Gil Ofarim singt auf seinem neuen Album „Alles auf Hoffnung" mit rauchiger Stimme von Veränderung, Abschied, Trennung und Schmerz. Neben einer eigenen Konzerttournee geht Ofarim dieses Jahr mit dem Theaterstück „Der Tod auf dem Nil" nach Agatha Christie auf Reisen.
Herr Ofarim, „Egal wie tief du fallen magst, die Kunst liegt darin, wieder aufzustehen", heißt es in „Freiheit in mir". Muss man in Ihrem unsteten Beruf viel einstecken können?
Natürlich! Ich bin nun mal Künstler. Ich singe, ich schreibe, ich bin Musiker und Schauspieler. Ich darf ein privilegiertes Leben leben. Aber es hat viel mit Höhen und Tiefen zu tun. Ich habe in den vergangenen Jahren sehr viel gesehen, erlebt und gemacht. Ich lasse das raus, indem ich Texte schreibe und Songs aufnehme. Das ist mein Ventil. Wenn du nicht aufstehst, was wäre die Alternative? Aufgeben? Nein, du musst aufstehen!
Die melancholische Ballade „Pierrot" über einen tragischen Entertainer sticht heraus. Wie lautet Ihre Grundeinstellung als Künstler?
Ich habe dieses Album in einem Jahr geschrieben, aber mich mein ganzes Leben darauf vorbereitet. Eigentlich wollte ich das Album indiemäßig herausbringen, aber dann habe ich eine Major Company gefunden, die mir absolute künstlerische Freiheit gewährte. Ich wollte mich weiterentwickeln und noch etwas anderes von mir sehen. Irgendwann fiel bei einer Listening Session der Satz: „Gil, geh dahin, wo es wehtut!" Danach ist bei mir der Knoten geplatzt und ich habe wirklich alles rausgelassen. Ich wusste, dass ich eines Tages über die Geschichte mit meinem Vater schreiben werde. Mit „Ein Teil von mir" habe ich damit angefangen, die Geschichte damit aber nicht wirklich erklärt.
Wie ähnlich sind Sie Ihrem Vater?
In meinem Spiegelbild sehe ich Dinge, die mich an ihn erinnern. Mein Lachen ähnelt dem seinen. Irgendwann traf ich mich in Münster mit dem ehemaligen Sänger von Jupiter Jones, Nicholas Müller, und Christoph Hessler von The Intersphere. Es war ein arschkalter, komischer Tag, aber ich stellte mir vor, Papa wäre mit uns in einem Zimmer. Ich habe dann alles rausgelassen und der Song kam wie von Geisterhand zu mir. Im Anschluss ist uns spontan die Nummer „Pierrot" eingefallen. Es ist vielleicht das Ehrlichste, was ich je gemacht habe. Es gibt in jedem von uns einen Pierrot, weil man irgendeine Last zu tragen hat oder gute Miene zum bösen Spiel macht. Das Publikum will von mir eine gute Show haben, also ziehe ich das durch. Aber manchmal fällt es mir schwer; in dem Moment bin ich Pierrot. Der Song ist eine ungeschnittene Live-Session. Mir stockte sogar einmal die Stimme.
Sie singen auch, dass Sie sich nicht verbiegen lassen. Hat man dies früher oft versucht?
Ich schätze diesen Job mehr denn je, aber am Ende des Tages ist es leider auch ein Geschäft, bei dem jeder etwas verdienen will. Kunstmachen geht nicht immer Hand in Hand mit Geldverdienen. Ich wollte aber weder Fremdkompositionen singen noch I-Love-You-Songs schreiben, sondern mich weiterentwickeln.
In Bangkok musste Ihretwegen einmal der gesamte Flughafenterminal gesperrt werden, weil dort 10.000 Fans standen. Wie sehen Sie Ihre Zeit als Teeniestar rückblickend?
Ist es richtig, dass ein 14-Jähriger weniger die Schulbank drückt, um in Fernsehstudios rumzusitzen, durch die Weltgeschichte zu reisen und Konzerte zu geben? Ich weiß es nicht, aber das ist meine Geschichte. Ich darf diesen Beruf heute immer noch ausüben. Rückblickend habe ich keine Fehler gemacht, ich habe eher daraus gelernt. Ich habe mir dieses Leben immer gewünscht, schon in meinem Kinderzimmer habe ich ganze Tourneen gespielt. Später war ich glücklich, als ich das wirklich machen durfte, gleichzeitig war ich nicht darauf vorbereitet. Das ist man nie.
