Mit dem Klimawandel steht die Menschheit vor einer ihrer größten Herausforderungen. Fieberhaft wird international nach Lösungsansätzen geforscht – natürlich auch hier in Deutschland. Die Helmholtz-Gemeinschaft baut ihre Forschung auf diesem wichtigen Feld nun weiter aus.
Seit Sommer 2019 arbeiten die Wissenschaftler der unterschiedlichen Fachbereiche der Helmholtz-Gemeinschaft daran, Lösungen zu finden um das Klima zu retten. „Wir stöpseln dafür all unsere Wissenswellen zusammen. Zu definieren, an welcher Stelle wo welcher Bereich etwas mitentwickeln könnte, ist sehr spannend", sagt Georg Teutsch, der wissenschaftliche Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig, der die Klimainitiative leitet. „Das große Ziel ist: Welchen Beitrag kann man aus der helmholtzschen Richtung dazu bringen, die Netto-Emission in Deutschland, Europa und weltweit auf Netto null zu bringen? Was gibt es da?" Die Klimainitiative erforscht also mit einem interdisziplinären Ansatz Anpassungsmöglichkeiten an ein verändertes Klima und Strategien zur Reduzierung von Emissionen.
Helmholtz leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Beiträge in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Materie sowie Luftfahrt, Raumfahrt und Verkehr. Mit mehr als 40.000 Mitarbeitern in 19 Forschungszentren könnte das einen großen Mehrwert zur Klimadebatte beisteuern. „Immer mehr Waldbrände in Brandenburg, schwere Unwetter in Deutschland, schmelzendes Eis in der Arktis – weltweit sehen wir die katastrophalen Folgen des Klimawandels", sagt Otmar D. Wiestler, der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft. „Die Wissenschaft befasst sich seit Langem damit. Doch jetzt gehen wir einen Schritt weiter." Angelegt ist das seit Juli laufende Projekt zunächst auf zwei Jahre. „Wir haben die Initiative erst mal ganz breit gestartet", sagt Georg Teutsch. „Wir wollen schauen, erst mal die niedrig hängenden Früchte abzugreifen, wie man so schön sagt, und in der nächsten Phase in einem langfristigen Projekt Politik, Wirtschaft und so weiter einbinden."
Reduzierung von Emissionen
Man müsse sich fragen: Welchen Baum muss ich pflanzen, der in 80 Jahren noch leben soll? Wie muss ein Gebäude zukünftig gebaut sein, auch privat, das energieeffizient sein soll, aber im Sommer auch genug Durchlüftung bringt? Wie können wir den Wasserbedarf in der Landwirtschaft decken, wenn es drei, vier Monate keinen Niederschlag gibt? „Dazu befassen sich unsere Forscher mit konkreten Konzepten und Ideen für technische Lösungen", sagt Teutsch. „Zum Beispiel geht es darum, wie man CO₂ gezielt aus der Luft entfernen kann oder wie man eine Untergrundspeicherung optimieren kann." Unbedingt notwendig sei es nämlich, Negativemissionen zu erreichen. „Wir wollen bis zum Jahr 2050 die Nettonull erreichen, also keine Emissionen mehr haben. Damit das möglich ist, müssen wir CO₂ aktiv aus der Atmosphäre entfernen", ist sich Teutsch sicher und geht auf die von der Politik geforderten Klimaziele ein: „Die Weltgemeinschaft hat sich beim UN-Klimatreffen in Paris im Jahr 2015 darauf geeinigt, die Erwärmung unseres Planeten möglichst auf plus 1,5 Grad, maximal aber auf plus zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, dürfen wir keine Zeit mehr verlieren", sagt er. „Der Klimawandel und seine Folgen sind real. Sie haben zahlreiche Ursachen und wirken sich auf viele unserer Lebensbereiche aus."
Die Helmholtz-Klimainitiative teilt sich in zwei Schwerpunktbereiche, sogenannte Cluster, auf: „Reduzierung von Emissionen" und „Anpassung an Klimafolgen". Im ersten Cluster will Helmholtz wissenschaftliche Beiträge zu einer Roadmap erarbeiten, die aufzeigt, wie Deutschland bis zum Jahr 2050 seinen Ausstoß von Kohlendioxid-Emissionen auf Netto null reduzieren könne. Die Bewertung der derzeit vielversprechendsten Beiträge zu einer nationalen Nettonull-Strategie und die transparente Darstellung von Forschungsergebnissen soll das erste Cluster die öffentliche und politische Debatte über die CO₂-Neutralität auf mehreren Ebenen vorantreiben. In diesem Rahmen werden in einer konkreten Fallstudie auch Wege zur Klimaneutralität der Helmholtz-Gemeinschaft entwickelt. Das Cluster dient somit als eine Pilotstudie zur Entwicklung von Instrumenten und Lösungen, die für eine nationale Nettonull-Roadmap und Deutschlands CO₂-Neutralität bis 2050 benötigt werden.
