Große Teile Polens haben sich zur LGBT-freien Zone erklärt. Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle sind hier unerwünscht. Deutsche Partnerstädte und -gemeinden laufen Sturm und fragen sich, wie so etwas mitten in Europa überhaupt möglich ist.
Die Rede ist von einem „ideologischen Krieg". Man werde „nicht zulassen, dass die übertriebenen Probleme und künstlichen Konflikte" der Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen (kurz: „LGBT")-Ideologie dem Volk „auferlegt" werden. Um diese von „Radikalen" angestiftete „Kulturrevolution, die die Meinungsfreiheit, die Unschuld der Kinder, die Autorität der Familie und der Schule sowie die Unternehmensfreiheit" angreife, zu unterbinden, werde man „die lokale Regierungsgemeinschaft konsequent verteidigen". Diese Zeilen stammen nicht aus der NS-Zeit. Nein, sie stammen vom 29. Mai 2019. Aus der Resolution „über die Annahme einer Entschließung zur Unterdrückung der LGBT-Ideologie" der Gemeinde Tuchów im Verwaltungsbezirk Małopolskie.
Nicht nur Tuchów, sondern insgesamt 96 Gemeinden, 36 Landkreise und vier Verwaltungsbezirke – sogenannte Woiwodschaften – in Polen haben sich dieser LGBT-freien Zone angeschlossen. In den meisten Parlamenten hat die in Polen regierende konservative PiS-Partei („Prawo i Sprawiedliwość", zu Deutsch „Recht und Gerechtigkeit") eine Mehrheit. Aber was ist eine LGBT-freie Zone?
Das erste Mal tauchte diese Begrifflichkeit auf einem Aufkleber auf, der zum Jahresbeginn 2019 in der Wochenzeitung „Gazeta Polska" beilag. Das für seine rechte Prägung bekannte Medium reagierte damit auf eine Initiative des Warschauer Bürgermeisters Rafał Trzaskowski, der auch queere, also von der sexuellen Norm abweichende Lebensentwürfe in die Sexualkunde-Lehrpläne der örtlichen Schulen einbringen wollte. Im Juli 2019 verbot das Warschauer Bezirksgericht die weitere Verbreitung dieser „Strefa wolna od LGBT"-Aufkleber. Bis dahin hatten sich allerdings die ersten polnischen Gemeinden bereits dazu entschlossen, eine solche LGBT-freie Zone sein zu wollen – per Parlamentsentscheid.
Fast ein Drittel der Fläche LGBT-frei
Diese Resolutionen sind zwar keine juristisch anwendbaren Gesetze, doch ein geeignetes Mittel, LGBT-nahen Organisationen und Privatpersonen die Arbeit zu erschweren. Kuba Gawron, polnischer Aktivist gegen die LGBT-freien Zonen, erklärt die praktische Umsetzung der Beschlüsse so, dass „Lehrern, Schuldirektoren oder Erziehern, die sich entweder positiv oder auch nur neutral zu LGBT äußern, schwere berufliche Konsequenzen durch lokale Regierungsorganisationen und/oder die örtliche Schulbehörde drohen". „Sie sollen abschreckend auf die kommunale Verwaltung wirken. Durch sie sollen Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsmaßnahmen verhindert werden, Unterricht über Themen wie Antidiskriminierung soll unmöglich gemacht werden, und LGBT-Organisationen sollen daran gehindert werden, öffentliche Räume für Konferenzen, Trainings oder Workshops nutzen zu können", erläutert Gawron. „Die Beschlüsse sind, kombiniert mit einer allgemeinen Mischung aus Angepasstheit, Angst und Unwissenheit, ein wirksames Instrument, um nicht hetero-normative Personen vom öffentlichen Leben auszuschließen."
