Der japanische Regisseur Hirokazu Kore-Eda erzählt mit „La Vérité – Leben und lügen lassen" eine berührende wie humorvolle Mutter-Tochter-Geschichte, die von zwei herausragenden Hauptdarstellerinnen getragen wird. Das ist europäisches Kino auf hohem Niveau.
Wie kann eine Frau nur so elegant sein? Catherine Deneuve beweist in ihrem neuen Film erneut, dass sie die Kino-Königin von Europa ist. Das weiß die 76-Jährige selbst gut genug und spielt in „La Vérité" eigentlich sich selbst, nämlich eine französische Filmlegende, die hier Fabienne heißt. Kein Wunder also, dass die Deneuve eine Höchstleistung zeigt und sichtbar Spaß an der Rolle hat.
Die Geschichte: Mit ihrem Lebensgefährten und ihrem seit 40 Jahren treuen Assistenten lebt die französische Filmschauspielerin Fabienne (Deneuve) auf ihrem herrschaftlichen Anwesen in Paris. Weil die Star-Schauspielerin gerade ihre Biografie veröffentlicht, kommt ihre Tochter Lumir (Juliette Binoche) samt Ehemann und der gemeinsamen kleinen Tochter Charlotte (Clémentine Grenier) aus New York zu Besuch. Obwohl Fabiennes Buch „La Vérité" („Die Wahrheit") heißt, erkennt Lumir schnell, dass vieles in der Biografie ganz anders beschrieben ist, als es ihrer Erinnerung nach wirklich passiert ist. Denn Fabienne, die eitle Aktrice, präsentiert sich in dem Buch als strahlende Mutter ihrer Tochter. Lumir hat da ganz andere Erinnerungen und alle Zeichen stehen schnell auf Konfrontation. Eine weitere Herausforderung: Lumir, selbst erfahrene Drehbuchautorin, muss ihrer Mutter bei Dreharbeiten für einen neuen Film helfen. Das Werk heißt „Memories of My Mother", das sogar von einer noch komplizierteren Mutter-Tochter-Beziehung erzählt.
Nun gehören verdrehte und etwas schräge Mutter-Tochter-Geschichten eigentlich zum Fach von Pedro Almodovar („Alles über meine Mutter", „Volver"). Und auch die Tatsache, dass „La Vérité" ebenfalls eine Film-im-Film-Handlung enthält, erinnert an Spaniens Star-Regisseur. Aber der Regisseur von „La Vérité" ist Hirokazu Kore-Eda. Der Japaner hat offensichtlich großen Spaß an europäischer Filmkultur und lässt die Filmhandlung sogar ins Skurrile gleiten. Denn weil Filmdiva Fabienne so garstig ist, geht die Fantasie mit ihrer Enkelin durch. Sie glaubt, dass ihre Oma eine Hexe ist, die ihren Ex-Mann Pierre in eine Schildkröte im Garten verwandelt hat. Dann verschwindet das Tier eines Tages sogar und der Opa steht überraschend doch in menschlicher Gestalt und Blättern im Haar vor der Tür. Was ist da passiert? Und kann der Zausel etwas zur „Vérité" beitragen?
Zynische Verbalschlachten der beiden Frauen
Aber diese Extravaganzen sind in „La Vérité" nur amüsante Nebenhandlungen. Im Zentrum stehen freilich Mutter und Tochter. Gespielt wird die Tochter von Juliette Binoche. Sie ist auf dem besten Weg, die Spitzenposition der Deneuve einzunehmen, so gut ist die 55-jährige Französin als Tochter, die versucht, ihre Mutter mit verdrängten Konflikten zu konfrontieren. So abweisend sich die beiden Hauptdarstellerinnen zu Beginn der Handlung auch gegenüberstehen, so viel Spaß macht es dann auch, die langsame Annäherung zwischen ihnen zu beobachten. Die beiden Diven kämpfen immer härter um die Frage, was denn nun die Wahrheit ist.
Für den Zuschauer wird die Antwort am Ende eine Überraschung sein. Das Faszinierende an den zuweilen recht zynischen Verbalschlachten der beiden Frauen ist, dass besonders Catherine Deneuve immer Haltung bewahrt. Höchstens rutscht da mal eine blonde Haarsträhne aus der Frisur. Aber wer, wenn nicht die größte lebende französische Filmdiva, könnte so einen Fauxpas eleganter mit einem Fingerstreich zurechtrücken? Schön an „La Vérité" sind auch die Bezüge zur echten Filmbranche. Da hängt doch tatsächlich in Fabiennes Anwesen ein Plakat eines Filmes. „Belle de Paris –
Schöne von Paris" heißt es und nennt den Namen Brigitte Bardot. Da kann Filmdiva Fabienne nur abfällig die Nase rümpfen, mit Arroganz und Eleganz, versteht sich.
Dem japanischen Regisseur Hirokazu Kore-Eda ist mit „La Vérité – Leben und lügen lassen" bemerkenswert gut gelungen, dem europäischen Kino einen großen Film mit einigen Kuriositäten hinzuzufügen. Das hätte selbst Almodovar kaum besser machen können.