Autor Christian von Aster erzählt im Interview zu seinem Buch „Vier Füße für ein Halleluja" von seinem Verhältnis zur Kirche und seinen Träumen.
Christian von Aster bezeichnet sich selbst als „literarischen Hedonisten“ und „Genregrenzensaboteur“ während andere ihn als „satirisches Gesamtkunstwerk“ betiteln. Die Online-Enzyklopädie Wikipedia formuliert es um einiges schnöder: Schriftsteller, Regisseur und Drehbuchautor. Beim Versuch einer Annäherung zeigt sich, dass die Welt von Christian von Aster vielschichtig ist. Sie hat viele dunkle Seiten, aber auch jede Menge phantastische und humorvolle. Allerlei Fabelwesen und Bösewichte leben darin. Die Sprache, die im von-Aster-Land gesprochen wird, klingt deutsch, aber die Wortwahl ist gehoben, die Formulierungen sind kunstvoll verschlungen. Was bei anderen zur elitären Schwurbelei werden würde, ist bei Christian von Aster Wohlklang in Wort und Schrift. Sein kreatives Potenzial entfaltet sich auch beim Projekt NeuDeutsch 2.0., das mit neuen Wortkreationen wie Altersanmut, Überliebenswille, Müdidation und Solalarium unterhält.
Herr von Aster, Ihr Werk ist von einem hohen Maß an Sprachfreude geprägt. Oder könnte man es eine semantische Obsession nennen?
Sprache ist meines Erachtens der Stein der Weisen. Der Schlüssel zum Leben. Mit ihr vermag man schlussendlich alles, weshalb ich ihr vor allem zärtlich zugetan bin, um ihr jenes Maß an Möglichkeiten abzutrotzen, die einem motivierten Studienabbrecher eben möglich sind. Es deutet sich allerdings immer mehr an, dass diese Zugetanheit wechselseitig und unsere Beziehung tatsächlich maßgeblich von Lust geprägt ist.
Welche Rolle spielt dabei Ihr Germanistik-Studium?
Ich war noch jung. Die Sprache schon nicht mehr. Und in jener Zeit legten meine Eltern mir nahe, dass ich ihres Erachtens das Bedürfnis haben sollte, etwas Vernünftiges zu studieren. Worauf ich einen Kompromiss wagte, der mein Leben am Ende auch im Falle eines Studienabbruchs bereichert haben würde. Kunst und Germanistik auf Lehramt. Im Bestreben, weniger das Fass zu füllen als vielmehr die Fackel anzuzünden. Wovon ich jedoch nach einigen Semestern Abstand nahm, da ich zum Schluss gelangte, dass die ganze Angelegenheit weder für die Schüler noch für mich gut ausgegangen wäre.
Ihre Liebe zum Schreiben begann schon früher. Wann haben Sie sie entdeckt?
Genaugenommen auf Umwegen. Klassischen Umwegen, wenn man so sagen will. Weil vor der Liebe zur Sprache der schnöde Wille zur zwischenmenschlichen Liebe stand und ich als kleiner übergewichtiger Junge einen Weg suchte, um andersgeschlechtliche Gleichaltrige zu beeindrucken. Da weder mein Intellekt noch meine fußballerischen Talente besonders ausgeprägt waren und meine Attraktivität in einem gesunden unteren Mittelfeld rangierte, versuchte ich mich mit 13 Jahren im Gedichte schreiben. Was ich so erfolgreich tat, dass die Gedichte mir schnell wichtiger als die Mädchen wurden.
Seitdem ist viel passiert. Die aktuelle Werk-Liste von Christian von Aster umfasst unter anderem 14 Romane und Novellen sowie Erzählungen, Sachliteratur, Comics, Kinderbücher, Hörspiele und Filme. Er hat erfolgreiche Lesereihen und zahlreiche literarische Projekte ins Leben gerufen, ist zudem Herausgeber, Schauspieler und professioneller Trauerredner und hat ein großes Märchen-Projekt gestartet.
Woher kommt diese Schaffenskraft?