Der Stadtrat in Warschau hatte eine solche Resolution zwar bisher nicht behandelt, doch wuchs die Zahl der Gemeinden, die sich dieser Zone anschlossen, in rasanter Geschwindigkeit. Politikwissenschaftler erklären die Ausbreitung dieser Resolutionen, die mittlerweile in etwa einem Drittel der polnischen Gesamtfläche – besonders stark im Südosten – beschlossen wurden, mit einer zunehmenden LGBT-Feindlichkeit im Land. „Polen ist einer der letzten EU-Staaten, in dem es keine gesetzliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften gibt", erklärt Wojtek Piątkowski. Er und sein Lebensgefährte Michał Niepielski leben seit 16 Jahren gemeinsam in Krakau. Doch Hass und Diskriminierung erfahren sie nicht nur innerhalb der Gesellschaft. „Die polnische Regierung und die staatlichen Medien veröffentlichen seit 2015 eine intensive Anti-LGBT-Propaganda." Als Beispiel nennt er den umstrittenen Film „Invasion", der auf eine, so Piątkowski, „manipulative Art Stereotypen" darstelle. „Auch die katholische Kirche in Polen nimmt an dieser hässlichen Kampagne teil", sagt der junge Mann aus Polen. Erst im vergangenen Sommer hatte der Krakauer Erzbischof Marek Jedraszewski anlässlich des Jahrestages des Warschauer Aufstandes die LGBT-Bewegung als „Regenbogen-Pest" bezeichnet. Die „Bewerbung der LGBT-Ideologie" leugne die Menschenwürde, so Jedraszewski. Besonders makaber: Seine Rede hielt der Kirchenmann nicht einmal zwei Wochen, nachdem in der polnischen Stadt Bialystok Gegendemonstranten die Teilnehmer der ersten Christopher-Street-Day-Parade brutal zusammenschlugen. „In den Kirchen werden auch während der heiligen Messen Anti-LGBT-Briefe gelesen", sagt Piątkowski. Zudem nutze ein Großteil der Regierungen als Grundlage für ihre LGBT-freien Zonen ein Dokument der ultrakatholischen Organisation „Ordo Iuris". Mit der Begründung des Kindeswohls spricht die Organisation sich in ihrer „Kommunalen Charta der Familienrechte" gegen die LGBT-Ideologie aus, die „die christlichen Werte und Integrität der polnischen Familie bedrohe". Diese Charta richtet sich aber nicht nur gegen die LGBT-Gemeinde, sondern in gewissen Teilen auch stark gegen Alleinerziehende.
„LGBT-Community mit Pädophilen gleichgesetzt"
Aber nicht nur auf dem Papier spielt die „Ordo Iuris" eine große Rolle: „Zuerst verbreiteten sie ihre Propaganda auf den Straßen der polnischen Städte – mit riesigen Postern und Lautsprechern auf Lkw. In ihren Reden wurde die LGBT-Community zum Beispiel mit Pädophilen gleichgesetzt", erinnert sich Wojtek Piątkowski. „Dann begannen sie 2019 eine Kampagne in Gemeinden, Landkreisen und Woiwodschaften." Eine dieser Kampagnen soll auch der Anstoß der heutigen LGBT-freien Zone gewesen sein. „Wir fühlen uns immer unsicherer zu Hause", sagt Piątkowski. Krakau liegt – ebenso wie Tuchów – in der Woiwodschaft Małopolskie. Doch die größte Sorge macht er sich um die Kinder in Polen: „Am schlimmsten haben es die jungen Leute, die keine Unterstützung haben – in ihren Familien, in der Schule, in der Kirche." Rund 1,8 Millionen schulpflichtige Kinder leben in der LGBT-freien Zone. Schätzungen zufolge sind davon etwa 90.000 bis 180.000 homosexuell oder transgender. „Zwei Drittel der jungen LGBTs denken sogar an Selbstmord", sagt er. Er beruft sich dabei auf eine Untersuchung der Campaign against Homophobia. Da im polnischen Bildungssystem sexuelle Identität und Vielfalt keine Rolle spielen, lernen Kinder nicht, dass es auch außerhalb der Heterosexualität Ausrichtungen gibt, die vollkommen normal sind. Dabei habe die polnische Gesellschaft in den vergangenen Jahren die ersten Schritte in Richtung Toleranz getätigt: Etwa 50 Prozent der Polen waren laut einer Umfrage im vergangenen Jahr bereit, die gleichgeschlechtliche Partnerschaft nun auch im eigenen Land anzuerkennen. Eine Entwicklung, die nun wieder kippen könnte. „Das kann sich ändern, wenn die Hasskampagnen weiter zunehmen, besonders auf dem Lande", fürchtet Piątkowski. Wichtig sei es daher auch, so der junge Mann, in Pride-Märschen, wie der Christopher-Street-Day-Parade, Präsenz in Polen zu zeigen. „Hier können die polnischen Bürger uns so sehen, wie wir sind, und das Bild, das oft von Kirche und Regierungsmedien verfälscht ist, überprüfen", hofft Wojtek Piątkowski. 2019 gab es solche Paraden in mehr als 30 Städten – insbesondere in den liberaleren Großstädten.
