Die weltweiten Emissionen des Ozonschicht-Zerstörers Distickstoffmonoxid haben sich seit 2009 drastisch erhöht. Hauptverantwortlich dafür ist die übermäßige Stickstoffdüngung in der modernen Landwirtschaft.
In den stetig hitzigeren Diskussionen rund um den Klimawandel spielt das Distickstoffmonoxid, besser bekannt unter dem Namen Lachgas, noch immer eine kleine Nebenrolle. N₂O ist ein eminent gefährliches Treibhausgas, rund 300-mal klimaschädlicher als das gefürchtete Kohlendioxid, besitzt im Unterschied zu diesem allerdings nur eine vergleichsweise kurze Atmosphären-Verweildauer von rund 120 Jahren. Der Beitrag des Lachgases, das in der Medizin auch als Narkosemittel eingesetzt wird, am globalen Treibhauseffekt wird aktuell auf sechs bis neun Prozent taxiert. Nicht zu vergessen, dass N₂O gewissermaßen in die Fußstapfen der Fluorchlorkohlenwasserstoffe als potenter Ozonschicht-Killer getreten ist.
Aber selbst dem Weltklimarat IPCC ist es offenbar nicht aufgefallen, dass sich die Lachgas-Emissionen speziell in den letzten gut zehn Jahren drastisch erhöht haben. Dafür gibt es laut dem Klima- und Umweltphysiker Prof. Fortunat Joos von der Universität Bern nur eine einleuchtende Erklärung: nämlich, das die entsprechenden Angaben „in den nationalen Klimaberichten an die UN um rund 70 Prozent zu niedrig" waren. Der sogenannte Emissionsfaktor, der angibt, welche prozentualen Mengen an im Dünger enthaltenem Stickstoff als Lachgas in die Atmosphäre entweichen, liegt daher deutlich oberhalb des vom IPPC bislang taxierten Wertes von 1,375, nämlich bei 2,3, wie einer aktuellen Studie entnommen werden kann. Diese stammt von einem Forscherteam rund um Rena Louise Thompson vom Norsk Institut für Luftforschung im norwegischen Kjeller und wurde im Fachmagazin „Nature Climate Change" veröffentlicht. Hauptverantwortlich für den Anstieg des Emissionsfaktors ist die globale Landwirtschaft, durch die laut den Wissenschaftlern Lachgas in deutlich größeren Mengen in die Atmosphäre gelangt, als bislang angenommen wurde. Das sei, so die Forscher, die traurige Kehrseite der enorm ertragssteigernden Stickstoffdünger in der modernen Agrarwirtschaft.
Auch in Deutschland ist laut Angaben des Umweltbundesamtes die hiesige Landwirtschaft der Verursacher von 80 Prozent der Lachgas-Emissionen – ein zu hoher Wert, der künftig dringend laut der Behörde durch effiziente Maßnahmen minimiert werden muss. Das nehmen die deutschen Bauern sicherlich nicht gern zur Kenntnis. Denn der Rückgang der hiesigen Lachgas-Emissionen infolge des 1997 verabschiedeten Kyoto-Protokolls ging vornehmlich auf entsprechende Produktionsumstellungen in der chemischen Industrie zurück, die dadurch ihren Anteil an den hiesigen Lachgas-Emissionen von knapp einem Drittel auf heute nunmehr drei Prozent senken konnte. Die Landwirtschaft hat sich kein Beispiel an der Chemie-Branche genommen, sondern trägt hauptsächlich zum seit zehn Jahren etwa konstanten Ausstoß von knapp unter 130 Tausend Tonnen Lachgas pro Jahr in Deutschland bei.
