Vor einem Jahr war vieles noch improvisiert. Inzwischen sind die Fridays for Future eine feste Größe. Susanne Speicher und Julius Groß, Aktivisten von Anfang an, über Reaktionen aus Politik und Wirtschaft, Richtungsdiskussionen in der Bewegung und Pläne für den nächsten Klimastreik.
Frau Speicher, Herr Groß, wir erinnern uns noch an die Debatten um Schulpflicht, dann folgten zahlreiche Einladungen. Parteien und auch die Wirtschaft wollten sich mit den Fridays for Future austauschen. Werden Sie inzwischen ernst genommen?
Groß: Wir werden wahrgenommen, das auf jeden Fall. Ob wir ernst genommen werden, das ist nochmal eine andere Frage. Wir werden eingeladen zu Gesprächen, ja, aber großenteils gehen die Gespräche immer noch von uns aus. Die Dillinger Hütte kam beispielsweise auf uns zu. Das ist eine gute Gelegenheit, mit betroffenen Unternehmen ins Gespräch zu kommen. Was die Politik angeht, gingen die meisten Gespräche von uns aus. Man nimmt sich Zeit für uns, aber dass wir wirklich einbezogen werden in Entscheidungsprozesse, das kommt ziemlich selten vor. Meistens geht es der Politik dabei darum, das eigene Verhalten zu verteidigen und darauf hinzuweisen, was man schon alles macht, zum Beispiel das Klimapaket.
Speicher: Ich glaube schon, dass unser Anliegen grundsätzlich im Gespräch ist. Aber wir haben auch den Eindruck, dass man Gespräche mit uns mehr führt, um uns zu besänftigen, oder auch als Aushängeschild. Da postet man dann schöne Fotos mit uns, und das war’s dann.
Groß: Also da ist noch reichlich Luft nach oben. Wir haben zum Beispiel alle saarländischen Bundestagsabgeordneten angeschrieben mit der Bitte um ein Gespräch. Zustande gekommen sind tatsächlich ein Gespräch mit Peter Altmaier (Bundeswirtschaftsminister), der sich viel Zeit genommen hat, auch mit SPD und Grünen, mit der CDU noch nicht, von Linken und AfD haben wir keine Antwort erhalten.
Speicher: Es gab aber viele Gespräche auf kommunalpolitischer Ebene, zusammen mit dem Klimaschutzbündnis Saar.
Wie ist denn die Atmosphäre bei solchen Gesprächen?
Groß: Es ist nicht so, dass wir belächelt würden als die freitags schulschwänzenden Kinder, die keine Lust auf Schule haben, die auf die Straße gehen aber keine Ahnung haben, wovon sie reden. Was wir aber vermissen ist, dass etwas umgesetzt wird oder zumindest, dass ein Umdenken stattfindet. Im Januar haben wir uns auch mit Bundesumweltministerin Svenja Schulze getroffen, und auch da war dann der Tenor: Wir hören doch auf die Wissenschaft und machen schon viel, etwa das Klimaschutzpaket. Wir halten das Klimapaket aber eher für ein Klimapäckchen.
Speicher: Wir haben darauf hingewiesen, dass das nicht ausreicht für die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens. Das sagen Wissenschaftler und belegen ja auch Gutachten. Das ist dann schon traurig.
Groß: Man äußert oft Verständnis für unsere „jugendliche Ungeduld", sagt aber auch: das ist ein Marathonlauf und kein Sprint, da muss man Geduld haben. Aber es hat bei uns nichts mit jugendlicher Ungeduld zu tun, sondern mit wissenschaftlichen Prognosen, die zeigen, dass wir nicht mehr viel Zeit haben, erst recht nicht, wo wir doch seit 40 Jahren von dem Problem wissen und nichts getan haben.
Speicher: Für uns stellt sich auch die grundsätzliche Frage, ob ein Wandel im System ausreicht, um die Pariser Ziele erreichen zu können. Man versucht, vieles in dieses „Päckchen" reinzudrücken. Wir fragen uns aber: beruhigen wir uns damit nur selbst oder brauchen wir einen größeren Wechsel in Wirtschaft, in Politik, in Gesellschaft?
Wie ist nach Ihrer Einschätzung die Gemengelage in dieser Grundsatzdiskussion zwischen Wandel im System oder Systemwandel und wie entwickelt sich die Streitkultur innerhalb der Bewegung über solche Fragen?
Speicher: Das ist sehr unterschiedlich. Wir sind eine sehr heterogene Gruppe, wir kommen aus unterschiedlichen Bereichen, von grün und öko bis eher konservativ. Auf Bundesebene ist das noch vielfältiger. Es gibt Leute, die sehr linke Ansichten haben, aber auch Leute, die eher konservativ sind und versuchen, Ideen wie einen grünen Kapitalismus voranzutreiben.
