Hakan Nesser ist Schwedens bekanntester Krimischriftsteller. Sein neuestes Buch „Der Verein der Linkshänder" ist gerade auf Deutsch erschienen. Im Interview spricht der Autor, der am 21. Februar seinen 70. Geburtstag feiert, über seine Arbeit, das Leben im Ausland und die Deutsch-Schwedische Beziehung.
Herr Nesser, Sie arbeiten schon lange als Schriftsteller. Verändert das Schreiben den Menschen?
Natürlich, denn wenn man Gedanken in Worte fasst, werden sie deutlicher. Normalerweise sind die Gedanken ein bisschen wie eine Wolke ohne Anfang oder Ende. Wen man sie dann zu Papier bringt, werden sie klarer.
Man bezeichnet Sie oft als den Philosophen unter den schwedischen Krimischriftstellern. Sehen Sie sich auch so?
Ich bin an Philosophie interessiert, an den wichtigen Fragen des Lebens: Warum sind wir hier? Gibt es einen Gott? Warum machen wir schlechte Dinge, obwohl wir das gar nicht wollen? Darüber schreibe ich ja auch. Es gibt durchaus Kollegen, die auf die gleiche Art schreiben wie ich. Dann gibt es aber auch die einfachen Krimis, bei denen es nur um die Auflösung eines Rätsels geht – jemand ist tot, wer war der Mörder? Ein guter Kriminalschriftsteller muss aber einen guten Roman schreiben und zusätzlich noch so viel Spannung schaffen, dass der Leser immer weiter lesen will. So gesehen ist es vielleicht schwerer einen sehr guten Krimi zu schreiben als einen normalen Roman.
Sie sind ein sehr politischer Mensch, trotzdem sucht man in ihren Büchern die für viele schwedische Krimiautoren typische Sozialkritik vergeblich. Warum eigentlich?
Ich mach das im Kleinen schon auch, aber wesentlich weniger als viele andere Krimiautoren. Und ich schätze sie dafür, dass sie es tun. Für mich sind einfach die kleinen Geschichten spannender, in denen Leute wie Sie und ich – gute Leute – ein Verbrechen begehen. Warum machen wir das? Über solche Themen kann ich gut schreiben. In sozialkritischen Büchern, die das große Ganze erklären, wie das Henning Mankell oder Stieg Larsson taten, da würde ich mich verlieren. Natürlich hast du eine Verantwortung für das, was du schreibst. Gleichzeitig bin ich aber auch kein Lehrer mehr. Ich muss nicht mehr didaktisch sein und meinen Lesern sagen, was sie tun sollen oder nicht.
Warum haben Sie eigentlich aufgehört, als Lehrer zu arbeiten?
Ich war glücklich als Lehrer. Das Problem ist nur, dass du so enorm viel Kraft brauchst. Wenn du von, sagen wir, 25 bis 65 arbeitest, dann hast du die ersten 20 Jahre einfach mehr Energie. Ich habe aufgehört als ich 48 war, damals wurde mir klar, dass ich im Laufe der Jahre viel Kraft verbraucht hatte. Hätte ich weitergemacht, hätte ich einen ganz anderen Zugang zu meiner Arbeit finden müssen.
Haben Sie ein Lieblingsbuch unter Ihren Romanen?
Sie sind alle unterschiedlich. Einige sind leicht zu lesen, andere sind kompliziert. Sie sind alle unterschiedlich und ich habe keinen Liebling. Meine Frau hat aber ein Lieblingsbuch und sie sagt mir immer wieder: Wenn du gefragt wirst was dein Lieblingsbuch ist, dann sagst du „Die Schatten und der Regen." In gewisser Weise stimme ich ihr zu. Herz und Kopf sind gleichermaßen vertreten in dem Buch. Vielleicht hat sie ja doch recht.
Fällt Ihnen das Schreiben immer leicht?
Ich habe schon auch mal eine Schreibblockade – das hat wohl jeder Schriftsteller. Dann braucht man eine Strategie, um darüber hinwegzukommen, man muss trotzdem schreiben. Wenn du was schreibst und du am nächsten Tag denkst „das ist nicht gut", dann kannst du es ja beiseitelegen und immer noch später ändern. Und wenn du es dann vier Monate später liest, dann stellst du vielleicht fest, „oh, es ist ziemlich gut". Während man schreibt, ist man ein bisschen blind. Erst wenn man den Text mit zeitlichem Abstand liest, kann man die Qualität wirklich beurteilen – dann ist man nämlich nicht mehr Schriftsteller, sondern Leser.
Ein Teil ihrer Bücher spielt in Fantasieorten. Ist es denn wichtig für Ihre Romane, wo sie spielen?
