Über den saarländischen ÖPNV wird viel diskutiert – getan wurde in den vergangenen Jahren kaum etwas. Damit sich das ändert, arbeitet das Verkehrsministerium seit 2016 an einem neuen Verkehrsentwicklungsplan ÖPNV. Dieser soll besonders das Schienennetz stärken.
Zu teuer, zu unzuverlässig, zu unattraktiv – die Nutzerzahlen der saarländischen Bahnen und Busse sprechen eine klare Sprache. Wo 2010 noch 93,4 Millionen Menschen den öffentlichen Nahverkehr im Saarland nutzten, waren es 2018 nur noch 57,2 Millionen. Nun sollen neue Rahmenbedingungen geschaffen werden, um den ÖPNV im Saarland wieder interessanter zu machen. Ein neuer Verkehrsentwicklungsplan soll diesen Rahmen skizzieren. „Damit legen wir einen umfassenden Reformplan für die Zukunft des Nahverkehrs vor. Nicht nur für morgen und übermorgen, sondern für die nächsten zehn, 20 Jahre", sagt Verkehrsministerin Anke Rehlinger (SPD). Damit soll der erste und bislang einzige Verkehrsentwicklungsplan im Saarland aus dem Jahr 1998 abgelöst werden.
In den letzten 22 Jahren hat sich in Sachen Mobilität einiges verändert – begonnen bei Neuerungen im ÖPNV-Gesetz bis zu gesellschaftlichen Entwicklungen. Elektromobilität, Barrierefreiheit und Digitalisierung haben an Bedeutung zugenommen. „Sicherlich sind das alles Aspekte, die den Anlass gegeben haben, einen neuen Verkehrsentwicklungsplan aufzustellen", sagt Julian Scheer, Raum- und Verkehrsplaner im mit der Entwicklung betrauten Planungsbüro „Planersocietät" in Dortmund. In enger Zusammenarbeit mit dem saarländischen Verkehrsministerium und einem eigens dafür einberufenen Projektbeirat soll der Schienenverkehr ausgebaut, stärker vernetzt und durch das Landesbusnetz passend ergänzt werden. „Damit Angebot und Bedarf auch zusammenpassen, ist es wichtig, dass wir die Erfahrungen und Einschätzungen der Saarländerinnen und Saarländer kennen", merkt Rehlinger an. Damit die Bürger auch kräftig mitdiskutieren können, finden regelmäßig Bürgerdialoge statt. Auch auf einer Onlineplattform konnten eigene Ideen und Wünsche eingebracht werden.
Ausbau zu einem S-Bahn-Netz Saarland
„Grundsätzlich hat das Saarland erst einmal ein dichtes Schienennetz", betont Max Bohnet, Gesellschafter des Planungsbüros Gertz Gutsche Rümenapp. Dennoch ist, damit ein Schienennetz die nötige Attraktivität aufweist, die Reaktivierung bereits stillgelegter Streckenabschnitte für den Personenverkehr unabdingbar. Nun ist aber nicht jede Strecke rentabel. Um den verkehrlichen und volkswirtschaftlichen Nutzen eines Abschnitts zu bestimmen, durchläuft jede Strecke ein zweistufiges Bewertungsverfahren, das das Verhältnis zwischen Investitions- und Betriebskosten zu der wirklichen Nachfrage bestimmen soll. „Wir haben in einer ersten Grobüberprüfung alle Bahnstrecken, die im Saarland vorhanden sind, angeschaut, um zu sehen, ob auf diesen Trassen grundsätzlich eine Reaktivierung möglich wäre. Die Strecken, die sich als reaktivierbar herausgestellt haben, haben wir uns dann noch einmal genauer angesehen", erklärt Bohnet. Hierbei wurde insbesondere auf das Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) geschaut. „Für eine Rentabilität muss dieser Faktor über 1,0 liegen", so Bohnet weiter. So hätte eine Erweiterung der Strecken Saarlouis – Schmelz (3,6) oder Saarbrücken – Großrosseln (2,7) ein gutes NKV, die Verbindung Niedaltdorf – Bouzonville aber mit einem NKV von 0,2 eine eher schlechte Prognose. „Das liegt besonders an den hohen Sanierungskosten für die Brücke dort", sagt Max Bohnet. Abgeschrieben soll die Niedtalbahn aber nicht werden – nur nicht „in einem ersten Schritt" umgesetzt werden.
„In der Bestandserfassung sind wir auch zu dem Ergebnis gekommen, dass man mit dem Regionalbahn- und Regional-Express-Netz eine wirklich gute Grundlage hat, auf der man auch in der Weiterentwicklung aufbauen kann. Wir haben nicht auf einem leeren Blatt angefangen", ergänzt Julian Scheer. Wichtig sei ihm die Schaffung gewisser Standards betreffend Taktung und Fahrzeit. In einem 60-Minuten-Takt soll die Bahn fahren. Während der Regional-Express sich an den Bedürfnissen derer orientiert, die schnell von einem zentralen Punkt zum nächsten kommen möchten, fährt die Regionalbahn alle auf der Strecke liegenden Haltepunkte an.
