Den Füchsen Berlin ist mit der Verpflichtung des lettischen Nationalspielers Dainis Kristopans ein Transfer-Coup gelungen. Doch der Deal hat einen Haken.
Auf die meisten Menschen muss Stefan Kretzschmar herunterschauen, der Sportvorstand des Handball-Bundesligisten Füchse Berlin misst immerhin stolze 1,90 Meter. Doch an jenem 13. Februar kam sich Kretzschmar ziemlich klein vor. Neben ihm stand der 2,15-Meter-Riese Dainis Kristopans, der bei der Vorstellung mit seinem Gardemaß alle in den Schatten stellte. Ganz zu schweigen von Geschäftsführer Bob Hanning, der Mühe hatte, mit dem um mindestens zwei Köpfe größeren Letten auf ein Bild zu passen. Hanning und Kretzschmar freuten sich bei der Präsentation des Rückraumspielers wie zwei Schulkinder, die in ihrer Gang einen Jungen aus der Oberstufe begrüßten. „Es ist ein tolles Zeichen, dass wir einen solchen Weltklassespieler für Berlin gewinnen konnten", sagte Hanning, und Kretzschmar legte noch einen drauf: „Der Transfer stellt unsere Weichen und zählt sicherlich zu den spektakulärsten der Clubgeschichte."
In der Tat ist der Wechsel des 29-Jährigen Kristopans ein Coup für die Füchse. Der Hüne mit den riesigen Händen, in denen der Ball fast verschwindet, hat in der vergangenen Saison mit Vardar Skopje die Champions League gewonnen und bei der jüngsten Europameisterschaft für großes Aufsehen gesorgt. Der wurfgewaltige Lette bewies nicht nur mit sieben Toren gegen Deutschland, warum Experten ihn zu den besten Handballern der Welt zählen. Auch gegen den späteren Europameister Spanien und gegen die Niederlande war Kristopans jeweils siebenmal erfolgreich. „Kristopans zählt auf seiner Position zu den Besten der Welt", sagte Nationaltorhüter Andreas Wolff, und auch für den früheren Bundestrainer Christian Prokop ist der neue Füchse-Star „ein außergewöhnlicher Spieler", den man nie komplett ausschalten könne. Und Füchse-Coach Velimir Petkovic schwärmte: „Was Besseres kannst du nicht bekommen. Er ist einer der Besten in Europa."
Die Torgefährlichkeit, die unbändige Kraft, die der 135 Kilogramm schwere Athlet aufs Parkett bringt, die enorme Präsenz – auf all das dürfen sich nun die Füchse freuen. „Ich bin froh, das Berliner Trikot tragen zu dürfen", sagte der Linkshänder. „Die Füchse sind einer der besten Vereine der Bundesliga und ich glaube, ich kann hier weiter wachsen."
„Was Besseres kannst du nicht bekommen"
Der Haken an der Geschichte: Das Kapitel Kristopans ist für die Berliner im Sommer schon wieder beendet. Der bei allen Topclubs heiß begehrte Profi hatte schon im Januar einen bis 2023 datierten Vertrag mit exzellenten Bezügen beim französischen Spitzenklub Paris Saint-Germain unterzeichnet. Dass Berlin das „Monster", wie die norwegische Tageszeitung „Dagbladet" den Letten während der Europameisterschaft taufte, überhaupt für ein halbes Jahr verpflichten konnte, lag einzig und allein an den finanziellen Schwierigkeiten von Vardar Skopje. Die Mazedonier mussten den Rotstift ansetzen – und plötzlich war einer der besten Rückraumspieler der Welt auf dem Markt und für Berlin finanziell realisierbar. Doch ein Spaziergang waren die Verhandlungen deswegen keineswegs, die Füchse-Bosse benötigten starke Nerven und einen langen Atem. Die zehn Nächte vor der Vertragsunterschrift habe er „nicht so viel Schlaf" bekommen, scherzte Kretzschmar, „es war eine abenteuerliche Verhandlung". Vardar Skopje wollte sich den vorzeitigen Abgang seines Topspielers finanziell angemessen vergüten lassen. Schließlich hatte er den Club in der Vorsaison mit 94 Treffern zum Champions-League-Sieg geführt. Spätestens danach war Kristopans in seiner Heimat zum Volksheld aufgestiegen. Der aktuell längste Spieler der Handball-Bundesliga, der seine Nebenleute auf dem Parkett wie Jugendspieler aussehen lässt, zählt in Lettland zu den prominentesten Sportlern überhaupt.
