlichste der Welt, will bis 2025 CO2-neutral sein. Das ist mutig und weitsichtig. Bei uns wird immer zu viel und zu lange diskutiert, statt Visionen zu entwerfen und Strategien zu entwickeln. Ich stelle mir einen regionalen Verbund als Impulsgeber vor, so was wie „Next Door to Kopenhagen", und wir mittendrin zwischen Berlin, Stettin, Kopenhagen und Hamburg.
Apropos Vision. Ganz Mutige sehen den Flughafen Rostock-Laage schon als Weltraumbahnhof.
Warum nicht? Die Infrastruktur ist da, es gibt einen Investor mit spannenden Modellprojekten, auch Forscher aus den USA waren schon dort. Aber realistischer ist, sich dem Meer, der Ostsee zuzuwenden.
Gibt es schon konkrete Projekte?
Zusammen mit dem Fraunhofer Institut, der Universität Rostock und verschiedenen Unternehmen werden wir ein Ocean Technology Center im Hafenbereich aufbauen, das zu Unterwasserrobotik forscht und arbeitet. Einsatzgebiete wären Bau und Wartung von Windkraftanlagen, der Kampf gegen Umweltverschmutzung, alternative Ernährung aus dem Meer. Es gibt viele Zukunftsfelder, in denen wir uns profilieren könnten.
Es gab auch eine Anfrage aus Odense, gemeinsam eine Modellregion für Robotertechnik zu entwickeln.
Dort arbeiten 120 weltbekannte Robotik-Firmen, unterstützt von der Stadt. Davon sind wir noch weit entfernt. Wenn es uns aber gelänge, von überallher Leute zum Thema Unterwasserautomatisierung und Robotik zusammenzubringen, dann wäre das großartig. Dafür würde ich gerne ein grünes, nachhaltiges Gewerbegebiet entwickeln, nur für Firmen, die sich diesen Themen widmen.
2020 ist ja auch das „Deutsch-dänische kulturelle Freundschaftsjahr".
Gerne wäre ich zur Auftaktveranstaltung gegangen, um die Königin zu treffen, hat nicht geklappt. Gut entwickelt hat sich in den vergangenen Jahren die Städtepartnerschaft zwischen der Hansestadt Rostock und der dänischen Kommune Guldborgsund. Die Hanse wurde übrigens einst gegründet, um sich gegen die Dänen zu schützen. Ich denke, heute ist es cleverer, Brücken nach Skandinavien zu bauen. Deshalb ist Dänemark in diesem Jahr Gastland auf der Hanse Sail. Und nein, es hat wirklich nichts mit meiner Wahl zu tun!
Eine Frage, die Politikerinnen gern gestellt wird: Wie kriegen Sie Job und Familie unter einen Hut?
Mit der Frage würde man in Dänemark Ärger bekommen … Es ist schwierig. Jeden Morgen mache ich für meine Tochter die Pausenbrote, frage, wie es in der Schule läuft. Ich bin ja auch ihr Handballtrainer, schaffe zwar nicht jedes Training, versuche aber, bei jedem Spiel dabei zu sein. Seit drei Jahren organisiere ich die Hanse-Tour Sonnenschein, die Spenden für krebskranke Kinder sammelt. Leider kann ich nicht mehr so ungestört mit meiner Familie durch die Stadt laufen, daran muss ich mich noch gewöhnen.