Patrik H. Feltes ist verrückt nach Mundart. Der Bücher sammler und Autor engagiert sich in besonderer Weise für die saarländischen Mundarten und ist unter anderem einer der Initiatoren einer Veranstaltungsreihe zur Muttersprache.
Was soll aus dem Jungen bloß werden? Oder: irgendwas mit Büchern." Diese Frage nach der Berufswahl hat Patrick H. Feltes, genannt Veltz, mit Heinrich Böll gemeinsam. Aber nicht nur der autobiografische Buchtitel von Heinrich Böll´s Roman trifft auf Patrik H. Feltes zu, der die Frage, was aus ihm bloß werden soll, bis heute für sich nicht abschließend beantworten kann. In dem Buch von Heinrich Böll ist die Rede von seinem Besuch einer Lesung des saarländischen Schriftstellers Johannes Kirschweng im Dudweiler der 30er-Jahre. Kirschweng wiederum hatte großen Einfluss auf das literarische Interesse und den Werdegang des jungen Veltz. Die Entdeckung der Böllschen Reise in das Saarland im Roman beschrieb der damals 21-jährige Patrik H. Feltes in einem Beitrag für die „Saarheimat" – sein erster Artikel für eine Zeitschrift.
Irgendwas mit Büchern. Aber für Feltes muss es schon das besondere Buch sein und/oder die besondere Sprache. Also nicht nur der Inhalt ist wichtig, sondern auch oder vor allem die Form.
Betritt man seine Wohnung in Saarbrücken, so ist seine Lebensform sofort erkennbar: Bücher. Kein Stück Wand ist im Wohn- und Arbeitsraum zu sehen. Im Elternhaus gibt es ein weiteres Zimmer für seine gut 6.000 Bücher. Feltes fährt kein Auto, er nutzt den öffentlichen Personennahverkehr. Den Zeitpunkt, an dem andere Jungen den Führerschein machen, habe er verpasst, da er für sein damaliges knappes Salär lieber Bücher gekauft habe. Den Gedanken, dies nachzuholen, gäbe es zwar bei ihm, aber dann habe er immer noch kein Auto, welches er sich wahrscheinlich auch nie anschaffen werde. Außerdem sei es wie mit „der Henne und dem Ei". Zur Steigerung der Attraktivität des ÖPNV brauche es Nutzer, und er ist einer davon. Das hat für ihn auch Vorteile. Die Fahrtzeiten kann Feltes gut nutzen. Für seine eigenen Texte und Gedichte, oft in Mundart, und seine vielen Projekte, welche sich mit der Förderung der Mundart als Muttersprache, mit literarischen, kulturellen, historischen, religiösen, kunstgeschichtlichen und künstlerischen Themen befassen.
Oft bringt er diese in einer neuen, in einer in Beziehung setzenden Form der unterschiedlichen Sparten, dann als kreatives Ergebnis hervor. Beispielsweise der Dreidel Bastelbogen. Das Dreidel-Spiel anlässlich des jüdischen Chanukka-Festes bringt Feltes als „SaarbriggaDreidel" und „SaarlouiaDreidel" zum selbst Basteln heraus. Dabei stellt er ein berühmtes Dreydel-Lied in Jiddisch, selbst umgedichtet in Mosel- und Rheinfränkisch vor und verbindet so die Saar-Region mit dem jüdischen Brauchtum.
Alle seine Projekte, die er beschreibt, sind komplex. Man fühlt sich irgendwie an den Zauberlehrling erinnert, der die Geister rief. Nur sind diese bei ihm nicht mit Besen und Wasser zugange, sondern mit Geschichten und Bildern. Sie wirbeln um ihn und fordern ihn heraus. Er „verzettele sich oft". Das sei aber nicht negativ. Die „Zettel" oder vielmehr die Notizbücher sind Bestandteil seines kreativen Vorgangs. Ist der „Zettel", also die Ideensammlung und Recherche zu einem seiner Vorhaben, dann in die Tat umgesetzt, wird er abgelegt.
Patrik H. Feltes wurde 1962 in Wadgassen geboren und ist dort aufgewachsen. Seit 2014 arbeitet er auch in Wadgassen für Wirtschaftsförderung, Kultur und Heimatpflege der Gemeinde.