Diese Frage kann ich wohl leider nicht zufrieden stellend beantworten. Ich habe - auch wenn ich beides nur in eher homöopathischem Maß genießen durfte – mit der Zeit zumindest herausgefunden, dass es mir weder um Ruhm noch Geld geht. Wobei man von beidem wohl ein gesundes Maß braucht, um Frustration und Stagnation zu entgehen. Zugleich hab ich im von verschiedenen Künstlern und Regisseuren immer wieder eine zentrale Botschaft bekommen: Wenn du etwas tun willst, frage nicht nach Erlaubnis. Frage nicht nach Geld. Wenn du etwas tun willst, tu es. Und damit fahre ich ganz gut. Weshalb ich denke, dass schlussendlich Leidenschaft das Schlüsselmoment ist. Etwas wirklich zu wollen, ist eine authentische Motivation. Geld oder Ruhm meines Erachtens nur Platzhalter.
Ihre Werke sind mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Welcher war besonders wichtig?
Vermutlich der CABINET Kabarettpreis 2006. Weil ich mich nirgends beworben, nicht mit so etwas gerechnet hatte und die Vertreter des zuständigen Komitees, als sie mich telefonisch von diesem Preis unterrichteten, ernsthaft fragte, ob sie mich verarschen wollten. Und obwohl ich Preise generell als durchaus motivierend erachte, betrachte sie jedoch, seit ich weiß, wie einige davon vergeben werden, ein wenig abgeklärter.
Dass Sie von Ihrer Kunst leben können, haben Sie auch Patreon, einer Internetplattform für Kunstförderung, zu verdanken. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Dieses Abenteuer hat, nachdem ich zwanzig Jahre für Handgeld und Freigetränke durch dieses Land getingelt bin, schlussendlich in allem gelesen habe, was drei Wände hat, dabei, während ich mich um geistreiche Subversion bemühte, hinsichtlich des Publikums weder vor angetrunkenen Hochzeitsgästen noch literophoben Kneipengästen und hinsichtlich der Auftraggeber weder vor Werbung, noch Fernsehsender zurückschreckte, vor knapp zwei Jahren mein Leben komplett verändert. Weil Menschen, die mein Schaffen schätzen, mir – ohne eine vorherige Filterung durch Verlage oder Produzenten – ermöglichen schöpferisch tätig zu sein. Statt des Verlegers zahlt heute also mein Publikum meine Miete. Was alles ein wenig direkter, den Verbraucher etwas mündiger, den Künstler etwas greifbare und mein Leben zu der bestmöglichen Mischung aus Arbeit, Kunst und Hingabe macht. Vor allem, weil es mich angstfrei schreiben lässt. Während ich früher im Monat bis zu fünf Auftritte absolvieren musste, nur um meine Fixkosten zu decken, kann ich jetzt frei arbeiten und notfalls meine Bücher in überschaubaren Auflagen sogar selber drucken.
Die dunkle Seite scheint es Christian von Aster besonders angetan zu haben. Vampire, Kobolde, Hexen, Orkfresser und andere furchterregende Fabelwesen tummeln sich in seinem Werk. „Staun und Schauder“ könnte hier das Motto sein, aber es ist der Titel einer beliebten Lesebühne, die Christian von Aster für „gehobene Mittelklassegemüter“ in Leipzig organisiert und demnächst zum 50. Mal stattfindet.
Woher kommt diese Faszination für das Dunkle, das Böse, das Gruselige?
An dieser Stelle würde ich Ihnen tatsächlich zu widersprechen wagen. Ich habe vor allem eine Faszination für das Leben, schaue aber lieber dorthin, wo andere nicht hinschauen. Da die Tummelplätze des Frohsinns sind naturgemäß von Literaten gut besucht sind, treibe ich mich in den ebenso naturgemäß schlechter beleuchteten Seitengassen herum. Wo sich sehr schnell herausstellt, dass es im mit dem Guten und dem Bösen gar nicht so einfach ist. Aber ich denke, dass Menschen vor allem dort interessant werden, wo ihre Ängste, Abgründe und Begierden sich manifestieren. Wobei meine vermeintlichen Ungeheuer in der Regel kaum mehr als Metaphern sind. Ich habe also vor allem Freude am Leben. Erlaube mir jedoch auch gern, in seinen Keller hinabzusteigen.