Ziel dieser Maßnahmen soll besonders eines sein: die Schaffung eines systematischen S-Bahn-Netzes im Saarland. Konzentrieren soll es sich auf den Kern Saarbrücken und dort das bestehende Angebot der Saarbahn ergänzen. Halbstündlich im Kernbereich und stündlich an den Außenästen soll die S-Bahn alle Stichstrecken nutzen. Damit die Geschwindigkeit der Regional-Express-Bahnen darunter aber nicht leidet, sollen teilweise zusätzliche Schienen und Weichen gebaut werden, die ein Überholen möglich machen. Um eine bessere Erschließung von Wohn- und Gewerbegebieten zu erzielen, sollen auch neue Haltepunkte eingeführt werden. Einer davon soll in Saarbrücken-Rotenbühl den jetzigen Bahnhof Saarbrücken-Ost ersetzen. Zudem sollen Saarbrücken-Rußhütte, der Saarbasar, Quierschied-Süd und Völklingen-Heidstock an das S-Bahn-Netz angeschlossen werden.
„Der Schienenverkehr ist einer der ganz wichtigen Bausteine des ÖPNV im Saarlandes, aber es ist nicht möglich, in allen Landesteilen Eisenbahnschienen zu bauen", so Scheer. Daher soll der Schienenverkehr durch ein Landesbuslinienangebot ergänzt werden. Dieses Bus-Netz soll zwei neue Produkte beinhalten: Den Plus-Bus und den Express-Bus. Während der Plus-Bus alle Haltepunkte verbinden soll, soll der Express-Bus mit attraktiven Reisezeiten zwischen zentralen Punkten insbesondere für Berufspendler punkten. „Wichtig ist hierbei, dass Bus- und Schienenentwicklung immer Hand in Hand gehen müssen, damit es ein attraktives Gesamtnetz gibt", sagt Scheer.
Tarifreform bereits zum neuen Jahr geplant
Diese Zukunftsvisionen haben natürlich auch ihren Preis. Im Sinne der Attraktivitätssteigerung, Entlastung der Straßen und des Umweltschutzes sind sie aber dennoch von immenser Wichtigkeit. Freilich werden sich nicht alle Ergänzungen kurzfristig realisieren lassen. „Es gibt im Verkehrsbereich Maßnahmen, die kann man schnell und zügig umsetzen und andere, die haben ohnehin einen etwas längeren Vorlauf. So ist auch dieser Verkehrsentwicklungsplan angelegt", erklärt Verkehrsministerin Rehlinger. Teilweise liegt das an langwierigen Planungsverfahren, besonders aber an den zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen. Um einen besseren Überblick darüber zu bekommen, stellt das Ministerium drei Szenarien vor, die einen unterschiedlich hohen Investitionsbedarf aufweisen. Diese reichen von einem „optimierten Angebot" mit Investitionskosten von 19,5 Millionen Euro und jährlichen Betriebskosten von je acht Millionen Euro bis zu einer „ÖPNV-Vorrangentwicklung" mit hohem Finanzbedarf, nämlich 339 Millionen Euro Investitionskosten und jährlichen Betriebskosten von 23 Millionen Euro.
Von diesen Kosten soll aber besonders einer nichts merken: der Nutzer. Bereits Anfang des Jahres hatte das Verkehrsministerium eine geplante Fahrpreiserhöhung abgefangen und selbst übernommen. Zukünftig soll der ÖPNV durch eine Tarifreform kostengünstiger werden – jedenfalls für Abonnenten. Ein saarlandweites Flatrate-Ticket soll das intransparente Wabensystem ablösen und besonders Kinder, Familien und Senioren entlasten. Geplant ist diese Reform bereits zum Beginn des kommenden Jahres – ein ambitioniertes Vorhaben, wie Ministerin Rehlinger zugibt, aber ein mögliches. „Das ist ein wichtiges Signal – auch für die Handlungsfähigkeit", sagt sie. Ein kostenfreier Nahverkehr, wie beispielsweise in Luxemburg, sei ihr zwar „auch die sympathischste Vorstellung", doch ist dieser aktuell nicht realisierbar. „Im aktuellen Zustand würde das einen dreistelligen Millionenbetrag ausmachen, der zusätzlich in die Hand genommen werden müsste. Kostenfrei für die Nutzer heißt nicht, dass er umsonst ist – irgendjemand muss es bezahlen."
Doch die Ministerin betont auch: „Die Frage, was ich bezahle, hat nur dann eine Bedeutung, wenn ich überhaupt ein ansprechendes Angebot habe." Da das Land allein nicht für ein flächendeckendes Busnetz sorgen kann, sind hier auch die Kommunen in der Pflicht. Zu Beginn des Jahres hatte die Verkehrsministerin den Gemeinden und Kreisen daher das Angebot unterbreitet, diese von 2021 bis 2023 mit 45 Millionen Euro zu unterstützen. Dafür sollen die Kommunen das bisherige ÖPNV-Angebot zumindest halten, perspektivisch aber weiter ausbauen. „Land und Kommunen tragen gemeinsam Verantwortung für den saarländischen ÖPNV", betont Rehlinger. „Nur Hand in Hand gelingt ein Nahverkehr, der günstiger und besser ist, aber auch besser angenommen und wahrgenommen wird."