Agrarwirtschaft muss unbedingt handeln
Dennoch ist die Bundesrepublik in Sachen Lachgas aus Sicht des Forscherteams um Rena Louise Thompson weltweit nicht der Problemfall, genauso wenig wie das restliche Europa oder die USA. Denn während in diesen Regionen die Emissionen in den letzten Jahren weitgehend stabil geblieben sind, sind sie vor allem in Ostasien und Südamerika mit China, Indien, Nepal, Bangladesch und Brasilien an der Spitze rapide angestiegen. Die Forscher sahen einen klaren Zusammenhang zwischen den lokal verwendeten Mengen an Stickstoffdüngern, den daraus resultierenden Überschüssen an Stickstoff in der Landwirtschaft und den regionalen Emissionswerten an Lachgas. Stickstoff ist das wesentliche chemische Element in Düngemitteln. Wenn es nicht von den Pflanzen aufgenommen wird, kann daraus im Boden unter Sauerstoffmangel durch Zersetzungsprozesse Lachgas entstehen, das in die Atmosphäre entweicht. N₂O kann sein Entstehen allerdings neben anthropogenen auch natürlichen Quellen verdanken, beispielsweise nährstoffreichen aufsteigenden Strömungen in küstennahen Ozean-Gewässern. Laut dem deutschen Klimawissenschaftler Clemens Scheer vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung des Karlsruher Instituts für Technologie macht ein übermäßiger Einsatz von Stickstoffdüngern in der Landwirtschaft überhaupt keinen Sinn, weil nur etwa 40 Prozent des heute weltweit mittels Kunstdünger in die Natur eingebrachten Stickstoffs tatsächlich von den Nutzpflanzen aufgenommen werden könne.
Das Team um Thompson überprüfte durch Auswertung eines globalen Netzwerkes von N₂O-Messstationen, wie sich die Lachgas-Konzentration in der Atmosphäre im Zeitraum zwischen 1998 und 2016 verändert hatte und warf auch noch einen vergleichenden Blick auf die vorindustrielle Ära. Ergebnis: Seit Beginn der Industrialisierung stieg der Jahresmittelwert der Lachgas-Konzentration von 270 ppb auf 330 ppb im Jahr 2017, wobei ein ppb als Maßeinheit für ein Molekül Lachgas pro einer Milliarde Moleküle trockener Luft steht. Vor Beginn des Industriezeitalters war der Lachgas-Anteil in der Atmosphäre Jahrtausende lang unverändert geblieben. Vor allem in den letzten 20 Jahren ist den Wissenschaftlern zufolge die N₂O-Konzentration stark angestiegen, die Wachstumsrate, die zwischen 2000 und 2005 noch bei 0,6 ppb gelegen hatte, kletterte zwischen 2010 und 2015 bereits auf 0,98 ppb. Mengenmäßig erhöhten sich die Lachgas-Emissionen von jährlich 16,3 Millionen Tonnen (im Zeitraum von 2000 bis 2005) auf 17,9 Millionen Tonnen (für die Jahre 2010 bis 2015). Besonders stark haben die globalen Lachgas-Emissionen ab dem Jahr 2009 zugenommen.
Thompson und ihr Team weisen darauf hin, dass dringend Maßnahmen ergriffen werden müssen, um den übermäßigen Stickstoff-Eintrag in Böden verringern zu können. Das würde dem Grundwasser, den Böden sowie dem Klima zugutekommen. Auch der nicht an der Studie beteiligte Prof. Fortunat Joos sieht starken Handlungsbedarf: „Dieser fortgesetzte Anstieg in den Lachgas-Emissionen ist sehr beunruhigend, da ansteigende Treibhausgas-Emissionen den Zielen des Klimaabkommens von Paris entgegenlaufen und eine steigende Verwendung von Stickstoffdüngern auch lokal die Umweltbelastungen erhöht." Eine ähnliche Einschätzung kam auch von Clemens Scheer und seinem Kollegen Klaus Butterbach-Bahl vom Karlsruher Institut für Meteorologie und Klimaforschung. Die Verringerung von Stickstoffüberschüssen in der Agrarwirtschaft sei ein absolutes Muss, auch wenn die Versorgung der wachsenden Weltbevölkerung mit Lebensmitteln natürlich gewährleistet sein müsse: „Wahrscheinlich sehen wir erst die Spitze des Eisbergs, da Stickstoff in der Biosphäre in den letzten Jahrzehnten massiv akkumulierte. Es ist sicherlich nicht möglich, Netto-Null-N₂O-Emissionen aus anthropogenen Quellen zu erreichen, aber es besteht ein sehr hohes Potenzial, diese Emissionen zu verringern. In Hinblick auf die wachsende Weltbevölkerung und den damit einhergehenden Nahrungsmittelbedarf ist das sicherlich eine der größten Herausforderungen unserer Zeit."