Es hängt davon ab, welche Geschichte man erzählen will. Für mein Buch „11 Tage in Berlin" ist Berlin als Ort der Handlung natürlich entscheidend.
Meine Frau und ich leben jetzt wieder in Schweden, haben aber auch lange im Ausland gelebt, in London, New York, an der Westküste von England. Wir sind oft umgezogen und ein Grund dafür war auch, Schauplätze für meine Bücher zu finden. New York ist eine so bemerkenswerte Stadt. Dort kann man wirklich jede Art von Geschichte schreiben. Der Ort der Handlung ist wichtig, aber noch wichtiger ist es, eine gute Geschichte zu haben. Dann musst du wissen wie du sie erzählen kannst, du brauchst handelnde Personen… und dann natürlich auch Schauplätze. Selbst wenn es ein fiktiver Ort ist, kann es für die Handlung zum Beispiel wichtig sein, ob er am Meer oder in den Bergen liegt.
Apropos „Ort der Handlung". Sie sind der berühmteste auf Gotland lebende Schriftsteller. Jeder erwartet von Ihnen, dass Sie auch einmal eines Ihrer Bücher auf der Insel spielen lassen. Das haben Sie bisher noch nicht getan.
Einer der Gründe, der mich davon abhält, sind genau diese Erwartungen (lacht). Man muss aber auch warten können bis man eine Geschichte hat. Alle wollten ein neues Buch mit Kommissar Van Veeteren und Inspektor Barbarotti. Trotzdem hat es fünf Jahre gedauert, bis jetzt mein neues Buch „Der Verein der Linkshänder" erschienen ist. Aber ein Buch mit Gotland als Schauplatz kommt und das schon 2020. Ich lasse Barbarotti auf Gotland ermitteln, und zwar im Norden der Insel, da wo ich wohne.
Warum sind Sie überhaupt nach Gotland zurückgekehrt?
Meine Frau ist Ärztin und als solche unabhängig und als 2006 die Kinder ausgeflogen waren, dachten wir, es sei eine gute Zeit, zu gehen. Wir haben schnell Geschmack daran gefunden, außerhalb von Schweden zu leben. Wenn du hier lebst, dann bekommst du manchmal das Gefühl, als wären wir das Zentrum der Welt und das sind wir nicht – nicht einmal Deutschland ist das Zentrum der Welt (lacht). Deswegen war es gut, Schweden einmal von außen zu betrachten. Wir lebten fast sieben Jahre im Ausland, aber es war immer der Plan zurückzukommen. Unser Haus auf Gotland sollte eigentlich unser Sommerhaus sein, aber jetzt ist es eine Farm mit Pferden, Hunden, Hennen, Enten und was es sonst noch so gibt. Das ist jetzt mein Ort, mein Lebensmittelpunkt.
Was ist der größte Unterschied zwischen Schweden und den anderen Ländern, in denen Sie gelebt haben?
New York ist New York. Das einzige Problem an New York ist, dass es in den Vereinigten Staaten liegt. Ich liebe New York (bricht ab und überlegt) … aber der Rest des Landes mit Herrn Trump, es passieren so viel sonderbare Dinge in den USA (bricht wieder ab und überlegt) … aber in New York, da trifft man offene und freundliche Leute. Das Besondere an New York ist, dass man da einander hilft. Wenn du da beispielsweise jemand fragst, ob er jemand kennt, bei dem du zwei Wochen wohnen kannst, dann ist die Antwort meist, ich kenne jemand, der kennt jemand, der jemand kennt … und diese Person ruft dich dann auch wirklich an. England ist ganz anders. Um es mal ganz offen zu sagen: Viele Briten sind zu sehr von sich überzeugt. Dieser Brexit-Fehler ist so typisch für sie. Da ist Nebel im Kanal und der Kontinent scheint ihnen weit weg. Sie denken immer noch, sie seien das Zentrum der Welt.
Und Deutschland und Schweden?
Deutsche und Schweden stehen sich nahe, die Menschen sind in ihrer Mentalität ähnlich. Ihr seid auch die besten Leser der Welt. Deutsche Kinder lesen mindestens so viele Bücher von Astrid Lindgren wie unsere Kinder. So seid ihr von frühester Jugend an in gewisser Weise mit Schweden aufgewachsen. Es ist ja bekannt, dass die Deutschen Schweden sehr gerne mögen – wir haben die Seen und den Platz, der bei euch fehlt. Meine ersten zehn Bücher, die in Deutschland erschienen, hatten immer ein rotes Holzhäuschen mit weißem Fensterrahmen auf dem Cover, vermutlich um dem Schwedenbild und dem Genre „Schwedenkrimi" zu entsprechen.