Haben Sie Ihren Vater über seine wilde Zeit ausgefragt?
Natürlich. Ich war damals noch minderjährig, weshalb Papa als Erziehungsberechtigter und Manager dabei war. Er kannte die Verlockungen und Gefahren des sogenannten Haifischbeckens. Es war nicht Zuckerbrot und Peitsche, aber er war in vielerlei Hinsicht sehr streng als Manager und als Vater.
Waren Sie als Teenager aufsässig und rebellisch?
Ja natürlich. Gerade als Teenie ist das, was gestern noch wichtig war, heute überhaupt nicht mehr spannend. So reift man.
Leben Sie heute in Ihrer Musik wie in einem eigenen Universum?
Ich würde nicht sagen, dass ich da niemanden reinlasse. Ich habe bei der Platte ja bewusst auch mit anderen Menschen gearbeitet, weil ich mich weiterentwickeln wollte. Mit Christian Neander zum Beispiel, dem Gitarristen von Selig, habe ich „Ein Teil von mir" geschrieben. Ich danke meiner Plattenfirma, dass sie mir das ermöglicht hat.
Was ist Ihnen persönlich wichtig in Ihrem Business?
Ich tue was ich will in der Musik, in der ich mich ausdrücke. Alles steht und fällt mit Streams und Verkäufen, Likes und Followern, aber ich konnte die Platte machen, die ich immer machen wollte. Das macht mich glücklich. Eine Karriere funktioniert auf Dauer nur, wenn man authentisch und ehrlich zu sich selbst ist.
Wie würden Sie Ihren Ton, Ihre Persönlichkeit beschreiben?
Ich bin mal laut, mal leise, mal hart, mal zart. Ich kann nicht nur eine Schublade bedienen. Meine Platte ist nicht deshalb so vielseitig, weil ich alle möglichen Genres bedienen will, sondern weil ich wirklich so bin. Im Herzen bin ich Rocker, gleichzeitig tanze ich für mein Leben gerne. Ich mag authentische Balladen und sogar klassische Musik.
Sie wirken auch an der Theaterfassung von Agatha Christies „Der Tod auf dem Nil" mit. Der Stoff aus dem Jahr 1937 handelt von einer Liebesdreiecksbeziehung, die mit einem Mord endet. Wie nahe ist Ihnen die Figur des attraktiven, jedoch zwielichtigen Simon Doyles?
Mit Simon verbindet mich persönlich nicht viel. Die Herausforderung für mich als Schauspieler war, eine Figur zu verkörpern, die mir nicht so nahe ist. Aber ich kann meine Interpretation dieser Figur mit einbringen. Ich wollte unbedingt wieder Theater spielen. Ein lustiger Zufall, dass das alles zur gleichen Zeit passiert. Aber da stehe ich halt wieder auf und mache weiter.
Von wem waren Sie als Kind mehr fasziniert – den Guten oder den Bösen?
Ich war immer Fan der Guten. Auch wenn heute durch „Star Wars" dunkle Figuren wie Darth Vader heroisiert werden. Den Bösen zu spielen ist einfach die größere Herausforderung.
Haben Sie sich zur Vorbereitung auf die Rolle die berühmte „Tod auf dem Nil"-Verfilmung aus dem Jahr 1978 angesehen?
Ja klar, mit Peter Ustinov in der Hauptrolle. Wir spielen den Stoff ein wenig anders, aber sehr anspruchsvoll. Bei uns gibt es Flashbacks und wahnsinnig viele Wechsel auf der Bühne. Jeder Schauspieler muss nicht nur seine Rolle verinnerlicht haben, sondern sich auch sehr gut merken, wann er wo auf und ab geht. Bei uns kommt man nicht so schnell darauf, wer der Mörder ist. Das Spannende an der Geschichte ist ja, dass jeder verdächtig ist.
Haben Sie Lampenfieber, wenn Sie als Schauspieler auf einer Bühne stehen?
Ich weiß nicht, ob es Lampenfieber ist. Ich verspüre natürlich diese Aufregung im Bauch, aber ich freue mich. Ich mache es wegen des Nervenkitzels. Solche Herausforderzungen sind manchmal wirklich kräftezehrend, aber ich liebe das. Ich bin eher dankbar dafür, dass ich dieses Leben leben darf, als dass ich mich beschwere.
Sie haben weder eine Schauspielausbildung noch eine Sprecherausbildung. Wie haben Sie sich die Schauspielerei beigebracht?