Groß: Gerade in bundesweiten Diskussionsgruppen stellen sich immer wieder die Fragen: Brauchen wir, um die Klimaziele zu erreichen, einen Systemwechsel, oder ist es im System möglich? Muss es mehr politische Lobbyarbeit für unsere Forderungen geben, müssen wir mehr auf Dialog setzen, oder muss es mehr Konfrontation geben mit dem Ziel eines Systemwechsels?
Speicher: Grundsätzlich muss man feststellen, dass Wirtschaftswachstum immer mit einem Wachstum an CO2-Ausstoß einhergeht. Wir können also nicht gleichzeitig auf Wirtschaftswachstum und CO2-Einsparung setzen.
In welche Richtung entwickelt sich diese Diskussion?
Groß: Schwer zu sagen. Ich habe zumindest auf Bundesebene den Eindruck, dass die Systemkritiker die lauteren Stimmen sind, also die, die Gespräche mit Politikern für reine Energie- und Zeitverschwendung halten. Auch wenn das die lauteren Stimmen sind, bin ich mir nicht sicher, ob das auch repräsentativ für die gesamte Bewegung ist. Die andere Frage ist, ob wir das System so weiter entwickeln, dass wir nicht mehr nach Wachstum streben, sondern uns in eine Post-Wachstumsgesellschaft oder Null-Wachstumsgesellschaft entwickeln. Für mich ist es auch eine Frage, ob wir die Zeit dafür haben. Dann müssten wir aber die Möglichkeiten viel stärker ausnutzen, das Klimapaket deutlich verschärfen. Im Grunde gäbe es mit Emissionshandel oder CO2-Steuer Instrumente, die man allerdings voll ausschöpfen müsste, um zu sehen, ob das funktioniert.
Wie groß ist der Druck auf die Bewegung, selbst Konzepte vorzulegen?
Speicher: Es gibt die Forderungen an uns, Konzepte vorzulegen. Wahrscheinlich stellen sich manche vor, dass wir mal ein Buch schreiben und sie sich die besten Ideen rausnehmen. Aber das ist nicht unsere Aufgabe.
Groß: Politiker wurden dafür gewählt, den Willen des Volkes umzusetzen und den Wandel voranzutreiben und nicht dafür, darauf zu warten, dass jemand sagt, wie sie es machen sollen. Im Übrigen gibt es jede Menge kluger Wissenschaftler, die sich darüber bereits ihre Gedanken gemacht haben. Es mangelt nicht an Konzepten, es mangelt am politischen Willen.
Speicher: Es gibt zum Beispiel Verkehrskonzepte. Da ist die übliche Reaktion: Wir schauen uns das mal an, prüfen, was wir hier umsetzen können – und dann wird geprüft.
Groß: Trotzdem beschäftigen sich die AGs, die wir gegründet haben, mit Konzepten, vor allem für die kommunale Ebene, damit wir nochmal eine konkretere Gesprächsgrundlage haben. Wir haben den Eindruck, dass auf kommunaler Ebene mehr zu erreichen ist als in Gesprächen mit Bundestagsabgeordneten. Wir sind auch super dankbar, dass wir so engagierte Parents for Future oder Scientists for Future haben, die uns auf Gespräche mit dem nötigen Fachwissen vorbereiten. Wir könnten alleine auch gar nicht die ganzen Anfragen für Workshops, Vorträge oder Teilnahmen alleine bewältigen.
Speicher: Also der Druck ist schon da. Auch der gesellschaftliche Druck auf die Politiker. Man ist schon gewillt, etwas zu tun. Aber für das, was wir erreichen müssen, ist eben nicht mehr viel Zeit.
Jetzt gibt es ja Menschen, die sagen: Ein paar Wochen Corona bringen uns den Klimaschutzzielen näher. Was halten Sie von solchen Sätzen?
Groß: Wir wollen natürlich Corona nicht verharmlosen. Aber ich glaube, wir können auch als Klimabewegung einiges davon lernen, wenn man sich ansieht, wie schnell Menschen ihr Verhalten ändern können, wenn sie sich real bedroht fühlen. Man sieht, wieviel jetzt geht, wenn etwa Unternehmen viele Meetings nicht mehr vor Ort sondern über Telefon- oder Videokonferenzen machen. Und wenn man sich die Karten von China über die Entwicklung der Schadstoffbelastung ansieht. Oder im Verkehr und bei den Fluglinien.
