Zum ersten Mal seit 17 Jahren werden vom 26. Februar bis zum 1. März im Berliner Velodrom wieder Bahnrad-Weltmeisterschaften in Deutschland ausgetragen. Die Gastgeber hoffen auf gute Stimmung und viele Medaillen.
Darauf haben die Radsportfans in Berlin lange gewartet. 1999 wurde in der Hauptstadt zuletzt eine Bahn-WM ausgetragen, danach machte die Weltelite fast zwei Jahrzehnte einen großen Bogen um Berlin, vom alljährlichen Sechstagerennen einmal abgesehen. Erst vor einigen Jahren kam wieder Bewegung in die Sache. Bereits 2017 war Berlin Ausrichter der Europameisterschaften, ein Jahr später folgte ein Weltcup, im vergangenen Jahr schließlich die deutschen Meisterschaften im Rahmen der „Finals 2019". Als Höhepunkt einer ganzen Reihe internationaler Events finden nun vom 26. Februar bis 1. März die Weltmeisterschaften auf der Bahn im Velodrom statt.
17 Jahre nach der WM in Stuttgart drehen die besten Bahnradsportler der Welt damit erstmals wieder in Deutschland ihre Runden. Und während der Besucherzuspruch bei der vergangenen EM in Berlin und beim Weltcup an gleicher Stätte noch eher mäßig ausfiel, erwarten die Veranstalter dieses Mal eine gut gefüllte Halle. Rudolf Scharping rechnet als Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) sogar mit einem „rappelvollen Velodrom" an den beiden Schlusstagen.
„Die Zuschauer sind beim Bahnradsport ganz dicht am Geschehen dabei, haben im Gegensatz zu Straßenrennen immer das komplette Rennen im Blick. Faszinierend sind für mich die Geschwindigkeiten – in den Sprint-Wettbewerben geht es in der Spitze über 80 km/h schnell. In den Massenwettbewerben wie Madison und Punktefahren kommt es aber neben der Power auch auf taktisches Geschick an – hier sind komplette Rennfahrer gefordert", fasst der Chef des Organisationskomitees, Burckhard Bremer, die besondere Faszination des Bahnradsports in Worte.
„Die Zuschauer sind ganz dicht am geschehen"
Insgesamt werden an den fünf Wettkampftagen bei Frauen und Männern jeweils zehn Disziplinen ausgetragen. Für viele Fahrer bieten die Wettkämpfe in Berlin die letzte Chance, sich noch für Olympia zu qualifizieren. Der BDR als Gastgeber ist dabei in 18 von 20 Wettbewerben vertreten – lediglich im Omnium der Frauen sowie im Punktefahren der weiblichen Konkurrenz stellt Deutschland keine Teilnehmerin. Im Sprint der Männer ist der Bund Deutscher Radfahrer zudem nur mit einem Fahrer vertreten – ansonsten wurde das Kontingent jeweils voll ausgeschöpft. „Natürlich hätten wir im Sprint gern einen zweiten Fahrer dabeigehabt. Das Ergebnis wie auch bei den Frauen hat sich aber abgezeichnet und ist keine Überraschung", sagte BDR-Sportdirektor Patrick Moster.
In der Einerverfolgung der Frauen werden dafür sogar gleich drei deutsche Fahrerinnen an den Start gehen: Franziska Brauße – Deutschlands Radsportlerin des Jahres 2019 – sicherte sich als amtierende Europameisterin ein persönliches Startrecht, die beiden anderen Plätze gingen an Lisa Brennauer und Lisa Klein, die bei der letztjährigen WM in Pruszkow (Polen) Silber und Bronze geholt hatten.
Angesichts solcher Erfolge in der jüngeren Vergangenheit gehört die Einerverfolgung der Frauen aus deutscher Sicht sicher auch diesmal wieder zu den Höhepunkten im Zeitplan. Burckhard Bremer freut sich außerdem sehr auf die Verfolger-Disziplinen beider Geschlechter, sowohl im Einzel als auch in der Mannschaft. „Deutschland hat gerade bei den Männern in diesen Disziplinen immer eine führende Rolle gehabt", sagt er. Bei der Heim-WM 1999 blieben beide Titel in Berlin. „Robert Bartko war damals das Zugpferd, wurde ein Jahr später Doppel-Olympiasieger. Nach einem Tief hat der deutsche Männer-Vierer, den viele immer noch als das Flaggschiff sehen, wieder Anschluss an die Weltspitze gewonnen und zuletzt mehrfach den deutschen Rekord verbessert. Auch international ist das Niveau im Winter 2019/20 extrem gestiegen", so Bremer. Seine Prognose: „Ich denke, die Goldmedaille geht in Berlin nur mit Weltrekord weg."
