Kursabsturz um fünf Prozent an der Börse, internationale Lieferketten brechen zusammen, weil Städte in China abgeriegelt werden, Häfen die Container nicht abfertigen können und Schiffe, die nicht fahren. Die Folgen des Coronavirus für die Weltwirtschaft sind noch nicht absehbar.
Die deutschen Schweinezüchter bleiben auf ihren Schinken sitzen. „In China schließen die Häfen vor Überfüllung, der weitere Transit wird nicht abgearbeitet", heißt es beim Fleischkonzern Tönnies. Große Kühlhäuser seien in China geschlossen worden, Kühllaster fahren nicht mehr. Noch sind die Lager bei dem mittelfränkischen Pumpenhersteller Speck in Roth gut gefüllt, doch in den kommenden Wochen könnte es eng werden. Die Hälfte seiner Komponenten bezieht Speck aus Asien. Ende März könnten erste Aufträge liegen bleiben, weil Bauteile fehlen. Speck, ein Hersteller von Schwimmbad- und anderen -pumpen, importiert nicht nur Komponenten aus China, sondern betreibt dort auch ein eigenes Werk. Der Motoren- und Ventilatorenhersteller Ziehl-Abegg in Künzelsau hat mit sofortiger Wirkung sämtliche Dienstreisen nach China gestoppt. Die Beteiligung an der Leitmesse China Refrigeration Anfang April in Wuhan, die als die wichtigste Ausstellung für Klimatechnik gilt, ist abgesagt worden.
Wenn in China längere Zeit nicht produziert wird, ist das zeitverzögert in Deutschland zu spüren. Auch Medikamente aus China brauchen vier bis sechs Wochen mit dem Schiff bis Deutschland, sodass spätestens Ende März wichtige, in chinesischen Pharmafabriken hergestellte Arzneimittel, vor allem Generika, in deutschen Apotheken knapp werden könnten. Denn ob das nächste Schiff beladen losfährt, ist mehr als ungewiss.
Auch die großen Hersteller wie VW und BMW spüren die Auswirkungen der Corona-Krise. Der Automobilmarkt in China, wichtigster Absatzmarkt für deutsche Autobauer, ist um ein Fünftel geschrumpft. Laut einer Umfrage der europäischen und deutschen Handelskammer mit 577 Mitgliedern in China erwarten 90 Prozent der Mitgliedsfirmen „mittelschwere bis schwere" Auswirkungen durch die Lungenkrankheit. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sieht im Auftreten des Coronavirus einen „Stresstest" für die Wirtschaft. Er forderte die Bundesregierung zu einem koordinierten wirtschaftspolitischen Vorgehen auf. „Neben dem Gesundheitsschutz muss die Politik ab sofort auch das wirtschaftliche Krisenmanagement in den Fokus nehmen", sagte Hauptgeschäftsführer Joachim Lang.
OECD senkt Prognose
Einige Lieferketten mit starkem China-Fokus würden den Stresstest derzeit nicht bestehen, meint man beim BDI. Die mehr als 5.000 deutschen Firmen, die in China produzieren, seien in Beschaffung, Produktion und Absatz stark eingeschränkt. Stefan Schneider, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, sieht die exportorientierte deutsche Wirtschaft durch die Unterbrechung von internationalen Lieferketten besonders schlimm getroffen. Die Folgen des Coronavirus könnten in Deutschland zu einer Rezession führen, meinte er.
Noch deutlicher wird die Industrieländerorganisation OECD: Das Coronavirus sei die größte Gefahr für die Weltwirtschaft seit der globalen Finanzkrise. Selbst im günstigsten Fall werde sich das weltweite Wirtschaftswachstum in der ersten Jahreshälfte voraussichtlich stark verringern. Entsprechend dürfte sich das Wachstum der Weltwirtschaft von 2,9 Prozent 2019 auf 2,4 Prozent 2020 abschwächen. Eine breitere Ansteckungswelle im Asien-Pazifik-Raum und den Industrieländern, wie jetzt in China, könnte hingegen das globale Wachstum deutlich auf 1,5 Prozent reduzieren.
Auch der Binnenmarkt in Europa wird früher oder später in Mitleidenschaft gezogen werden. Frische Lebensmittel aus Norditalien könnten in den Regalen liegen bleiben. Oder sie könnten mangels Transportmöglichkeiten in den Lagerhallen bleiben. Bereits jetzt erwägt die EU-Kommission Hilfen für Branchen, die besonders von der Epidemie betroffen sind. Dazu gehörten die Tourismus- und die Autoindustrie, sagte der EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen Thierry Breton der dpa.
