Nach Themenjahren zu Peter Paul Rubens und Pieter Brueghel feiert Flandern in diesem Jahr den flämischen Meister Jan van Eyck. Eine einzigartige Ausstellung versammelt zahlreiche seiner Werke sowie restaurierte Bildtafeln von der Außenseite des berühmten Genter Altars.
Ein gewaltiger Wandteppich nimmt eine ganze Seite im ersten Ausstellungssaal des Museums für Schöne Künste (MSK) in Gent ein. Das Werk anonymer Meister, etwa um 1450 entstanden, ein gewebtes Gemälde, das farbgewaltig eine Kreuzigungsszene in den Kontext spätmittelalterlichen Lebens stellt. Und das mit einer Mischung aus religiösen und weltlichen Elementen, den Darstellungen historisch belegter Personen und all dem Sinn für Details bei Bauwerken und Gewändern, bei Pflanzen und dem Spiel der Wolken in die Welt des 15. Jahrhunderts in Flandern, in die Welt Jan van Eycks einführt.
Über ihn ist wenig bekannt, man weiß nicht einmal genau, wie er ausgesehen hat. Aber man vermutet, dass er um 1390 im Städtchen Maaseik nicht weit von Maastricht geboren wurde. Er hatte zwei Brüder und eine Schwester, die alle Maler werden sollten. Bis heute ist unklar, wo van Eyck ausgebildet wurde. Aber Quellen belegen, dass er sich als geschätzter Künstler schnell in vornehmen und einflussreichen Kreisen bewegte. 1422 wird van Eyck erstmalig urkundlich erwähnt, als er in den Dienst Herzog Johanns von Bayern, des Grafen von Holland eintritt. Und in dessen Auftrag gestaltet er malerisch den Binnenhof der Residenz in Den Haag. Nach dem Tod des Herzogs fand van Eyck eine neue Anstellung – am Hofe des Herzogs von Burgund. Philipp der Gute residierte in Lille, sein Hof galt als der prächtigste Europas. Van Eyck avancierte hier nicht nur zum Hofmaler sondern zum Höfling selbst, wurde mit unterschiedlichsten Aufgaben betraut – entwarf Kleidung, richtete Turniere und Feste aus und ging für den Herzog auf diplomatische Mission. Unter anderem wurde er nach Portugal entsandt, um die Vermählung des Herzogs mit Isabella von Portugal vorzubereiten – und malte zwei Porträts der jungen Frau, damit sich Philipp ein Bild von seiner zukünftigen Frau machen konnte.
Der Genter Kaufmann Joos Vijd und seine Frau Elisabeth gaben Jans Bruder Hubert den Auftrag für einen Altar in der St.-Bavo-Kathedrale. Nach dem Tod des Malers übernahm sein Bruder Jan die Vollendung des wohl größten und berühmtesten Gemälde des Spätmittelalters: „Die Anbetung des Lammes". Mit seinen innen farbprächtigen, außen überwiegend in Grau- und Brauntönen gehaltenen Bildtafeln gibt es den ganzen Kosmos christlichen Denkens und Glaubens im 15. Jahrhundert wieder. Und musste damals in seiner Darstellungsweise geradezu revolutionär gewirkt haben.
Fotografisch genaue Darstellungen und Mut zum Unschönen
So spricht auch die Ausstellung im Genter Museum für Schöne Künste von einer „optischen Revolution". Zwar habe van Eyck nicht die Ölmalerei erfunden, betonen die Macher der grandiosen Schau, aber er entwickelte ein Verfahren, bei dem er die Farbe durch Beimischung von Sikkativen flüssiger machen und so mehrere Schichten übereinander auftragen konnte. Und damit eine Tiefenwirkung erzielte, die bis dahin unbekannt war. Geradezu fotografisch wirken seine Darstellungen bis heute, Dutzende unterschiedlichster Pflanzenarten und Bäume beispielsweise sind auf dem Genter Altar abgebildet, so genau, dass Botaniker sie bestimmen können. Feinste Pinselstriche deuten auf Vögel hin, die sich in der Ferne in die Luft schwingen, Gesichter sind von Falten durchzogen, Bartstoppeln sprießen. Licht bricht sich auf glänzenden Ritterrüstungen oder in Edelsteinen, die die üppigen Samtumhänge verzieren. Und zwar so exakt, dass man danach den gerade herrschenden Stand der Sonne, die Tageszeit bestimmen könnte. All diese Details sind jetzt nach jahrelanger aufwendiger Restaurierungsarbeit zu bestaunen, nachdem Firnisschichten und Übermalungen behutsam abgetragen werden konnten.