Diese Situation in Polen findet auch in anderen Ländern Beachtung – besonders bei den Partnerregionen und -gemeinden. „Ich finde das, was im Moment in Polen passiert, gelinde gesagt eine Katastrophe. Ein Land, das im Herzen Europas liegt und immer sehr europäisch war, bewegt sich hier in eine Richtung, die unvorstellbar ist. Das können wir so auch nicht stehen lassen", sagt Hermann Scharf, CDU-Abgeordneter im Saarländischen Landtag. Das Saarland pflegt seit vielen Jahren eine enge Partnerschaft mit der Woiwodschaft Podkarpackie. Auch hier ist ein solcher Beschluss durch den Verwaltungsbezirk verabschiedet worden. „Diese Muster, die dort gerade entstehen, kennen wir auch aus anderen Zeiten. Heute sind es die Homosexuellen, morgen sind es die Juden, übermorgen die geistig Behinderten. Das können wir einfach nicht dulden", sagt Scharf. Wichtig für ihn daher ganz klar: Protest. „Wir üben diesen Protest nun schon in schriftlicher Form. Das muss man jetzt auch in der EU thematisieren – da muss mit Polen Tacheles gesprochen werden." Das Europäische Parlament hatte bereits Ende vorigen Jahres einen Text angenommen, der die LGBT-freie Zone als Einschränkung der Grundrechte betrachtet. „Europa verbindet mehr als offene Grenzen und gemeinsamer Binnenmarkt. Es müssen auch die Werte und der gemeinsame Wille zum Schutz der persönlichen Entfaltung sein, die uns zusammenschweißen", sagt Scharf. Daher müsse nun auf diplomatischem Weg „alles versucht werden. Hier hält man sich nicht an Rechtsstaatlichkeit. Es werden Personengruppen diskriminiert, ausgegrenzt und verachtet. Das kann doch in einem einigen Europa nicht sein." Postalisch hatte Scharf sich daher an höhere Stellen gewandt. So schrieb er unter anderem dem Präsidenten des Deutschen Städte- und Gemeindetags wie auch Bundesaußenminister Heiko Maas mit der Bitte, den polnischen Botschafter einzubestellen und „unmissverständlich deutlich zu machen, dass Deutschland diese Dinge nicht dulden wird".
Keine Aufklärung an Schulen erwünscht
„Diese Art von Beschlüssen, die in den kommunalen Räten entweder ‚zum Schutz der Rechte von Familien‘ oder gegen die Verbreitung der sogenannten LGBT-Ideologie gefasst werden, untergraben die Würde, Freiheit und Gleichbehandlung von LGBT und stellen ihr Menschsein an sich infrage", so Thomas Schmitt, Vorsitzender der LSU Saar, einer CDU-nahen Organisation, die sich insbesondere für die Rechte der LGBT-Community im Saarland einsetzt.
Die LSU hatte über die sozialen Medien auf das Thema aufmerksam gemacht. Dort hatten sich auch einige polnische LGBT-Aktivisten dankend zu diesem Engagement aus dem Saarland geäußert. „Die Spannungen, die sich damit auch für Städtepartnerschaften ergeben haben, sollten wir zum Anlass nehmen, Maßnahmen beim geplanten Landesaktionsplan gegen Homophobie zu formulieren, die den künftigen Umgang mit solchen Fehlentwicklungen in ausländischen Partnerregionen festlegen", fordert Schmitt. Der entsprechende Aktionsplan befindet sich derzeit in Bearbeitung.
Ende März soll im Rahmen einer Delegationsreise in die Partnerregion auch die LGBT-freie Zone angesprochen werden. Das kündigten CDU und SPD in einer gemeinsamen Pressemitteilung an. „Als LSU erwarten wir einerseits, dass die Missstände Ende März in Polen deutlich angesprochen werden, andererseits aber auch eine Auseinandersetzung mit Betroffenen vor Ort stattfindet. Wichtig ist letztlich die politische Auseinandersetzung mit dem Thema und der dadurch entstehende öffentliche Druck auf die Verantwortlichen in Polen", sagt Schmitt.
Zudem hatte der saarländische Europaminister Peter Strobel einen Brief an Marschall Wladyslaw Ortyl auf den Weg gebracht, in welchem er klar macht, dass bei aller Wichtigkeit der Partnerschaft, „in der Zusammenarbeit jedoch die Grundrechte der EU nicht zur Debatte stehen dürfen, sondern eine gemeinsame Grundlage bilden sollen".
Aber nicht nur im Saarland regt sich etwas: Paderborn, Stendal und Weimar haben eine Prüfung ihrer Städtepartnerschaften zu den polnischen Gemeinden Przemyśl, Puławy und Zamość bereits angekündigt. Die französische Kleinstadt Saint-Jean-de-Braye kündigte ihre Städtepartnerschaft zur Gemeinde Tuchów als direkte Folge des Anschlusses an die LGBT-freie Zone. Auch die saarländische Partnergemeinde Illingen zieht einen solchen Schritt in Betracht. „Ich halte solche Zonen für extrem diskriminierend und menschenfeindlich. Sie widersprechen dem, was wir an humanitären und christlichen Werten haben und sorgen dafür, dass Menschen ausgegrenzt werden", betont der Illinger Bürgermeister Armin König.