Die Bundesregierung will Unternehmen finanziell unterstützen, die von der Corona-Epidemie betroffen sind. Es gehe nicht um ein Konjunkturprogramm, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier in Berlin. Vielmehr sollten ohnehin geplante Maßnahmen vorgezogen werden.
Deutsche Firmen, in denen das Virus ausgebrochen ist und die deswegen ihre Angestellten nach Hause schicken und die Produktion drosseln oder einstellen müssen, können sich auf die Hilfe der Bundesagentur für Arbeit stützen. Das gilt auch für den Fall, dass die Lieferung von Materialien oder Vorprodukten aus China ausbleibt. Die Bundesagentur zahlt für diese Beschäftigten Kurzarbeitergeld. „Der Anspruch auf Kurzarbeitergeld muss grundsätzlich auf einem unabwendbaren Ereignis oder wirtschaftlichen Gründen beruhen. Dies trifft etwa dann zu, wenn Lieferungen ausbleiben und die Produktion eingeschränkt werden muss", erklärte die Bundesagentur. Erste Anfragen auf Kurzarbeitergeld seien bereits eingegangen. Wie groß die Auswirkungen des Coronavirus auf den Arbeitsmarkt sein könnten, sei aber noch nicht abschätzbar, so die Bundesagentur.
Firmen gehen raus aus China
Währenddessen warnt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), in der „Passauer Neuen Presse" vor einem „Abwärtsstrudel" und spricht von einem „Herdenverhalten" der Finanzinvestoren. „Über Wochen hinweg gab es dort völlige Ignoranz gegenüber den Folgen des Coronavirus mit einem Rekord nach dem anderen", sagte Fratzscher. „Und auf einmal sorgt ein Anlass, in diesem Falle Italien, dafür, dass Panik an den Märkten ausbricht und sie in eine entgegengesetzte Richtung gehen." Diese Panik gebe es auch bei Unternehmen und Konsumenten. Das könne dazu führen, dass sie auf die vielen Unsicherheiten mit Verhaltens- und Nachfrageänderungen reagieren. Dann könnten Finanzmärkte absacken, die Unternehmen ihre Investitionen zurückfahren und Verbraucher ihre Nachfrage eindämmen.
Sollte die Krise länger anhalten – und alles sieht derzeit danach aus – wird also früher oder später jeder ihre Auswirkungen spüren. Ohnehin steigt die Versuchung, eine Dose Ravioli mehr zu kaufen oder sich ein paar Pizzen in die Tiefkühltruhe zu legen, bei jedem Einkauf. Schon melden Aldi und Lidl eine verstärkte Nachfrage nach haltbaren Lebensmitteln und Hygieneprodukten wie Desinfektionsmitteln. „Wir sind darauf vorbereitet und erhöhen entsprechend unsere Lagerbestände", erklärte Aldi Süd. Auch Lidl hat nach eigenen Angaben die Vorräte aufgestockt und arbeitet „intensiv" an der sicheren Warenversorgung.
Aber nicht nur der Einzelne, sondern auch ganze Industriezweige werden sich umstellen müssen. Denn das neuartige Virus wirft ein Schlaglicht darauf, dass eine zu große Abhängigkeit von China fatale Auswirkungen haben kann. Global agierende Konzerne, die in China ihre Fabriken schließen müssen, deren Lieferketten zerbrechen, werden sich gezwungen sehen, wirtschaftlich zunehmend auf Abstand zu gehen. Die aktuelle Gewinnwarnung von Apple ist ein deutliches Signal. So hat der südkoreanische Elektronikriese Samsung einige Standorte in China geschlossen und stattdessen in Vietnam Produktionsstätten aufgebaut. Mexiko profitiert davon, dass einige US-Konzerne ihre Lieferketten näher an die Heimat verlagert haben.
Derweil lässt China im Kampf gegen das Coronavirus nichts unversucht: Nicht nur Menschen, auch Geldscheine kommen in Quarantäne. Banken sollen gebrauchte Banknoten desinfizieren, versiegeln und sie dann für sieben bis 14 Tage einlagern. Erst danach kämen sie wieder in Gebrauch. Die Europäische Zentralbank geht dagegen nicht davon aus, dass die Gefahr einer Infizierung mit dem Coronavirus beim Kontakt mit Bargeld besonders groß ist. „Bislang gibt es keinerlei Belege dafür, dass das Coronavirus über Banknoten übertragen wurde", teilt eine EZB-Sprecherin auf Anfrage mit.