Nicht immer sei das ohne heftige Diskussion geschehen, sagt Restauratorin Livia Depuydt-Elbaum vom Institut Royal Patrimoine Artistique in Brüssel. Stellte man sich doch die Frage, ob nicht auch die Übermalungen aus dem 16. Jahrhundert selbst zum Werk gehörten, Teil seiner mehr als bewegten Geschichte seien. Die es tatsächlich in sich hat – denn das Meisterwerk wurde mehrfach gestohlen, verkauft, galt zwischendurch als verschollen. Philipp II. von Spanien forderte den riesigen teilweise beidseitig bemalten Altar, da sein Vater Karl V. einst eine stattliche Spende für die Genter Kathedrale gezahlt habe. Während der Glaubenskriege im 16. Jahrhundert wurde der Altar zweimal aus seiner Seitenkapelle der Kathedrale entfernt und erst später wieder zurückgebracht. Zur Zeit der Französischen Revolution landete das Werk in Paris, der englische Duke of Wellington brachte es zurück. Nur wenige Jahre später verschleppten Napoleons Truppen einige Bildtafeln des Werks. Als sie wieder nach Gent zurückkamen, war der Rest des Altars inzwischen von der Gemeinde verkauft worden und landete über Umwege im Alten Museum in Berlin und ging von dort nach dem Ersten Weltkrieg wieder als Kriegsschuld zurück nach Belgien. Im Zweiten Weltkrieg schließlich wurde der zwischenzeitig in Südfrankreich versteckte Altar von der Wehrmacht geraubt und in einem österreichischen Salzbergwerk als Teil einer zukünftigen NS-Sammlung von Kunstschätzen aufbewahrt. Wie Van Eycks Meisterwerk und andere Schätze gegen Ende des Zweiten Weltkriegs vor der Zerstörung gerettet werden konnten – aus diesem Stoff hat Hollywood das Filmdrama „Monuments Men" gemacht.
Vom Konzert bis zur Gastronomie: Gent feiert van Eyck
Nun aber ist der komplett restaurierte Altar wieder an seinem angestammten Platz – zumindest so lange, bis er in ein momentan entstehendes Besucherzentrum in der Kathedrale umsiedeln kann. Und immerhin bis Ende April kann man die Außentafeln des Altarwerks ganz aus der Nähe bewundern, sie bilden das Kernstück der Ausstellung im MSK. Mehrere Jahre hatte ein ganzes Team an der Vorbereitung dieser wohl einmaligen Schau gearbeitet, war es doch sein Anliegen, so viele der noch vorhandenen und bekannten Werke van Eycks wie möglich als Leihgaben zu gewinnen, erzählt Friederica van Dam, eine der Kuratorinnen. Und so werden insgesamt 13 Werke des flämischen Meisters, unter anderen aus der Berliner Gemäldegalerie, dem New Yorker Metropolitan Museum of Art oder der Londoner National Gallery in den Ausstellungssälen wirkungsvoll in Szene gesetzt. Darunter auch eine Reihe von Porträts, die durch ihre Detailgenauigkeit und das Ungeschönte auch den heutigen Betrachter verblüffen. Dazu sind zahlreiche Werke von Zeitgenossen van Eycks zu sehen oder von späteren Künstlern, die ihn kopierten. Ein Gemälde aus dem 19. Jahrhundert gibt wieder, wie der Besuch Dürers in der Genter Kathedrale ausgesehen haben könnte. Von Dürer ist überliefert, dass er van Eycks Meisterwerk „Die Anbetung des Lamms" bewunderte und sich zu dem Ausspruch „das ist ein über köstlich, hoch verständig gemähl" hinreißen liess.
Auch wenn die Ausstellung „Van Eyck. Eine optische Revolution" eine verhältnismäßig kurze Laufzeit hat, gibt es doch in Gent in diesem Jahr genügend Möglichkeiten, den „Spuren van Eycks" zu folgen. Die flämische Stadt ehrt den Meister mit einer Vielzahl von Events – von einer digitalen Neuinterpretation des Genter Altars in der Nikolaikirche über ein Auftragswerk für den Komponisten Arvo Pärt bis hin zu einer „7 Senses Tour" durch die Altstadt. Bei der nicht nur die von van-Eyck-inspirierte Street-Art und eine Bootstour auf dem Programm stehen, sondern auch historische Gedichte und Gastronomisches. Versteht sich fast von selbst, dass es dabei um feinste Pralinen und das köstliche belgische Bier geht.