Forschung nach Wegen zur Klimaneutralität
Im zweiten Cluster gehe es etwa darum, Anpassungsmöglichkeiten in diversen Lebensbereichen wie der Gesundheit, der Landwirtschaft, der Energieversorgung oder dem Verkehr zu erforschen. In beiden Clustern werde man zudem den Dialog mit der Gesellschaft und den engen Schulterschluss mit bereits bestehenden Initiativen sowie anderen Wissenschaftsorganisationen im Bereich der Klimaforschung suchen, sagt Teutsch. „Wir werden uns Wirkungsketten ansehen und Statistiken über die Eintrittswahrscheinlichkeit von Extremjahren wie 2018 oder 2003. Dann werden wir schauen, wie sich das im Agrarsektor abbildet, im Wassersektor, in den Ökosystemen, im urbanen Bereich oder in Waldsystemen." Die Forscher wollen dabei auf eine zusammengesetzte Expertise aus der Klimatologie zurückgreifen. Etwa auf solche Studien, die sich mit dem sogenannten Jetstream beschäftigen, der besonders für solche Block-Wetterlagen verantwortlich ist, also für stabile Hochs aus Nordeuropa, die dazu führen, dass über lange Zeit kein Niederschlag fällt. „Es kommt dann in Extremjahren vor, dass man vom Frühjahr bis zum Sommer keinen Regen hat, und man schaut dann, welche Auswirkungen das hat", sagt Teutsch, der berichtet, dass das Jahr 2018 im Durchschnitt 2,1 Grad wärmer war als ein Jahr vor der präindustriellen Zeit um 1900. „Wenn man also wissen will, wie zwei Grad Erwärmung aussehen, die wir laut Klimaabkommen nicht überschreiten wollen, dann muss man sich das Jahr 2018 ansehen." In Zukunft, fürchtet Teutsch, werde das der Normalfall sein: „Wir werden einen Großteil unserer landwirtschaftlichen Flächen auch in Deutschland bewässern müssen. Schauen Sie sich den Sommer 2018 an. Die Flüsse hatten sehr wenig Wasser, und es war sehr warm. Auch in unseren Kraftwerken werden wir einen wesentlichen Teil der Energieproduktion einschränken müssen. In den Wäldern hatten wir 2018/19 erhebliche Einbußen. Die Trockenheit haben die Fichten nicht ausgehalten."
Ebensolche Wirkungsketten untersuchen die Helmholtz-Wissenschaftler und halten sie in „Pictures of the Future" fest – einem Ausblick ins Jahr 2100 verbunden mit der Frage, welche Maßnahmen man treffen muss, um die schlimmsten Szenarien zu verhindern. Erste Forschungsergebnisse hatte Teutsch beim Start im Juli 2019 bis zum kommenden Sommer erwartet. Doch schon jetzt zeichnen sich Szenarien ab, die die Forscher konstruiert haben: „Wir können zeigen, wie die Entwicklung der Oberflächengewässer sich in einem Klimawandel abzeichnet. Wir müssen unbedingt die Eutrophierung vermeiden, also die Veralgung", sagt Teutsch. „Wir hatten 2018 erstmals eine komplette Veralgung der Elbe. Das gab es vorher noch nie, dass sich im gesamten Sommer der Algenbefall von der Tschechischen Grenze bis nach Hamburg durchgezogen hat. Diese Erkenntnis kann man jetzt verwenden um zu überlegen, wie man Fließsysteme verändert, damit so etwas nicht mehr eintritt." Auch für die Auswirkungen zusätzlicher Wärmebelastung in Städten gibt es erste Szenarien. „Wir beschäftigen uns damit, wie man flächendeckende Begrünungen schaffen kann, um Städte zu kühlen", berichtet Teutsch.
Oftmals kein Klimaschutz in anderen Ländern
Doch wird all das helfen, um den Planeten zu retten? „Ich bin zumindest eher pessimistisch, dass es uns gelingt, die Ziele der Zwei-Grad-Erwärmung einzuhalten", gibt Georg Teutsch zu. „Es gibt immer zwei Seiten der Medaille und während wir viel tun, um den Klimaschutz voranzutreiben, sind andere Länder gar nicht dabei." Dennoch müsse die Forschung auch in Deutschland ihr Möglichstes tun. Die Erderwärmung so hart wie möglich zu limitieren lasse sich nur durch eine massive Reduktion unserer CO₂-Emmissionen, eine Energiewende und allgemeinen Klimaschutz erreichen. „Und selbst dann, wenn man die angestrebte Limitierung erreicht, wird ein Anpassungsbedarf massiv nötig sein." Immer häufiger gebe es heiße Sommer und niederschlagsreiche Winter. Die Varianz des Wetters werde immer größer. „Man muss diese Unterschiede ernst nehmen und sich überlegen, was man auch technologisch dagegen tun kann", sagt Teutsch. Seine Initiative macht einen guten Anfang. Helmholtz investiert in der Pilotphase zwölf Millionen Euro aus dem Impuls- und Vernetzungsfonds des Präsidenten. Ein positives Ergebnis der Pilotphase könnte ein wichtiges Signal sein, um wissenschaftlichen Nachwuchs für das Thema Klimaforschung zu gewinnen.