Begegnen Sie Ihren Figuren auch in Ihren Träumen, gar Albträumen?
Ich weiß, dass etwa E.T.A. Hoffmann das tat. Was ich ihm durchaus neide. Ich hingegen träume tatsächlich nur, wenn ich länger nicht geschrieben habe. Es reicht allerdings mir auch schon, regelmäßig in der Wirklichkeit zwischen Supermarktkasse, Privatfernsehen und Straßenbahn jenen Figuren zu begegnen, die meine Glossen und Satiren prägen.
Die Grenze zwischen einem angenehm-schaurigen Gefühl und angstvollem Schrecken ist schmal. Wie gelingt es Ihnen, hier das richtige Maß und den richtigen Ton zu finden?
Ich kann nicht einmal beurteilen, ob mir das gelingt. Wenn es das tut, dann wohl vor allem, da ich das, was ich tue, ernst nehme, mich bemühe, weder Ereignisse noch Figuren zu bloßen Funktionsträgern zu machen und bereit bin, mich nachhaltig einzulassen. Ich denke, dass eine Geschichte einem Autor, wenn dieser zuzuhören vermag, sehr genau sagt, was sie braucht.
Von Asters Kunst ist von scharfem Witz und tiefgründiger Heiterkeit geprägt. Das zeigt sich auch in seinem jüngsten Werk „Vier Füße für ein Halleluja“. Klerikale Satire und garstiger Humor verspricht der Verlag „Edition roter Drache“, in dem der Erzählband erschienen ist. Die Geschichten handeln unter anderem von Mönchen in Stollenschuhen, elektronischen Predigern und einem frustrierten Teufel.
Was sagt „Vier Füße für ein Halleluja“ über Ihr Verhältnis zur Kirche aus?
Am ehesten sagt das Buch wohl etwas über meinen Humor aus. Mein Verhältnis zur Kirche ist ebenso entspannt wie mein Verhältnis zur Religion im Allgemeinen. Ich schätze in den Religionen vor allem die liberalen Strömungen, in denen es ja immer wieder Schelmenfiguren gibt, die Regeln brechen, hinterfragen und zum Nachdenken anregen. Wobei der stellenweise nicht ungarstige Humor des Buches sich vor allem unzeitgemäßen Haltungen, Bürokratie, Obrigkeitshörigkeit und Reliquienhandel widmet.
Es sind nach Angaben des Verlags Geschichten von "großer Vergnüglichkeit und halbherziger Frömmigkeit“. Sind sie auch für religiöse Leser geeignet?
Auch das vermag ich nicht zu beurteilen. Ich denke aber ja. Verhöhne ich doch nicht Religion oder Glauben, sondern nur ihre allzu menschlichen Auswüchse, die bisweilen ins Absurde wuchern, wenn die Kirche sich etwa innerhalb eines kapitalistischen Systems zu behaupten, sich mit gefälschten Reliquien zu brüsten oder eine Klosterbelegschaft ein Fußballspiel mit allen Mitteln zu gewinnen versucht.
Das Buch enthält auch einen „Ablassbrief für eine Sünde nach Wahl“. Wofür würden Sie ihn verwenden?
Am sinnvollsten für das Erstellen eines Ablassbriefes eben solcher Art.
Auch die zeitgemäße Beichte ist ein Thema …
Und das an verschiedenen Stellen. Ursprünglich wurde der Ablasshandel ja eingeführt, um den Bau des Petersdomes zu finanzieren. Der ist inzwischen zwar längst vollendet, aber ich denke, das Gesamtsündenvolumen gäbe noch genug her, um auch noch ehrgeizigere Bauvorhaben anzugehen. Wobei sowohl die Onlinebeichte als auch die Beichtfabrik eine entscheidende Rolle spielen könnten.
