Eine 16-Jährige, irgendwo in einem Alpental, verliert hintereinander beide Eltern und steht mit ihren beiden kleineren Geschwistern plötzlich alleine da. Sie weiß nur eines: Sie will nicht mehr ins Kinderheim, und schon gar nicht sollen ihre Geschwister dorthin kommen müssen. Um das durchzusetzen, ist sie zu allem bereit. Sie will solange mit Bruder und Schwester im Gebirge leben, bis sie alt genug sind, dass das Kinderheim keine Gefahr mehr für sie bedeutet.
Autor Peter Keglevic stellt in seinem zweiten Roman ein Mädchen mit unbändigem Willen vor. Dafür bettet er ihr Abenteuer in der Wildnis in die höchstmögliche Bequemlichkeit, um die Robinsonade der elternlosen Kleinfamilie über eine längere Zeitspanne gelingen zu lassen. Der Vater hat einst eine Hütte in den Bergen fürs Überleben bestens ausgestattet, samt Solaranlage auf dem Dach. Und doch überrascht der Gleichmut der Kinder, die nicht nur den dramatischen Ortswechsel, sondern auch schwere Schicksalsschläge zu verdauen haben.
Agnes weiß um die Gefährlichkeit der Situation, ist permanent auf der Hut vor dem Bösen im Tal. Denn dort lauert sie, die gleichgeschaltete Dorfgemeinschaft, die den Lügen der Alphatiere mehr vertraut als der unbeholfenen Ehrlichkeit eines Kindes. Da unten leben die, die ihr Gewalt angetan haben. Und sie setzen sich auf ihre Spur wie unbarmherzige Raubtiere.
Die Figuren in „Wolfsegg" sind etwas grob geschnitzt. Sie weisen entweder durchweg sympathische oder abstoßende Züge auf. Eingehendere Charakterstudien sind aber in einem Kriminalstück, das atemlos vorwärts drängt, nur selten möglich.
Überzeugend sind die Naturbeschreibungen, die dem gebürtigen Salzburger Keglevic nicht schwer fallen. Weil er bewusst keine geografische Festlegung für den Schauplatz trifft, sondern es in den Alpen ansiedelt, schafft er eine grundsätzliche Gültigkeit: der konkrete Kindesmissbrauch lässt sich nicht verorten und macht so die Allgegenwärtigkeit solcher Dramen bewusst.