Für Maximilian Schachmann verlief der Saisoneinstieg höchst vielversprechend. Der Berliner Radrennprofi fährt in diesem Jahr ein straffes Programm – die Tour de France ist aber nicht dabei.
Als Zweiter steht man immer ein wenig im Schatten des Siegers, und Maximilian Schachmann erging das bei der Algarve-Rundfahrt nicht anders. Die internationalen Medien interessierten sich kaum für den gelungenen Saisoneinstand des gebürtigen Berliners, sondern fast ausschließlich für Remco Evenepoel, der in der Radsportszene schon als „Belgiens Wunderkind" gefeiert wird. Der erst 20-Jährige triumphierte bei der fünftägigen Schinderei dank eines Siegs im abschließenden Zeitfahren, bei dem er seinem Widersacher Schachmann auf 20,3 Kilometern insgesamt 28 Sekunden abnahm. Es war Evenepoels erster Rundfahrt-Erfolg, und glaubt man den Experten, dann werden noch viele weitere folgen – auch bei bedeutenderen und längeren Schleifen. Der Überflieger, der mit 16 Jahren noch in der belgischen Fußball-Juniorenauswahl gespielt hat, gilt spätestens seit seinem zweiten Platz im Einzelzeitfahren bei der Straßenrad-WM als „neuer Eddy Merckx", wie es unter anderem Rekord-Weltmeister Tony Martin ausdrückte.
Schachmann kennt diesen Hype, auch ihm wurde von Medien und Experten schon früh eine große Karriere vorausgesagt. Doch ganz so frühreif wie Evenepoel, der die U23-Klasse übersprungen hat, weil er die Konkurrenz dort demontierte, war Schachmann nicht. Sein Aufstieg zu einem Profi von internationalem Format war weniger steil, dafür stetig. Spätestens mit dem Triumph bei einer Bergetappe beim Giro d’Italia vor zwei Jahren gehört Schachmann zur erweiterten Weltspitze. Bei der Tour de France war der Profi des deutschen Rennstalls Bora-Hansgrohe daher im vergangenen Jahr mit großen Erwartungen an den Start gegangen – doch ein schwerer Sturz beendete den Traum vom Tagessieg und der Ankunft in Paris. „Der Sturz war ärgerlich", sagte der deutsche Straßenradmeister im rbb. „Normalerweise steht man wieder auf und wischt sich den Straßendreck ein bisschen von den Wunden. Bei mir war ein Gitter im Weg und ich habe mir drei Knochen gebrochen." Die Folge: Tour-Abbruch, Handoperation, lange Pause. Doch das Wichtigste: Keine Spätfolgen, keine Angst. „Mental habe ich das gut weggesteckt", versichert Schachmann. Schon eine Woche nach dem Unfall habe er wieder auf dem Rollentrainer gesessen und an seinem Comeback gearbeitet. Äußerlich erinnert ihn noch eine Narbe an der Hand an den Unfall, „und ich spüre es noch ein bisschen im kleinen Finger". Vor allem beim Bremsen habe er sich anfangs schwer getan, „weil man auch Muskulatur verliert".
Schon früh große Karriere vorausgesagt
Doch auch das ist viel besser geworden, der gute zweite Platz bei der Algarve-Rundfahrt bestätigt ihn. „Ich bin mit dem Ergebnis zufrieden", sagt Schachmann, der einen zweiten und zwei vierte Plätze einheimste. „Das gibt mir auch Zuversicht für meine bevorstehenden Einsätze." Denn erst nach den Rennen im März weiß der Berliner, wo genau er in der noch jungen Saison steht. Schon beim Strade Bianche am 7. März gehe es „richtig zur Sache", glaubt Schachmann, der trotzdem auch ein Auge nach links und rechts werfen will: „Ein tolles Rennen in der Toskana, bekannt für seine weißen, unbefestigten Straßen." Danach stehen für ihn das Tirreno-Adriatico und die Katalonien-Rundfahrt an, „das sind schon die ersten Höhepunkte für mich".