Ob Programmpräsentation oder Lesung: Das Publikum schätzt Sie auch wegen Ihrer voll- und wohltönenden Stimme. Haben Sie sich diese antrainiert?
Die ist mir in die Wiege gelegt, seitdem regelmäßig von mir auf Bühnen und vor Mikrofonen ausgeführt worden und hat mir gute Dienste geleistet, sich aber bis dato vor jeder Art professionellem Training gedrückt.
Ist eine solche Stimme auch ein gutes Flirt-Instrument? Es fällt auf, dass der Anteil Ihrer weiblichen Fans recht hoch ist …
Ich versuche mir immer einzureden, dass ich zum Flirten meinen Geist einsetze, erkenne aber an der Fragestellung, dass ich da möglicherweise einer dramatischen Fehleinschätzung erlegen bin. Darüber hinaus werde ich zu Verifikation der angedeuteten Vermutung beim nächsten Mal versuchen, im Zuge meines Vortrags weniger den Text als vielmehr mein Publikum genauer zu betrachten.
Über sein Privatleben hält sich Christian von Aster sehr bedeckt. Es gibt eine Frau im Leben des 46-Jährigen, außerdem mag er Gin Tonic, Wannenbäder und Waldspaziergänge. Zu seinen aktuellen "Begleitern" zählen „Lukas, die launische Brieftaube“, eine rund 50 Zentimeter große Klappmaulpuppe, die im Internet Beziehungstipp gibt, das „letzte Schweinhorn“, das zur liebenswerten Hauptfigur eines Kinderbuchs über Freundschaft, Abenteuer und feuerspeienden Schmetterlingen geworden ist, und die berüchtigten „Boar Boys“, eine legendäre irische, komplett aus Kobolden bestehende Bankräuberbande. Christian von Aster lebt überwiegend in Leipzig. Aber auch im Rest des Landes. Wer ihm bei Facebook folgt, erfährt unter anderem, dass er viel unterwegs ist. Oft teilt er in dem sozialen Netzwerk seine Erfahrungen mit der Deutschen Bahn, die ihn auch immer wieder ins Saarland bringt.
Sie bezeichnen sich selbst als „resilienten Bahnfahrer“. Verspätungen, Zugausfälle und andere Probleme halten Sie offenbar nicht vom Reisen ab. Wären diese Erfahrungen nicht auch ein gutes Thema für eine Kurzgeschichtensammlung?
Nein. Das Thema ist leider zu beliebig. Davon gibt es bereits zu viele. Aber ich habe durchaus Freude an den empathischen Reaktionen, die ich mit den Bahnglossen und Anekdoten hervorrufe, wie ich im Zuge epischer Verspätungen ins Netz stelle. Auch bei der Bahn liegen Tragödie und Komödie erfrischend nahe beieinander. Wie ich aus langjähriger Erfahrung sagen kann.
Sie sind auffallend oft im Saarland zu Gast. Woher kommt die Liebe zu unserem Bundesland?
Nun, das ist eine komplexe Geschichte, die in erster Linie mit obskuren Comichändlern, leidenschaftlichen Hippieharpyien, einem prächtigen Silberrücken und einer Nebentätigkeit als Waffenhändler, in zweiter dann mit einem toten Dandy, einem Drachenwinkel und einem notorischen Weltverbesserer, aber auch mit Currywurst, Eulenfrollein und einer Baker Street sowie einer Reihe weitgehend bekleideter Abenteuer zu tun hat. Wie gesagt, eine komplexe Geschichte.
Das Saarland hat vor kurzem seinen 100. Geburtstag gefeiert. Wollen Sie die Gelegenheit nutzen, um zu gratulieren?
Da müsste ich mich ja vermutlich hinten anstellen. Ich zwinkere dem Saarland jedoch gern vom Ende der Schlange zu und schreibe ihm heimlich eine SMS, die es öffnet, liest und leicht errötet. Aber das ist eine Sache zwischen dem Saarland und mir ...