Nicole ist die erste deutsche Sängerin, die den Eurovision Song Contest gewann. Im Laufe ihrer Karriere hat die Saarländerin rund 30 Alben und 100 Singles veröffentlicht. Nicole erzählt über ihr aktuelles Album „50 ist das neue 25" und einen magischen Moment in ihrer Karriere.
Nicole, Sie wurden 1980 als 15-Jährige auf einem Liederfestival von dem Musikproduzenten Robert Jung entdeckt. Wie übersteht man vier Jahrzehnte im Musikgeschäft, das oft als Haifischbecken bezeichnet wird?
Indem man nicht alles mit sich machen lässt. Ich lasse mich nicht verbiegen. Es fing schon an mit der Namensgebung. Mein Künstlername sollte eigentlich Claudia Jung sein. (lacht) Ich heiße aber Nicole und fange eine Karriere nicht schon mit einer Lüge an. Da habe ich mit meinen 15 Jahren schon drauf gepocht. Zwei Jahre später kam eine neue Künstlerin, Ute Singer, und die nannte sich dann Claudia Jung. Die haben das Pseudonym einfach an sie weitergegeben.
Sie haben die von Dieter Thomas Heck moderierte „Hitparade" 17 Mal gewonnen. Wie fühlt sich das an?
In Berlin wurden die smago! Awards verliehen. Als Überraschung bekam ich einen Nummer-eins-smago! Darauf steht: „Nicole – die Königin der ZDF-Hitparade. Erfolgreichste Künstlerin der ZDF-Hitparade aller Zeiten". Da fühlte ich mich schon sehr geehrt. Die Berliner Union-Film war für mich die Heimat – wie es Wimbledon für Boris Becker war.
Wie schafften Sie es aus dem eher kleinen Saarland ins große Musikgeschäft?
Ich hatte meinen ersten öffentlichen Auftritt mit vier Jahren beim Tag der offenen Tür in St. Wendel in der Kaserne. Ich sang „Ein Student aus Uppsala", und die Leute haben mir applaudiert. Das gefiel mir. Später bekam ich Akkordeon- und Gitarrenunterricht und trat auf den verschiedensten Bühnen auf. Mein erster Gewinn bei einem Talentwettbewerb war ein tragbarer Schwarzweißfernseher. Auf Schloss Hornberg in Schwäbisch-Hall lernte ich schließlich den Produzenten Robert Jung kennen. Man hatte mir verboten, dort aufzutreten, aber eine Freundin meines Großvaters sagte nach dem dritten Glas Weißwein: „Jetzt sind wir so weit gefahren, jetzt singst du für uns am Tisch!" Also schwang ich mich auf den Bierbanktisch und fing an, Lagerfeuer-Songs zu singen. Daraufhin setzte der Musikproduzent Robert Jung sich zu uns und meinte, wir sollten etwas zusammen machen. In der Schublade habe er das Lied „Flieg nicht so hoch, mein kleiner Freund", für das es nur eine Sängerin gäbe. Und das sei ich. Er hatte recht. Das war der Anfang.
Zeitsprung: Ihr aktuelles Album „50 ist das neue 25" haben Sie zusammen mit Heinz Rudolf Kunze erarbeitet. Ist Kunze ein Frauenversteher?
Er ist ein Allesversteher und ein Wortakrobat vor dem Herrn. Man kennt die Worte, aber sie sind nicht abgenutzt. Ich singe keine Blabla-Texte. „50 ist das neue 25" gilt übrigens auch für Männer. Die sind ja heute auch viel agiler. Als ich 25 war, dachte ich, wenn man 50 wird, ist die Hälfte des Lebens wohl schon rum. Eben nicht! Ich nehme allen Frauen und Männern die Angst vor der magischen Zahl 50. Ich habe mich selten so gut gefühlt wie jetzt. Ich bin auch schon zweifache Oma, Mara ist acht und Lilly vier.
Fänden Sie es schön, wenn Ihre Enkeltöchter einmal in Ihre Fußstapfen treten würden?
Im Moment sehe ich das nicht. Aber die Kleine rennt die ganze Zeit durchs Haus und singt „50 ist das neue 25". Wenn ich am 13. März in Kusel und am 14. in Saarlouis auftrete, sind sie natürlich mit dabei. Im Herbst würde ich gern noch ein paar Jubiläumskonzerte spielen. Am besten 13, weil das meine Glückszahl ist.
Ein Song auf dem neuen Album heißt „Gerne am Leben". Ist das Ihr persönliches Motto?