Speicher: Es hieß immer: Wir brauchen mehr Zeit. Jetzt haben wir das Virus, und dann geht es irgendwie doch und ganz schnell. Das zeigt, dass die meisten Menschen die Klimakrise gar nicht so als akute Bedrohung empfinden.
Groß: Es ist zu abstrakt. Viele denken: Das betrifft mich nicht mehr. Aber das stimmt nicht. Auch hierzulande sterben jedes Jahr durch Hitzewellen aufgrund des Klimawandels Menschen. Oder nehmen sie die Brände in Australien. Naturkatastrophen betreffen uns hier ja auch schon, und es wird noch viel weiter gehen. Trotzdem nehmen die Menschen das nicht so konkret wahr wie jetzt aktuell Corona.
Speicher: Was wir auch sehen müssen ist die Warnung vieler Wissenschaftler, dass durch die Klimakrise neue Krankheiten entstehen oder Krankheiten zu uns kommen, die wir sonst nur aus anderen Regionen der Welt kennen.
Ein Jahr Fridays for Future: Was hat die Bewegung selbst gelernt?
Speicher: Wir haben in diesem Jahr ganz viele interne Strukturprozesse auf den Weg gebracht, haben verschiedene Arbeitsbereiche gegründet, also wir haben uns schon professionalisiert.
Groß: Wir haben den Anfang des Jahres auch genutzt, um Strategien nachzudenken und uns stärker vernetzt mit den Parents for Future, Students for Future, Scientists for Future, um eine starke Bewegung zu bilden.
Speicher: Wir sind jetzt in einem Strategieprozess, planen aktuell den 24. April, den Tag des nächsten Klimastreiks. Es wird nicht nur eine Demo sein, sondern ein Klimaaktionstag.
Groß: Es geht uns darum, das Konzept der normalen Demos zu erweitern, wir wollen Menschen ermutigen, individuell aber auch gesellschaftlich für den Klimaschutz aktiv zu werden. Es geht uns auch darum, die Leute zu beteiligen, zu fragen, was ihre Wünsche sind für eine klimagerechte Zukunft.
Speicher: Unser Ansatz ist, den Menschen zu vermitteln, dass sie Teil des positiven Wandels sind. Wir wollen auch ganz jungen Menschen klarmachen, dass sie etwas tun können. Wir sehen, dass zum Beispiel Eltern ihr Verhalten ändern, etwa anders einkaufen, wenn sie merken: Mein Kind hat etwas gelernt, worauf ich mal hören sollte. Auf diesem Weg kann auch eine positive Vision von einer klimaneutralen Welt entstehen, die eben nicht Rückschritt ins Mittelalter und Entbehrung bedeutet, wie es oft vorgeworfen wird. Gut umgesetzt bedeutet das mehr Lebensqualität für alle.
Wie wichtig war beziehungsweise ist Greta Thunberg für die Bewegung?
Speicher: Sie ist eine superstarke Persönlichkeit, von der auch Erwachsene viel lernen können. Aber es war eigentlich nie so, dass wir sie in der Bewegung so besonders gehypt hätten.
Groß: Ich bin ihr natürlich dankbar, wenn man sieht, was sie geschafft hat, was all die Umweltverbände über Jahrzehnte nicht hinbekommen haben, Wissenschaftler auch nicht. Sie ist das Gesicht der Bewegung durch die Medien geworden, aber Fridays for Future sind ganz viele Menschen auf der Welt.
Jugendprotestforscher haben analysiert, dass solche Bewegungen entweder nach einer gewissen Euphorie erlahmen und auslaufen, eine Minderheit radikalen Protest fortführt – oder eine Partei gegründet wird. Was davon wird zutreffen?
Groß: Schwer zu sagen. Eine Tendenz zur Radikalisierung speist sich eher aus Frustration, wenn man das Gefühl hat, die bisherigen Demos und Aktionen alleine bringen nichts wirklich voran. Dass daraus eine Partei wird, halte ich für unwahrscheinlich, weil wir eine basisdemokratische Bewegung sind. Das Schöne bei uns ist ja, dass es keine Ämter gibt. Jeder, der vorbeikommen und sich einbringen will, macht das halt. Und selbst, wenn die Bewegung verschwinden würde, was ich nicht glaube, dann verschwinden die Menschen und Ideen nicht.
Speicher: Ich glaube, Menschen werden sich eher in Parteien engagieren, die bereits existieren. Es sind schon viele von uns in Parteien aktiv und versuchen, die Themen voranzubringen. Das gilt vor allem für die Kommunalpolitik. Außerdem würde zu viel Zeit verloren gehen, wenn wir uns jetzt damit beschäftigen würden, eine Partei zu gründen – und diese Zeit haben wir nicht. Deshalb müssen wir sehen, wie wir die etablierten Parteien vorantreiben.