„Gold geht nur mit Weltrekord weg"
Ebenfalls im Fokus steht das Zweiermannschaftsfahren der Männer am Schlusstag, das sogenannte Madison. In dieser Disziplin gehen mit Roger Kluge und Theo Reinhardt zwei Lokalmatadore aus Berlin als Favoriten und zweifache Titelverteidiger ins Rennen. Bereits 2018 und 2019 gewannen sie den WM-Titel und peilen in ihrer Heimatstadt nun den Hattrick an. „Ja logisch wollen wir wieder gewinnen. Es wäre historisch – dreimal in Folge, das hat bis jetzt keiner geschafft. Von daher ist es schon ein kleines Ziel, speziell bei der Heim-WM gut auszusehen und mit Medaillen zu glänzen, im besten Fall mit Gold", sagte Roger Kluge im „Deutschlandfunk". Auch Bundestrainer Sven Meyer betonte: „Wir wollen den Titel verteidigen", mahnte aber zugleich: „Ob das gut ist im Olympia-Jahr, weiß ich nicht. Das große Ziel bleibt Olympia. Wenn wir Weltmeister werden, ist das schön. Wenn wir aber am Ende bei Olympia nichts gewinnen, können wir uns vom Weltmeistertitel auch nichts kaufen."
Wie nah Erfolg und Enttäuschung beieinanderliegen, musste zumindest Theo Reinhardt bereits beim Berliner Sechstagerennen im Januar feststellen. Rundengleich mit dem späteren Siegerteam Moreno de Pauw/Wim Stroetinga (Belgien/Niederlande) war er zusammen mit seinem französischen Partner Morgan Kneisky ins Finale gestartet und guter Dinge, seinen Vorjahressieg wiederholen zu können. Am Ende aber musste sich der Titelverteidiger mit Platz drei begnügen. Er haderte mit der Leistung seines Partners, aber auch mit der eigenen. „Es war vom ersten Abend an hart. Morgan hat ein wenig die Sprintstärke gefehlt, ich war auch nicht optimal drauf", so Reinhardt. Bei den Weltmeisterschaften will er es nun besser machen.
Täglich Talk- und Autogrammstunden
Die Organisatoren haben derweil auch über das sportliche Geschehen hinaus ein attraktives Programm zusammengestellt. „Wir wollen die Besucher auch abseits der Rennen unterhalten", sagt Burckhard Bremer. „Es wird täglich Talk- und Autogrammstunden mit den deutschen Fahrerinnen und Fahrern geben, die ihre Wettkämpfe abgeschlossen haben. Zusammen mit den Berliner Sixdays geht das sogenannte Kids Race in eine neue Runde. Das macht den Kindern und Eltern immer sehr viel Spaß. Ich persönlich freue mich sehr auf den, Tag der Weltmeister‘. Am Donnerstag laden wir alle ehemaligen deutschen Bahnradsport-Weltmeister der vergangenen 50 Jahre nach Berlin ein. Da sind tolle Namen dabei – von Didi Thurau über Lutz Heßlich bis Jens Fiedler."
Auch Miriam Welte und Kristina Vogel werden sich in Berlin blicken lassen, die dem deutschen Bahnradsport 2012 mit dem Olympiasieg im Teamsprint sowie insgesamt vier Weltmeistertiteln in dieser Disziplin einige seiner größten Erfolge der jüngeren Vergangenheit bescherten. Eigentlich wollte Welte noch bis zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio weitermachen und wäre demnach auch bei der WM gestartet. Im September 2019 erklärte sie jedoch überraschend ihren Rücktritt, weil sie merkte, dass sie nicht mehr mit vollem Elan bei der Sache war. Kristina Vogel wiederum sitzt seit ihrem furchtbaren Trainingsunfall im Juni 2018, seit dem sie querschnittgelähmt ist, nicht mehr im Sattel. Sie engagiert sich aber weiterhin für ihren Sport: als WM-Botschafterin, als TV-Expertin für das ZDF und neuerdings auch als Trainerin. Sie freut sich schon auf die Berliner Titelkämpfe: „Die Weltmeisterschaft vor den Olympischen Spielen wird richtig knackig und richtig schnell. Trotzdem ist es eine Durchgangsstation. Einige Nationen werden ein bisschen was ausprobieren, andere Nationen und Sportler müssen sich überhaupt für Tokio erst noch qualifizieren. Deshalb wird es eine sehr, sehr schnelle und hochkarätige WM", sagt Vogel.
„Sehr schnelle und hochkarätige WM"
Für etwas Ärger hatte im Vorfeld die Tatsache gesorgt, dass die Radsportler aufgrund einer vorherigen Veranstaltung im Velodrom erst wenige Tage vor Beginn der Weltmeisterschaften auf der Bahn trainieren können. Inzwischen hat sich die Aufregung aber gelegt, und die Sportler haben sich mit der Situation arrangiert. Tatsächlich sollten sie den Titel der anderen Veranstaltung vielleicht einfach programmatisch betrachten, gewissermaßen als Ausblick auf das, was die Fans und Fahrer auch bei der WM erwartet. Das Event trägt nämlich den vielversprechenden Namen: „Mega Sause".