Dieses Lied steht bewusst am Schluss. Darin schaue ich auf mein bisheriges Leben zurück. Es war manchmal nicht einfach. Nach dem Grand Prix 1982 bin ich durch die ganze Welt geschubst worden. Ich ging ja damals noch zur Schule. Oft lag ich abends im Hotelzimmer, ohne zu wissen, wo ich gerade war. Aber unterm Strich war alles gut.
Nach Ihrem Sieg beim Eurovision Song Contest 1982 waren Sie in Israel. Was haben Sie dort erlebt?
Die Sensation war, dass ich beim Grand Prix in Harrogate als deutsches Mädchen aus Israel zwölf Punkte bekam. In dem Moment schien der Raum zu explodieren. Daraufhin wurde ich von der israelischen Regierung nach Tel Aviv eingeladen, um in einer Kaserne „A Little Peace" zu singen. Das war ein Ritterschlag. Die Soldatinnen und Soldaten waren alle in meinem Alter. Sie setzten sich mit ihren Maschinengewehren mir gegenüber. Hunderte. Und dann sang ich „A Little Peace". Für diese drei Minuten stand für mich die Erde still. Alle legten ihre Waffen nieder, hielten sich an den Händen und hörten mir andächtig zu. Wir waren plötzlich eins. Danach herrschte Totenstille – und dann ging der Applaus los. Dieses Bild habe ich heute immer noch vor Augen.
Hat dieses besondere Lied, das Sie am Anfang Ihrer Karriere gesungen haben, heute noch Gültigkeit?
Es hat bis heute nichts an Wert verloren. Es ist ein Jahrhundertlied, weil der Wunsch nach Frieden bleibt. Diese tiefe Botschaft macht die Tragweite des Liedes aus. Selbst wenn wir alle tot sind, werden die Menschen sich immer noch nach Frieden sehnen. Es muss doch möglich sein, friedlich miteinander zu leben. Wenn ich heute „Ein bisschen Frieden" singe, fassen die Leute sich gegenseitig an die Hand. Da steht ein Rocker neben einer Oma. Ich singe es immer, als sei es das erste Mal. Voller Inbrunst. Wenn es vorbei ist, bekomme ich manchmal immer noch Pipi in die Augen. Dass man Menschen zu solch einer Reaktion bringen kann, ist für mich ganz großes Kino.
Wie stark muss man sein, um nicht an diesem öffentlichen Beruf zu zerbrechen?
Man muss dafür geboren sein. Man darf nie verlernen, durch das Scheinwerferlicht hindurchzuschauen. Denn diese Branche ist stellenweise sehr oberflächlich. Man darf nicht alles glauben und muss auf seinen eigenen Instinkt vertrauen. Roy Black ist das beste Beispiel dafür, wie man an dieser Branche regelrecht zerbrechen kann.
Wie war Roy Black?
Er war ein sehr charmanter und höflicher Mensch. Genau wie Rex Gildo. Er half den Frauen aus dem Mantel und hielt ihnen die Tür auf. Alte Schule eben. Wir haben uns sehr gemocht.
Auf dem neuen Album heißt es „Goodbye Hollywood, ich werde immer eine Fremde für dich sein". Meiden Sie das Rampenlicht?
Hollywood ist die Stadt der Oberflächlichkeit. Sie lassen dich hochleben und dann wieder fallen wie eine faule Tomate. Die Ferne hat mich nie gelockt. Ich bleibe lieber meiner Familie und meinen Freunden in der Heimat treu. Auf die kann ich mich verlassen. Ich brauche keinen roten Teppich, ich schleiche mich lieber durch die Küche rein.
Was schätzen Sie an der saarländischen Mentalität?
Die Offenheit und Hilfsbereitschaft. Nachbarschaftshilfe wird hier sehr großgeschrieben. Jeder hat einen Schwenkapparat hinterm Haus, auf den man marinierte Fleischstückchen legt. Und der Nachbar kommt dann rüber mit einer Flasche Bier und einem Würstchen. Saarländer haben ein bisschen das Savoir-vivre. Ich bin in Saarbrücken geboren. Als ich ein Jahr alt war, sind wir in den Geburtsort meiner Mutter gezogen, nahe am Bostalsee. Dort bin ich bis heute geblieben. Ich bin die Frau ohne Skandale und fast schon zu langweilig für die Presse. Aber ich verkaufe meine Seele nicht.
Genießen Sie es, in zwei Welten zu leben?
Wenn man mit Dreifach-Awards für die „Erfolgreichste aller Zeiten" ausgezeichnet wird, ist man natürlich auch stolz. Das ist ja eine Anerkennung vom Publikum. In dem Moment schwebt man über der Erde. Aber dann ist es auch wieder gut.