Wenn du in diesem Geschäft anfängst zu arbeiten, bist du gezwungenermaßen manchmal auch ein Schauspieler. Und damit kommen wir wieder zu Pierrot, der nach außen etwas vorgeben muss, wonach ihm gerade gar nicht ist. Um es mit Freddie Mercurys Worten zu sagen: „The Show must go on!" Ich mache einfach, es hilft ja nichts. Aber das ist dann wieder das Futter für meine Songs.
Spiegeln sich die Dramen Ihres Lebens in der Musik wider?
Ich würde sagen, dass mein Leben nicht nur dramatisch ist, aber in diesem Album ist einiges Autobiografisches mit drin. Mir ist wichtig, in den Texten nicht alles auf mich zu beziehen. Es geht auch um die Menschen, die ich kennenlerne und die Geschichten, die ich höre. Ich bin mir sicher, jeder Künstler versucht, Ihnen sein neuestes Album als den heißesten Scheiß zu verkaufen. Für mich ist es aber wirklich so. Ich habe auf dieses Album mein Leben lang hingearbeitet. Ich frage mich manchmal, ob in den letzten Jahren alles so sein musste, damit ich diese Platte schreiben konnte. Deswegen ist es auch okay so, wie es ist.
Waren die letzten Jahre eine besonders intensive Zeit für Sie?
Ja, sie waren sehr turbulent mit Höhen und Tiefen. Ich musste vieles bewältigen, Abschied nehmen und Trennungen durchleben. Aber ich habe dadurch auch viel gewonnen und vieles schätzen gelernt.
Zum Beispiel?
Das Leben, Menschen, Freunde, Gesundheit. Einfach sein zu können.
Lieder zu schreiben und Konzerte zu geben hat ja etwas Rauschhaftes. Wie süchtig sind Sie nach diesem Gefühl?
Süchtig ist ein sehr starkes Wort. Es gibt nichts Größeres für einen Künstler, als auf der Bühne zu stehen und zu sehen, dass er anderen Menschen mit seiner Arbeit etwas geben kann. Das ist die Energie meines Lebens. Es macht süchtig und gleichzeitig Mut, weil ich damit auch anderen helfe. Ich lese nicht alle Kommentare in den sozialen Medien, aber die Briefe, die ich bekomme. Darin erzählen mir Menschen von Situationen, in denen ihnen meine Musik geholfen hat. Ein größeres Geschenk gibt es nicht.
Funktioniert eine Karriere heute noch ohne Social Media?
Ich habe gelernt: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Die sozialen Medien sind ein Segen und ein Fluch. Man kann durch sie viel erreichen, aber heutzutage sind alle Meinungen komprimiert auf einen Raum. Dadurch macht man sich angreifbar, aber es gehört zu diesem Beruf einfach dazu. Alles hat seine Vor- und Nachteile.
Es gab in Ihrer Kindheit Hakenkreuze auf der Schulbank und Hundekot in Ihrem Briefkasten. Müssen Sie heute noch antisemitische Schmähungen über sich ergehen lassen?
Ich bin nicht der Klischee-Jude, was auch immer dieses schlimme Wort bedeutet. Man sieht es mir nicht an. Es ist letzten Endes auch egal, ob ich Jude, Christ, Hindu oder Moslem bin. Anlässlich des Umzugs der amerikanischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem und der Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt Israels war ich in einer Politsendung zu Gast. Danach habe ich viele Hasskommentare und persönliche Beleidigungen bekommen. Dergleichen widerfährt mir nicht jeden Tag. Wir leben aber in einer Zeit, in der wir uns ernsthaft fragen müssen, was hier in diesem Land passiert.
Was kann man gegen Antisemitismus tun?
Wenn ich das wüsste, hätte ich es längst rausposaunt. Ich habe keine Ahnung. Ich bin nicht in Schockstarre verfallen, aber ich stelle schockiert die Frage: Haben wir nicht aus der Vergangenheit gelernt? Die Generation, die den Holocaust leider noch miterleben musste, stirbt bald aus. Und die Leugner haben ein Sprachrohr: Social Media. Sie verstecken sich hinter Fake Accounts. Auf diese Art und Weise sind Menschen wieder so leicht manipulierbar wie 1933. Ich glaube, wenn es Leben im All gibt, dann wollen diese Wesen mit uns zurückgebliebenen Menschen nichts zu tun haben. Denn wir Idioten bekriegen uns selbst.