Schachmann fühlt sich dafür gewappnet. Insgesamt drei Trainingslager hat er absolviert, unter anderem in der Sierra Nevada in Spanien. Dort schuftete er auf 2.320 Metern Höhe in einem sogenannten Performance Center. „Bis jetzt bin ich über dem Soll", sagt er. „Ich hoffe, die Form kommt nicht zu früh." Das bereitet ihm sogar ein wenig Sorge, denn seine Saisonhöhepunkte kommen erst noch.
Anders als im Vorjahr startet Schachmann nicht bei der diesjährigen Tour de France (27. Juni bis 19. Juli). Sein Sturz im Vorjahr spielt bei der Entscheidung keine Rolle, sein Team Bora-Hansgrohe braucht seine Qualitäten bei anderen wichtigen Rennen. Ende April beim Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich zum Beispiel, oder beim Giro d’Italia und der Vuelta.
Zwischen den beiden großen Rundfahrten nimmt Schachmann auch noch an den Olympischen Sommerspielen in Tokio teil. Ein Erlebnis, dass der Berliner unter keinen Umständen verpassen wollte. „Deshalb verzichte ich dieses Jahr auch auf die Tour de France", sagt er. Der Deutsche Meister freut sich sehr auf die Stimmung unter den Athleten im olympischen Dorf, auf das spezielle Klima in Japan dagegen weniger. „Es wird sehr heiß sein, bei sehr hoher Luftfeuchtigkeit", sagt er. „Ich will mir die Zeit nehmen, mich an diese Bedingungen zu gewöhnen."
Mentale Stärke sieht er als seine wahre Begabung
Schachmann, der Perfektionist. Er überlässt nichts dem Zufall, er arbeitet fast wie besessen an seiner Form und tüftelt am jeweiligen Rennplan. „Ein gewisses physisches Talent habe ich schon", sagt er, aber seine wahre Begabung sei seine „mentale Stärke". Und weiter: „Weil ich in der Lage bin, über einen langen Zeitraum sehr akribisch und diszipliniert zu arbeiten." Als seine Mutter 2018 an Krebs erkrankt war und sich einer Chemotherapie unterziehen musste, „habe ich sie trotzdem kaum gesehen", berichtet Schachmann. Entbehrungen gehören zu seinem Beruf. „Das ist nicht mehr nur Talent, Talent haben alle in dieser Klasse, in der man sich bewegt. Es ist knallharte Arbeit und Entbehrung", so Schachmann.
Und trotzdem wird er wohl nie ganz an seinem Ziel ankommen: der Gesamtsieg bei der Tour de France. „Es war immer das, was mich fasziniert hat, auch als junger Knirps vorm Fernseher", sagte er einmal über den Kampf ums Gelbe Trikot. Doch für den ganz großen Coup fehlen ihm die Kletterkünste – anders als seinem Kapitän Emanuel Buchmann, der im Vorjahr als Tour-Vierter glänzte. Auf mittelschweren Etappen oder in den Klassikerrennen ist Schachmann aber einer, der bei allen anderen Teams als gefährlicher Konkurrent auf dem Zettel steht. Das richtige Timing für den Angriff aus dem Feld ist für ihn nach wie vor eine hohe Kunst: „Wenn ich mich gut fühle, dann muss ich mir selbst immer sagen: ‚Warte, warte, bald wird sich eine Gelegenheit ergeben‘."
Trotz allem Ehrgeiz hat ihn das Radrennfahren auch Geduld und Demut gelehrt. Der Überhöhung im Spitzensport kann er überhaupt nichts abgewinnen. „Ich fahre nur Rad und unterhalte Leute", so Schachmann. „Wenn ich nicht schnell fahre, fährt jemand anders schnell und die Leute haben auch Spaß. Das ist wie ein Spiel." Aus demselben Grund nimmt er auch die Doping-Verdächtigungen, die bei Radrennprofis seit der dunklen Epo-Ära unter Lance Armstrong stets mitfahren, gelassen. „Man muss das mit einer gewissen Distanz betrachten", meint er, „damit einen das nicht deprimiert."