Partnerstädte prüfen die Zusammenarbeit
Begonnen hatte die Freundschaft der beiden Gemeinden über einen engen Kontakt des Illtal-Gymnasiums mit dem Lyzeum in Tuchów. Seit 2001 besteht eine kommunale Partnerschaft. „Ich habe sofort, als ich von diesen Beschlüssen erfahren habe, die Bürgermeisterin Magdalena Marszałek kontaktiert und werde dem Illinger Gemeinderat vorschlagen, die Partnerschaft auszusetzen, sollte es keine befriedigende Erklärungen von Seiten Tuchóws geben", erklärt König. Bis Ende des Sommers erwartet er eine Entscheidung des Stadtrates in Tuchów. Von heute auf morgen möchte er nichts vom Zaun brechen – politische Entscheidungen brauchen ihre Zeit.
„Für uns war es aber auch ganz wichtig, dass die Bürgermeisterin klar gesagt hat, dass sie diese Zonen ablehnt." Denn auch wenn der Stadtrat in Tuchów der Resolution zustimmte, so distanziert Magdalena Marszałek sich von dieser Entscheidung. Auf Anfrage teilte sie mit, sie „war nicht der Initiator der Resolution und habe eine andere Meinung als der Stadtrat in Tuchów". Eine schriftliche Erklärung vonseiten des Rates wie auch von ihr als Exekutivorgan würden in naher Zukunft an Armin König versandt werden. Dennoch verkündete Marszałek bereits auf Facebook: Sie werde für diese Partnerschaft kämpfen. Bis heute sei sie gegen diese Resolution. „Deshalb werde ich dem Stadtrat in Tuchów meine Position laut und deutlich vorstellen. Ich stimme der europäischen Isolation nicht zu, ich stimme der Zerstörung der Partnerschaft aufgrund der angenommenen Entschließung nicht zu. Ich möchte mit unseren westlichen und östlichen Freunden gemäß den geschlossenen Vereinbarungen zusammenarbeiten. Das kann ich für meinen Teil garantieren", schreibt sie.
Auch Armin König möchte für diese Freundschaft kämpfen. „Gerade das deutsch-polnische Verhältnis ist aufgrund der gemeinsamen Geschichte für solche Partnerschaften prädestiniert. Damit tragen wir auf lokaler Ebene dazu bei, dass wir ein freiheitliches und friedliches Europa haben", sagt er. „Auf der anderen Seite sind LGBT-freie Zonen eindeutig gegen europäische Menschenrechte. Da kann es keine Kompromisse geben. „Das heißt: Am Ende kann auch ein Ende dieser Partnerschaft stehen. Was wir alle nicht wollen!"
Neben Illingen unterhält auch Neun-kirchen eine Partnerschaft mit einer polnischen Gemeinde. In Wolsztyn sei ein solcher Antrag bislang nicht im Parlament vorgelegt worden. Auch hat die PiS-Partei dort nur einen Sitz inne. „Sollte ein solcher Antrag gestellt werden, ist davon auszugehen, dass er abgelehnt wird. Man kann also durchaus sagen, dass es in Wolsztyn keine Diskussion darüber gibt", versichert Jörg Aumann, Oberbürgermeister von Neunkirchen. Er stünde in ständigem Kontakt mit Wolsztyns Bürgermeister Wojciech Lis. „Wir sind uns alle einig, dass solche LGBT-freien Zonen zutiefst diskriminierend und abzulehnen sind. In der Diskussion in Deutschland sollten wir aber nicht übersehen, dass es nicht alle Polen sind, die solche Zonen errichten wollen, sondern bestimmte konservativ-reaktionäre Kräfte", betont Aumann.
Konservativ-reaktionäre Kräfte, die beispielsweise in der Woiwodschaft Wielkopolskie, in der Wolsztyn liegt, vorhanden seien. Doch: Was in einer Woiwodschaft beschlossen wurde, muss nicht zwingend für eine Stadt gelten, erklärt Wojciech Lis. So hat die Woiwodschaft Lubelskie sich zwar für eine LGBT-freie Zone ausgesprochen, die Städte Zamojski und Lublin diese Resolution in ihren eigenen Parlamenten aber klar abgelehnt. „Das ist zudem die Entscheidung eines jeden einzelnen Menschen und nicht die eines Rates", betont Lis. Wichtig sei ihm, dass in dieser ganzen Debatte nicht der Fehler passiere, alle Polen pauschal „über einen Kamm zu scheren". Bürger, Urlauber und Co seien unabhängig ihrer sexuellen Orientierung oder Identität jederzeit in Wolsztyn willkommen.