Paris Saint-Germain griff im Winter nicht zu, freut sich aber ab Sommer auf den Handball-Riesen. „Man spricht oft über die ungewöhnliche Größe, aber Dainis Kristopans hat auch außergewöhnliche technische Fähigkeiten", sagte Clubmanager Jean-Claude Blanc. „Das macht ihn zu einem Schlüsselspieler im Kampf um Titel." Auch in Berlin soll Kristopans eine tragende Rolle übernehmen, auch wenn er im EHF-Pokal nicht spielberechtigt ist. Bei seinem Debüt im Heimspiel gegen Magdeburg deutete er seine Klasse schon an: Beim 25:24-Sieg war Kristopans bei all seinen vier Versuchen erfolgreich. Außerdem überzeugte er nach nur zwei Tagen Training mit dem Team im Mittelblock neben Jakov Gojun. Beim letzten Angriff der Magdeburger blockte er dank seiner Größe den Wurf von Michael Damgaard ab und sicherte damit die zwei Punkte. „Es war sehr aufregend, ich habe es genossen", sagte Kristopans. „Es ist ein bisschen anderer Handball, er ist kraftvoller." Und auch deutlich teamorientierter als in der lettischen Nationalmannschaft, wo fast jeder Angriff über Kristopans läuft. In Berlin muss er sich umstellen. „Er kann nicht alleine gewinnen", sagte Füchse-Trainer Petkovic, der betonte: „Er kann nicht in zwei Tagen unsere ganze Taktik lernen." Doch zu viel Eingewöhnungszeit erwartet Kretzschmar nicht beim Rückraum-Riesen: „Er ist einer, der Handball verstanden hat, der weiß, was er tut – besonders in der Abwehr. Er braucht keine Eingewöhnungszeit, um ein Spielsystem zu adaptieren."
„Es ist ein bisschen anderer Handball, er ist kraftvoller"
Schon gegen Magdeburg lag es auch am Neuzugang, dass die 9.000 Zuschauer in der ausverkauften Max-Schmeling-Halle „ein richtig geiles Handball-Spiel" zu sehen bekamen, wie Nationalspieler Paul Drux es ausdrückte. Im Kampf um die internationalen Plätze war dieser Heimsieg für die Füchse Gold wert. „Unser Blick ist auf Platz drei gerichtet, die Qualifikation zur Champions League", betonte Geschäftsführer Hanning. Kristopans soll dabei der entscheidende Faktor für die Königsklasse sein. „Er spielt in einer Kategorie, da wollen wir hin. Aber da sind wir noch nicht", sagte Kretzschmar.
Kristopans Ankunft in Berlin wurde von allen Beteiligten mit viel Freude aufgenommen, denn die personelle Situation war angesichts der Verletzungssorgen zuletzt höchst angespannt. Nationalspieler Fabian Wiede steht nach einer Schulter-Operation bis April nicht zur Verfügung, Rechtsaußen Mattias Zachrisson kann in dieser Saison ebenfalls wegen einer Schulterverletzung kein Spiel mehr bestreiten. Und Drux plagt sich seit einiger Zeit mit leichten Fußgelenksproblemen. Vor Kristopans hatten sich die Füchse deshalb auch mit dem Spanier Javier Munoz verstärkt. Der 27-Jährige kam aus der Slowakei und soll Kapitän Hans Lindberg entlasten, der trotz seiner 38 Jahre zuletzt kaum Verschnaufpausen bekommen hatte.