Berühmtes Dreydel-Lied auf Moselfränkisch
Nach der Realschule und darauf folgendem Abitur studierte er Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Germanistik in Saarbrücken und London. Seit Langem schon beschäftigt er sich mit der Geschichte und Kultur des Saar-Lothringischen Raumes. Immer wieder ist er als Correspondant Culturel für Tageszeitungen und Zeitschriften der Großregion tätig.
Seine Faszination für das besondere Buch ist seit 2005 als fester Bestandteil der Europäischen Kinder- und Jugendbuchmesse in Saarbrücken zu sehen. Nach anfänglicher Ausstellung von österreichischen Kinder- und Jugendbüchern tat sich dem Buchbegeisterten ein neues Feld auf: Pop-up-Bücher. Die bildgewaltigen Bücher, in denen sowohl Dreidimensionalitität als auch eine Form der Bewegung mit Papier erreicht wird, weckten seine Sammelleidenschaft. Aber wie mit allen Dingen geht er ihnen auf den Grund und gibt ihnen Eigenes hinzu, angetrieben und motiviert von den begeisterten Kindern, die mit großen Augen die filigranen Papierwerke erkunden. Selbst bei den „coolsten" Jungs, deren Interessen alles andere als Bücher sind, erreicht Feltes, dass das Buch auf einmal auch „ziemlich cool" ist.
Er bietet zur Ausstellung der Pop-up-Bücher einen Workshop zum Selberherstellen an. Sozusagen als Nebenprodukt seiner eigenen Neugierde. Hierzu ist er in Austausch mit zwei amerikanischen Papieringenieuren und einer Ingenieurin in Deutschland. Feltes demonstriert so die aufwendige Herstellung der Pop-ups auf der Buchmesse, und begeisterte Kinder und Erwachsene machen mit.
Seine Bibliophilie ist nicht gerade familiär begründet. Bücher waren da nicht allzu sehr präsent, erzählt Feltes. Eher waren es die Rolltreppen im damaligen Völklinger Kaufhof, der auf dem Schulweg lag und die Kinder auf der einen Seite hoch, auf der anderen wieder herunterfuhren. Dazwischen lag die Buchabteilung.
Seine eigenen Texte und Gedichte entstehen zumeist im Zusammenhang mit Bildern. Seine Inspiration gibt er oft dem Rezipienten als Foto in seinen kleinen Buchbänden mit. Er selbst bezeichnet seine Arbeitsweise als assoziatives Voranschreiten. Er sieht einen Ausschnitt des Alltäglichen oder ein Detail an einem besonderen Ort, welches bei ihm eine, dann folgend, weitere Assoziationen weckt. Diese Assoziationen fasst er in Worte, eine poetische Beschreibung des Sichtbaren, des Unscheinbaren und seiner Empfindungen. Eine Art Ausformulierung seines persönlichen Zugangs zur Lebenswelt und das Geprägtwerden des Blicks durch Alltag und Lebenswelt.
Ungefähr 15 Jahre alt, begann sich Feltes für die Werke und die Person Johannes Kirschweng zu interessieren. Zum einen war Kirschweng in der ersten Jahrhunderthälfte einer der bekanntesten Schriftsteller im Saarland, noch dazu aus Wadgassen, zum anderen „dass sein Großvater mit Kirschweng Klicker gespielt hat, schaffte natürlich zu ihm einen anderen Bezug als zu Goethe" erklärt er lachend. Irgendwie ist er ihm auch dankbar, hat er doch seine eigene Leidenschaft zur Literatur in vielfältiger Weise geprägt.
Der Verein für kulturelle und geschichtliche Arbeit im Bisttal brachte in den Jahren 1972 bis 1985 eine Werkausgabe von Kirschweng mit insgesamt elf Bänden heraus. Patrik Feltes, zu dieser Zeit Messdiener, war nachdem der Pfarrer daraus vorgelesen hatte „völlig begeistert". Heute ist Feltes Vorsitzender des Vereins.
Fasziniert vom Lebensweg Kirschwengs schrieb er später einige Aufsätze über ihn. Insbesondere in seinen Beschreibungen zum Heimatbegriff bei Johannes Kirschweng war es ihm wichtig, „Klarheit in einige Aussagen von ihm" zu bringen. Das Thema „Heimat" hatte von nun an auch eine besondere Bedeutung für den Literat. Durch eine österreichische Freundin entdeckte er deren Heimat und die dortige starke Verbundenheit mit der regionalen Sprache und den offenen Zugang zu allem, was Heimat als bedeutendes und selbstverständliches Gefühl beschreibt.
„Warum ist das bei mir zu Hause nicht so?", fragt sich Patrik Feltes und suchte dieser Frage unter anderem auch durch Gespräch mit den Großeltern auf den Grund zu gehen. Im Hinblick auf den im Nationalsozialismus „vereinnahmten" Begriff „Heimat" möchte er zu neu geführten Diskussionen und Bedeutungen anstoßen. Die Sprache, insbesondere die Mundart, ist für ihn ein wichtiges Mittel dazu. So erinnert er auch mit dem bereits beschriebenen Dreidelspiel an die „plattschwetzenden" Juden im Saarland.
Neue Bedeutung für den Begriff „Heimat"
Seiner Heimat Wadgassen ist der Autor besonders verbunden. Die spannende Historie der Abtei, aber auch die regionalen Gegebenheiten wie die Glashütte, ehemals ein bedeutender Wirtschaftsfaktor im Saarland, sind für ihn Inspiration.
In seinem Buch „memento vitri abbatiæque. wadgasser bildtexte" zeigt er Historisches zur Wadgasser Cristallerie mit erklärenden Texten, Fotos und Gedichten in Hochdeutsch und Mundart. Er informiert, vermittelt aber zudem Impressionen und Emotionen zu Gegebenheiten und dem Ort, die nicht nur nostalgisch, sondern auch durchaus kritischer „Tonart" sein können. Teils charmant formuliert in Moselfränkisch.
Für Feltes ist die Mundart ganz und gar nichts Oberflächliches, oder gar nur „Klamauk". „Die Mundart ist zentrales Element der regionalen Kultur. Sie bildet die ureigenste Mentalität und Kultur ab. Selbst „komplexe, emotionale und tiefgehende Dinge lassen sich mit der Mundart ausdrücken. Manchmal zutreffender als in der Hochsprache".
Der Name seiner Internetseite „Geheichnis.de" ist hierfür ein gutes Beispiel. Wie aufwendig wäre die „Übersetzung" von „Geheischnis" in Hochdeutsch!
Teilweise inspiriert durch die Arbeit von Alfred Gulden oder auch der Filmkunst von Edgar Reitz, schreibt Veltz viele lyrische und andere Texte in der moselfränkischen Mundart des Wadgasser Raumes. Im Jahr 2019 hatte er damit beim saarländischen Mundartpreis wiederholt einen Preis für Lyrik erhalten. In 2009 und 2013 war er ebenfalls unter den Preisträgern. „Es gibt kein Saarländisch" erklärt er. „Es gibt saarländische Mundarten wie das Rhein- oder Moselfränkische. Dazwischen liegt die Das/Datt-Linie". Der sich inzwischen zum saarländischen Mundart-Experten profilierte Literaturwissenschaftler und Kunsthistoriker ist auch einer der Initiatoren der Veranstaltungsreihe „Muddaschpróóch", die erstmals im Februar 2012 anlässlich des von der Unesco ausgerufenen Welttages der Muttersprache stattfand und sich dem Erhalt der vom Aussterben bedrohten Mundarten, darunter auch das saarländische Rhein- und Moselfränkisch, gewidmet hat.
Patrik H. Feltes hat noch viel Mundartsprachliches vor: einen moselfränkischen Totentanz, den er auch selbst illustrieren möchte, Fabeln von Äsop, Übertragung von Märchen der Gebrüder Grimm und eine Sammlung mit typischen moselfränkischen Redensarten.
Seine eigene Bibliothek wächst zudem ständig. Er sei ein „Buch-Verrückter". Schuld daran habe die komparatistische Literaturwissenschaft, die ihm literarisch und auch über das Medium Buch hinaus keine Grenzen gesetzt hat. Diese sei „Fluch und Segen" zugleich, versucht er seine „Verrücktheit" entschuldigend zu erklären.
Denn neben der Sprache führt seine Leidenschaft für das besondere Buch auch zur besonderen Schrift. Resultierend aus dem Sammeln von Faksimile-Büchern als genaue Abbildungen von ältesten Schriften experimentiert er nun auch mit verschiedenen Federn und Tinten, um kalligrafische Schriften zu erstellen. Die europäische Kalligrafie sei reich an Potenzial und noch nicht ausgeschöpft. Das reize ihn.
Patrik H. Feltes ist ein ewig Neugieriger. Er ist ein Querdenker zwischen den Geisteswissenschaften. Und egal was aus Patrik H. Feltes noch werden wird – Hauptsache: irgendwas mit Büchern.